Österreich: “Asyl auf Zeit“ soll Flüchtlingsansturm einbremsen
Ausschlaggebend für den offensichtlichen Kurswechsel bei der Volkspartei sind dreierlei Ereignisse. Erstens das Chaos, das sich am Wochenende vor allem zwischen Kroatien und Ungarn abspielte. Mit dem Effekt, dass nach einer kurzen Atempause gut 20.000 Flüchtlinge bis Sonntag abends wieder nach Österreich einreisten, der Weiterfluss nach Deutschland unverändert stockt. Zweitens dass sich immer wieder Gruppen von Flüchtlingen auch an der Grenze nicht aufhalten lassen und unkontrolliert ins Land drängen. Drittens die bevorstehenden Wahlen in Wien und Oberösterreich, wo nicht die politische Leistungsbilanz sondern das Flüchtlingsthema zur ausschlaggebenden Wahlentscheidung wird. Die ÖVP sucht nun gewissermaßen einen dritten Weg zwischen "Vorhang runter" und "Seid alle willkommen".
Gut zehn Tage ließ man Bundeskanzler Werner Faymann gewähren. Er durfte sich als Krisenmanager aufspielen, attackierte verbal Ungarns Premierminister Viktor Orban, traf sich mit Angela Merkel in Berlin, führte eine Stippvisite zu den Amtskollegen nach Kroatien und Slowenien durch. Während Deutschland bereits an den Grenzen Kontrollen einführte, beharrte Faymann noch auf der offenen Ein- und Durchreise.
Innenministerin wehrt sich gegen "Asyl-Tourismus"
Die Volkspartei – sieht man von der rund um die Uhr im Einsatz befindlichen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ab – hielt sich in der Zeit des großen Flüchtlingsansturms und der enormen Hilfsbereitschaft zurück. Sie war öffentlich kaum präsent. Die kurzfristig eingekehrte Ruhe – bedingt durch das Dichtmachen der ungarisch-serbischen Grenze – führte zu einer Art Nachdenkpause. Als dann aber vor allem Kroatien der Situation nicht mehr Herr wurde, die Flüchtlinge zurück nach Ungarn schickte, Ungarn diese in Züge und Busse zur österreichischen Grenze verfrachtete, platzte der Innenministerin der sprichwörtliche Kragen.
Für sie gibt es das Recht auf Schutz, aber nicht das Recht, sich das attraktivste Land dafür auszusuchen: "Das was hier vor sich geht, hat nichts mehr mit Schutzsuche zu tun. Niemand wird noch irgendjemandem erklären können, dass Kroatien oder Slowenien unsichere Länder sind, in denen man keine Zukunft hat." Dennoch werden dort so gut wie keine Asylanträge gestellt, fast alle wollen nur nach Deutschland, Schweden, Österreich. "Dafür hat niemand mehr Verständnis. Das ist keine Schutzsuche mehr, sondern Asyl-Optimierung. Daher wird Österreich hart an Dublin festhalten." Und an die Adresse der EU gerichtet: Alle europäischen Länder, die diese Fehl-Entwicklung beenden wollen, "sollten der Quote zustimmen. Die Quote wäre der Anfang vom Ende dieser Asylwanderungen".
Sozialdemokraten fordern fünf Milliarden Flüchtlingshilfe
Auch an anderen "Frontabschnitten" wurde heftig um Auswege aus der Flüchtlingskrise gerungen. So forderten die sozialdemokratischen Regierungschefs Europas bei einem Treffen in Wien mehr Geld von der internationalen Gemeinschaft zur Unterstützung syrischer Flüchtlinge im Nahen Osten. Der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel nannte eine Summe von fünf Milliarden Euro. Wenn die Europäische Union jetzt nicht Geld in die Hand nehme, "dann werden sich noch mehr Menschen auf den Weg machen", lautete seine Prognose. Aber auch die USA und Saudi-Arabien will man in die Pflicht nehmen, sie sollten sich gleichfalls an dem Programm beteiligen.
Türkei erster Anlaufpunkt der Flüchtlinge
Außenminister Sebastian Kurz wiederum reiste zu einem Blitzbesuch in die Türkei, dem bei der Flüchtlingsbewegung aus dem Nahen Osten in Richtung Europa eine Schlüsselrolle zukommt. Aus Ankara war in den letzten Tagen mehrmals bereits der Wunsch nach einer engeren Zusammenarbeit mit Brüssel laut geworden. Dem soll nun auch entsprochen werden, wie Kurz nach einem Gespräch mit seinem türkischen Amtskollegen sowie Ministerpräsident Ahmet Davutoglu feststellte: Man wolle mit der Türkei als "wichtigem Player nicht nur über die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union diskutieren, sondern eine ganzheitliche Lösung für die Flüchtlingsfrage und den Syrien-Konflikt suchen".
Sanitätsbehörden in Sorge um Krankheitserreger
Schlussendlich beschäftigen sich die europäischen Sanitätsbehörden bereits mit einem Problem, das bisher noch kaum an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Die zehntausenden Menschen aus dem Nahen Osten, anderen asiatischen und nicht zu vergessen auch afrikanischen Ländern kommen aus Regionen, in denen sehr dürftige Hygienestandards herrschen. Während man europäischen Touristen bei Reisen in diese Länder zu entsprechenden gesundheits-vorsorglichen Maßnahmen rät, gibt es umgekehrt keinen wie immer gestalteten "Schutzwall". Erst wenn die Flüchtlinge offiziell in das Asyl-Verfahren eingebunden sind, werden sie in den Erst-Aufnahmezentren auch einem Gesundheitscheck unterzogen. Es ist daher nicht auszuschließen, so die Sorge der Mediziner, dass nun Krankheitserreger mit nach Europa eingeschleppt werden könnten.