Bundestag entscheidet über Sterbehilfe

  06 November 2015    Gelesen: 637
Bundestag entscheidet über Sterbehilfe
Der Bundestag stimmt am Mittag über eine Neuregelung der Sterbehilfe ab. Einige Abgeordnete wollen die Reform verhindern, Ärztekammerpräsident Montgomery warnt vor "kindischem Trotz".
"Besser kein neues Gesetz als ein schlechtes" - die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, Renate Künast (Grüne), hatte vor einigen Tagen noch einmal klar gemacht, welche Alternative sie zu den Vorschlägen für eine Neuregelung der Sterbehilfe in Deutschland sieht: nämlich keine Neuregelung.

Unmittelbar vor der Abstimmung im Parlament am Mittag haben nun jedoch Ärzte- und Patientenvertreter vor einem Reformverzicht gewarnt. Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Frank Ulrich Montgomery, appellierte an die Abgeordneten, einem neuen Gesetz zuzustimmen. Die Haltung "Besser keine Neuregelung als eine Strafverschärfung" sei keine Lösung, sagte Montgomery. "Ich bin erschüttert über so viel Verantwortungslosigkeit. Die Erfinder dieser Idee führen das parlamentarische System ad absurdum. Es ist kindischer Trotz, gar keine Regelung zu bevorzugen, wenn man sich mit der eigenen Meinung nicht durchsetzen kann."
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung": "Es wäre naiv zu glauben, dass mit einem Nein zur Neuregelung der Status Quo einzufrieren wäre." Allen Abgeordneten müsse klar sein, dass dann die organisierte Sterbehilfe erst richtig Fahrt aufnehmen werde.

Beim Thema Sterbehilfe wird generell zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe sowie Beihilfe zur Selbsttötung unterschieden. Eine direkte, aktive Tötung, etwa mit einer Giftspritze, ist auch auf Verlangen strafbar. Erlaubt ist allerdings eine indirekte aktive Sterbehilfe: etwa der Einsatz von Medikamenten, deren Nebenwirkungen die Lebensdauer herabsetzen können. Die aktive Lebensverkürzung wird dabei als ungewollte, aber unvermeidbare Nebenwirkung billigend in Kauf genommen.

Monatelang hatten Ethiker, Mediziner, Verbände und Abgeordnete über Parteigrenzen hinweg diskutiert, kritisiert und an Entwürfen gefeilt. Dem Bundestag liegen nun vier Gesetzesinitiativen vor, die im Grunde genommen alle auf ein Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe zielen. Umstritten ist aber, wie dabei das Selbstbestimmungsrecht der Patienten am Ende ihres Lebens gesichert und das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient geschützt werden können.
Die ursprünglich sehr respektvolle Debatte hatte zuletzt an Schärfe zugenommen. Inzwischen fühlen sich viele Abgeordnete herausgefordert, bei der Abstimmung nicht mehr den eigenen Gesetzentwurf durchzubringen, sondern den aussichtsreichsten zu verhindern.

Letztlich läuft es auf die Frage hinaus, ob der Entwurf einer fraktionsübergreifenden Parlamentariergruppe um Michael Brand (CDU) und Kerstin Griese (SPD) durchkommt oder ob die Gegner ausreichend Nein-Stimmen zusammenbekommen, um ihn noch abzufangen. Dann würde es bei den bisherigen Regelungen bleiben.

Unter anderem hatte Grünen-Politikerin Künast den Entwurf von Brand und Griese kritisiert und vor einer Strafverschärfung für Mediziner gewarnt. Der Vorschlag beinhaltet, eine geschäftsmäßige, auf Wiederholung angelegte Sterbehilfe zu verbieten - egal ob Arzt oder Angehöriger. Künast sagte, in diesem Fall "drohen den Ärztinnen und Ärzten Haftstrafen oder zumindest zahlreiche Ermittlungsverfahren in all jenen Fällen, in denen ihre Patientinnen und Patienten keinen Ausweg mehr wissen und sich freiverantwortlich das Leben nehmen".

Montgomery wies den Vorwurf zurück. "Die Debatte um die Kriminalisierung der Ärzte ist eine Scheindebatte, die Ärzte und Parlamentarier verunsichern soll", sagte er.
Die Abstimmung ist offen, die Parlamentarier sind damit nicht an den sogenannten Fraktionszwang gebunden. Sie läuft im Prinzip nach folgendem Verfahren ab: Zunächst wird über alle Gesetzentwürfe abgestimmt. In der zweiten Runde wird dann nur noch über die beiden Entwürfe mit den meisten Stimmen entschieden. Der Entwurf, der sich hier durchsetzen kann, muss dann aber noch in eine dritte Runde. Dort braucht er die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Gibt es mehr Nein- als Ja-Stimmen bleibt alles beim Alten. Enthaltungen zählen nicht.

Eine Abgeordnetengruppe um den Bundestagsvizepräsidenten Peter Hintze (CDU), die sich für die Möglichkeit einer ärztlich assistierten Selbsttötung einsetzt, sowie eine Gruppe um Künast wollen sich spätestens in der dritten Runde zusammentun, um möglichst viele Nein-Stimmen zu bekommen. Der Brand/Griese-Entwurf könnte in der dritten Runde mit der Zustimmung von um die 300 der insgesamt 630 Abgeordneten rechnen.

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