Kinder in Indien schürfen Glimmer für Kosmetikprodukte

  07 November 2015    Gelesen: 960
Kinder in Indien schürfen Glimmer für Kosmetikprodukte
Das Gesicht dreckverschmiert, schlägt Lalita Kumari stoisch mit der kleinen Spitzhacke Steine entzwei, um das darin enthaltene Mineral Glimmer freizulegen. Schwitzend sitzt die Achtjährige auf einem Schutthügel in der ostindischen Provinz Jharkhand und sagt, sie könne sich nicht daran erinnern, jemals etwas anderes im Leben getan zu haben. Seitdem sie vier Jahre alt ist, hilft sie ebenso wie hunderte andere Kinder in der Gegend mit der auszehrenden Arbeit ihrer Familie dabei, über die Runden zu kommen.
Das Schürfen des Glimmers ist eine schmutzige und unschöne Tätigkeit - das daraus gefertigte Endprodukt soll seine Käuferinnen besonders strahlend aussehen lassen: Große Kosmetikunternehmen nutzen das Mineral, um ihren Lippenstiften und Nagellacken eine Prise Glanz zu verleihen. "Ich will in die Schule gehen, aber zu Hause haben wir nie genug zum Essen. Also muss ich zum Arbeiten herkommen", sagt Lalita, während sie ihre Hacke aus den schwieligen Händen legt.

Vor zwei Jahrzehnten schon hatte die Regierung Jharkhands wegen Umweltbedenken alle Minen schließen lassen. Doch die zurückgebliebenen Steinbrüche ziehen weiter zahlreiche arme Dorfbewohner an, die mit dem Glimmer ein Auskommen finden. Die Vertriebswege für die Kosmetikzutat sind oft derart undurchsichtig, dass Initiativen zur klaren Kennzeichnung ihrer Herkunft scheitern. Die Familien der Kinder verkaufen das Mineral an Zwischenhändler, die es an größere Händler weiterreichen. Letztlich landet der Glimmer bei den großen Konzernen.

Dem deutschen Pharmariesen Merck wurde 2009 vorgeworfen, von Kindern geschürften Glimmer an Kosmetikkonzerne wie L`Oreal oder Revlon zu verkaufen. Seitdem hat das Unternehmen nach eigenen Angaben Maßnahmen ergriffen, die eine Herkunft des Glitzerstaubs "aus Quellen ohne Kinderarbeit" garantieren. Örtlichen Aktivisten zufolge ist dies jedoch wegen der Abgeschiedenheit vieler Minen kaum nachzuprüfen. "Ich glaube, die Unternehmen schieben sich dabei den Schwarzen Peter zu", sagt Bhuvan Ribhu von Bachpan Bachao Andolan, der gegen Kinderarbeit vorgehenden NGO des letztjährigen Friedensnobelpreisträgers Kailash Satyarthi.

Trotz Ribhus Bedenken an der Umsetzbarkeit von Kontrollen bestehen die Unternehmen darauf, dass ihre Zulieferer sauber sind. Eine Sprecherin von L`Oreal etwa sagte der Nachrichtenagentur AFP, ihr Hauptlieferant Merck beziehe "nur Glimmer aus eingezäunten Minen". Kinderarbeit komme dabei "nachweislich in der gesamten Produktionskette" nicht vor. Revlon nahm auf mehrfache Anfrage zu seinen Merck-Lieferungen keine Stellung.

"Es ist schwierig, Eltern in einer so armen Gegend davon zu überzeugen, ihre Kinder lieber zur Schule zu schicken", sagt Bezirksaufseher Ram Bachan Paswan. "Außerdem existieren diese Minen offiziell nicht einmal, was unsere Aufgabe umso mühsamer macht." Shibu Yadav gibt offen zu, seine vier Kinder täglich in die Mine zu schicken: "Das ist unsere Haupteinnahmequelle". Monatlich bricht sein Nachwuchs den Gegenwert von umgerechnet rund 14 Euro aus den Steinen. "Gäbe es den Glimmer nicht, wären wir längst verhungert", sagt Yadav.

Zwar haben Kosmetikriesen wie Estelle Lauder und Chanel kürzlich gemeinsam mit Satyarthis NGO ein Programm gestartet, das Kindern armer Familien eine Schulausbildung finanzieren soll. Doch für viele Kinder bleibt dies ein ferner Wunsch. "Wir wissen, dass Glimmer für Puder und Lippenstift genutzt wird", sagt die 13-jährige Pushpa Kumari. "Es lässt Frauen hübscher aussehen", fügt sie hinzu, eine Schale voller Glimmer auf dem Kopf balancierend. "Aber guckt euch an, was es mit uns macht."

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