Polens Staatskrise droht zu eskalieren

  11 Januar 2017    Gelesen: 932
Polens Staatskrise droht zu eskalieren
Seit mehr als einem Jahr regiert die nationalkonservative PiS in Polen - und untergräbt sukzessive den Rechtsstaat. Aus Protest besetzt die Opposition wochenlang das Parlament. Nun haben beide Seiten noch einmal Gelegenheit, die Staatskrise zu lösen.
Es schlägt fünf vor zwölf in der Republik Polen. So dramatisch liest sich zumindest die Erklärung, die einige Oppositions-Abgeordnete kurz vor Weihnachten veröffentlichten. Sie wollen "jenen Polen Hoffnung geben, die weiter an die Demokratie glauben", heißt es darin. Statt mit ihren Familien verbrachten sie die Feiertage im Plenarsaal des Sejm – Festessen und Gesang inklusive. Ab heute Mittag geht es im polnischen Parlament wieder weniger besinnlich zu. Das Land befindet sich in seiner größten politischen Krise seit der demokratischen Wende.

Seit fast vier Wochen halten Politiker der rechtsliberalen Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, kurz; PO) und der liberalen Partei Die Moderne (Nowoczesna) den Parlamentssaal aus Protest gegen die Politik der regierenden nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość; kurz: PiS) besetzt. Diese versucht seit ihrem Wahlsieg Ende 2015, das politische System systematisch zu ihren Gunsten umzukrempeln.

Als die Regierung von Ministerpräsidentin Beata Szydło am 16. Dezember vergangenen Jahres die Parlamentsberichterstattung massiv einschränken wollte, eskalierte die Situation: Bevor es zur Abstimmung kam, besetzten mehrere Abgeordnete der Opposition das Rednerpult. Dabei skandierten sie "Freie Medien" und "Keine Zensur". Andere hielten Plakate mit der Aufschrift "Freie Medien im Sejm" hoch.

"Das war ein Putschversuch"

Der Bundestagsabgeordnete Thomas Nord hält derartige Aktionen unter normalen Umständen zwar für "nicht angebracht". Nord ist Vorsitzender der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe. In Anbetracht der PiS-Politik habe es sich aber um eine vertretbare - weil friedliche - "Notwehr zu Gunsten der Pressefreiheit" gehalten, erklärt der Linken-Politiker im Gespräch mit n-tv.de: "Das war eine außerordentliche Zuspitzung der Auseinandersetzung."

Der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński bewertet dies vollkommen anders. "Man muss die Dinge so nennen wie sie sind: Das war ein Putschversuch", polterte der Ex-Regierungschef zu Beginn des Jahres. Seiner Auffassung nach hat es sich um "einen ernsthaften Versuch gehandelt, die Macht gewaltsam zu lähmen, auf undemokratische Weise".

EU-Kritik perlt an PiS ab

Es passt zur derzeitigen Szenerie in Polen, dass sich ausgerechnet Kaczyński, der als rhetorischer Scharfmacher bekannt ist, in einer der größten Krisen seines Landes als Hüter der Demokratie geriert. Mit ihrer Politik trägt seine Partei maßgeblich dazu bei, dass die Furcht vor einem autoritären Staat in weiten Teilen der Gesellschaft so groß ist wie selten zuvor.

Bei der Wahl 2015 gelang es der PiS als erste Partei in der Geschichte Polens, mit 235 von 460 Mandaten die absolute Mehrheit zu erringen. Seitdem arbeitet sie sukzessive daran, ihre Macht zu zementieren. Dass dafür mitunter demokratische Grundrechte eingeschränkt werden, nehmen breite Teile der Bevölkerung in Kauf. Konkrete Maßnahmen wie das Kindergeldprogramm "Familie 500 plus" oder das Wohnungsbauprogramm kommen bei den einfachen Leuten weitaus besser an, als Moralpredigten aus dem fernen Brüssel.

Dort betrachtet man die Entwicklung des polnischen Rechtsstaats mit Argwohn. Seit Anfang vergangenen Jahres treibt die Regierung eine Justizreform voran, um der Kontrolle durch das Verfassungsgericht zu entgehen. Die EU-Kommission leitete gegen Polen wegen der umstrittenen Reformpläne ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit ein. Es ist das erste dieser Art gegen einen EU-Mitgliedstaat.

"Die Kritik der EU ist berechtigt und notwendig, da die PiS-Politik demokratische Grundrechte tangiert, die in den Europäischen Verträgen garantiert sind", sagt Nord. Weil es sich jedoch zugleich um innenpolitische Aspekte handele, "müssen das die Polen selbst regeln", so Nord. In Warschau treffen die Mahnungen zu Wahrung der Rechtsstaatlichkeit indes auf taube Ohren. Nach minimalen Nachbesserungen an der Verfassungsreform teilte ein Regierungssprecher lapidar mit: "Das Problem gehört der Vergangenheit an."

Rechnung ohne die Bürger gemacht

Das geplante vollständige Abtreibungsverbot gehört mittlerweile tatsächlich der Vergangenheit an. Beim "Schwarzen Protest" gingen landesweit Zehntausende Polinnen auf die Straße, um gegen ein Gesetz zu demonstrieren, das eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren für eine Abtreibung vorsieht. Nach den Massenprotesten musste die PiS ihre Pläne für ein Abtreibungsverbot zähneknirschend einkassieren.

Auch beim geplanten Mediengesetz machte die Regierung die Rechnung offenbar ohne die Bürger. Während die Opposition im Sejm den Plenarsaal besetzte, blockierten vor dem Gebäude Hunderte Demonstranten aus Protest gegen die Reformpläne alle Ausgänge. Regierungschefin Szydło und PiS-Chef Kaczyński konnten das Gebäude erst verlassen, als die Polizei die Parlamentsblockade unter Einsatz von Tränengas beendete. Seit dem Protest harren in Wechselschichten Dutzende Demonstranten bei Minusgraden vor dem Gebäudekomplex aus, der sowohl den Sejm als auch den Senat, die zweite Kammer des Parlaments, beherbergt.

"Das ist keine gute Entwicklung"

Wenige Tage vor der ersten Parlamentssitzung dieses Jahres gibt sich die PiS – zumindest im "Medienstreit" – betont versöhnlich: "Wir machen einen Schritt zurück", sagt Stanislaw Karczewski: "Wir werden die bisher geltenden Arbeitsbedingungen für Journalisten nicht ändern." Karczewski ist Marschall des Senats, also der Parlamentskammer, die gar nicht Ort des eigentlichen Konflikts ist. Dennoch sagt er nachdrücklich: "Wir müssen zu einem Konsens kommen."

Um dieses Ziel zu erreichen, fanden bereits Gespräche unter den Fraktionsvorsitzenden statt. Nach dem Treffen am Montag verkündete Kaczyński zufrieden: "Sie werden das Rednerpult nicht mehr blockieren." Allerdings gilt diese Aussage nur für Abgeordnete der Nowoszesna. Aus der Fraktion der PO heißt es, dass ihre Abgeordneten so lange nicht bereit sind, ihre Blockade zu beenden, bis eine neue Abstimmung über Staatshaushalt stattfindet. Bei der letzten Parlamentssitzung hatte sich die Regierungsfraktion in den altehrwürdigen Säulensaal verzogen, um dort abseits der protestierenden Opposition den Etat per Akklamation durchzuwinken.

Für die kommende Parlamentssitzung hat das Pressebüro des Parlaments bereits angekündigt, die Abgeordneten im Falle einer ausbleibenden Einigung aller Fraktionen wieder im Nebensaal tagen zu lassen. Vieles deutet darauf hin, dass am 11. Januar in Warschau tatsächlich zwei Parlamente zur selben Zeit getrennt voneinander zusammenkommen. Thomas Nord betrachtet die politischen Ereignisse in Polen mit Sorge. Das 40-Millionen-Land steuere auf eine Verfassungskrise zu, die die Stabilität berührt. "Das ist keine gute Entwicklung."

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