Brexit: Theresa May gerät unter Zeitdruck

  25 Januar 2017    Gelesen: 868
Brexit: Theresa May gerät unter Zeitdruck
Das höchste britische Gericht macht klar: Das Parlament muss entscheiden, ob die Regierung den Austritt aus der EU erklären darf. Die Regionalvertretungen in Schottland, Wales und Nordirland bleiben bei dieser Brexit-Entscheidung außen vor, doch die Spaltung des Landes schreitet voran.
Zusammengesunken sitzt Theresa May am Dienstag auf der grün gepolsterten Regierungsbank im britischen Parlament. Nur wenige Stunden zuvor hat das höchste britische Gericht entschieden, dass die Regierung die Abgeordneten befragen muss, bevor sie die Scheidung von der EU einreicht.

Für May ist das die heftigste Niederlage, die sie bislang auf ihrem Weg zum Brexit hinnehmen musste. Sie hätte die lästige Debatte im Parlament gerne ausfallen lassen. Doch damit ist sie gescheitert und hat viel wertvolle Zeit verloren. Spätestens Ende März will sie Brüssel eigentlich über den Austrittswunsch ihres Landes informieren. Erst dann können die Verhandlungen beginnen. Jetzt zählt jeder Tag.

Theresa Mays Miene versteinert

Reglos verfolgt May, wie Brexit-Minister David Davis die nächsten Schritte der Regierung ankündigt. "Wir werden innerhalb von Tagen einen Gesetzesvorschlag vorlegen", sagt Davis. Das eine oder andere Mal nickt May zustimmend, ansonsten ist ihre Miene wie versteinert.

Dabei hätte es viel schlimmer kommen können. Die Regierung muss zwar die Abgeordneten in London um Zustimmung bitten, aber die Regionalparlamente in Schottland, Wales und Nordirland bleiben außen vor. Ihnen haben die Richter kein Mitspracherecht eingeräumt. Damit bleibt May viel erspart, zumal vor allem Schottland und Nordirland als äußerst brexit-kritisch gelten - dort hatte die Mehrheit beim historischen Referendum im Juni 2016 gegen den EU-Austritt gestimmt.

Zudem zeichnet sich ab, dass die Regierung keine Niederlage bei einer Abstimmung fürchten muss. Die oppositionelle Labour-Partei will sich nicht dem Vorwurf aussetzen, den vom Volk mehrheitlich beschlossenen Brexit verhindern zu wollen. Entschlossene Kritiker in den eigenen Reihen sind rar.

Opposition will Zugeständnisse

Doch die Opposition wird versuchen, May Zugeständnisse abzutrotzen: Mehr Details zu ihren Brexit-Plänen. Ein Verzicht auf Drohungen, Großbritannien zum Steuerparadies zu machen. Und die Zusicherung, Arbeitnehmerrechte nach dem Brexit zu schützen.

Das Urteil ist für May aber auch eine moralische Niederlage. Wieder und wieder hatte sie gesagt, eine Abstimmung im Parlament sei nicht notwendig, der Ausdruck des Volkswillens im Brexit-Referendum im vergangenen Jahr reiche aus. Landesweit hatte sich damals eine knappe Mehrheit für den Austritt Großbritanniens aus der EU ausgesprochen.

Da klingen die Worte des Vorsitzenden Richters David Neuberger am Dienstag bei der Urteilsverkündung wie eine öffentliche Demütigung. Das Parlament nicht zu befragen, sei wie "ein Bruch mit bewährten Verfassungsprinzipien, die Jahrhunderte zurückreichen", sagt Neuberger. Von einem "Sieg für die Demokratie" sprechen die Gegner vor Gericht.

Als Brexit-Minister Davis seine Chefin später im Parlament mit den Worten verteidigt, sie habe "nicht den demokratischen Prozess umgehen" wollen, ernten beide hämisches Gelächter.

Noch vergangene Woche hatte sich May feiern lassen. Bei einer Rede vor Journalisten und Diplomaten im ehrwürdigen Lancaster House hatte sie einen "harten Brexit" angekündigt. Austritt aus dem europäischen Binnenmarkt, ein Ende der Rechtsprechung des bei vielen verhassten Europäischen Gerichtshofs und eine blendende Zukunft Großbritanniens als Vorreiter für den Freihandel hatte sie vorhergesagt.

May weiß, das ihr noch ein weiter Weg bevorsteht, bis sie den Brexit glaubhaft als Erfolg verkaufen kann. Das Problem mit den widerspenstigen Regionalregierungen ist noch lange nicht gelöst. Die Regierung in Edinburgh will für Schottland einen Sonderstatus innerhalb des europäischen Binnenmarkts erreichen - oder die Unabhängigkeit. Nordirland steckt tief in einer Regierungskrise, Neuwahlen sind bereits angesetzt. Der Friedensprozess ist in Gefahr.

Die Premierministerin wird aufatmen, wenn sie tatsächlich Ende März den EU-Austritt ihres Landes ankündigen und die Verhandlungen mit Brüssel beginnen kann. Doch das ist erst der Anfang eines zweijährigen Verhandlungsmarathons - an dessen Ende wieder eine Abstimmung im Parlament ansteht.© dpa


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