Kommentar: Kopftuchverbot gesellschaftlich akzeptiert

  09 Februar 2017    Gelesen: 915
Kommentar: Kopftuchverbot gesellschaftlich akzeptiert
Auch Europa hat seinen #MuslimBan. In immer stärkerem Ausmaß werden muslimische Frauen aus dem Berufsleben gedrängt. Doch anders als Trumps Einreiseverbote ist das Kopftuchverbot gesellschaftlich akzeptiert.
Von Fabian Köhler

Auch Europa hat seinen #MuslimBan. In immer stärkerem Ausmaß werden muslimische Frauen aus dem Berufsleben gedrängt. Doch anders als Trumps Einreiseverbote ist das Kopftuchverbot gesellschaftlich akzeptiert.

Es ist ein Gesetz, das es so in der Geschichte der Republik noch nicht gab. Und viele hätten es bis vor wenigen Monaten wohl auch nicht für möglich gehalten. Kritiker sprechen von einem Angriff auf Demokratie und Religionsfreiheit, von einem Verstoß gegen die Verfassung des Landes, von der pauschalen Ausgrenzung von hunderttausenden Musliminnen. Wohl gemerkt: nur in der weiblichen Variante. Denn anders als Donald Trumps Einreiseverbot trifft die österreichische Version von #MuslimBan ausschließlich Frauen.

Während die halbe Welt zurecht über die islamfeindlichen Eskapaden des US-Präsidenten diskutiert, ist der #MuslimBan für Millionen muslimischer Frauen in Europa längst Realität. Kopftuchverbot heißt beschönigend, was nun auch in Österreich einem Arbeitsverbot für Frauen gleichkommt, die – aus welchem Grund auch immer – ein Kopftuch tragen.

Gerichte, Staatsanwaltschaften, Polizeibehörden, Schulen, Universitäten… In vielen Einrichtungen des Öffentlichen Dienstes ist auch in Deutschland die pauschale Ausgrenzung muslimischer Frauen längst festgeschrieben. Mit Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland hat die Mehrheit der deutschen Bundesländer entsprechende Gesetze erlassen.

Mit der Ausgrenzung von als solchen erkennbaren muslimischen Frauen aus dem öffentlichen Leben hat dies freilich nichts zu tun. Dies zumindest versucht nun auch wieder Österreichs Integrationsminister Sebastian Kurz weißzumachen. Schließlich handle es sich bei dem Gesetz, nicht um ein Kopftuchverbot, sondern ein „staatliches Neutralitätsgebot“ Schließlich seien neben muslimischen Frauen auch Trägerinnen von indischen Dastars, spanische Mantillas und russischen Epanokalimavkions betroffen. Es ist die gleiche realitätsferne Argumentationsweise, die Verteidiger Trumps nutzen, wenn sie darauf verweisen, dass sich das Einreiseverbot allein deshalb nicht gegen Muslime richten könne, weil in den sieben betroffenen Ländern ja auch Nicht-Muslime lebten.

Kopftuchtragende Frauen müssen vier bis fünfmal so viele Bewerbungen schreiben

So wie Trump bemüht ist, sein Dekret als Verteidigung der „founding principles“ zu rechtfertigen, gilt auch das europäische Kopftuchverbot absurderweise als Beitrag zur Integrationsarbeit. In Wahrheit dienen beide Varianten des #MuslimBan nicht der Ausweitung gesellschaftlicher Freiheiten, sondern sind die Fortsetzung bestehender Diskrimineriungserscheinungen: Wie schwer es schon ohne offizielles Kopfuchverbot ist als Muslimin einen Job zu finden, hat im vergangenen Jahr eine Studie von Doris Weichselbaum gezeigt. Rund 1.500 Bewerbungen verschickte die Linzer Wissenschaftlerin – mal mit deutsch klingendem Namen, mal mit türkischem, mal zusätzlich mit Kopftuch. Das Ergebnis: Als kopftuchtragende Türkin musste sie vier bis fünfmal so viele Bewerbungen schreiben, um eine Antwort zu erhalten wie ihre deutsches Alter Ego.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam der Soziologe Florian Kreutzer. Für seine Studie „Stigma Kopftuch“ hat er Musliminnen über Diskriminierungserfahrungen interviewt. Sein Fazit: Kopftuchtragende Frauen hätten meist nur die Wahl zwischen Assimilation und Ausgrenzung. Letztere Erfahrungen bereits gemacht zu haben, bestätigten vergangenes Jahr rund ein Drittel muslimischer Migrantinnen. In einer EU-weiten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup bestätigten, 30 Prozent der Befragten in den vergangenen zwölf Monaten diskriminiert worden zu sein.

Die Ahnen heutiger „Integrationspolitiker“ sind die Kolonialherren des 19. Jahrhunderts

Unzählige Migrationsforscher haben in den letzten Jahren darauf hingewiesen, dass Integrationsprobleme nicht durch das Kopftuch, sondern durch gesellschaftliche Ausgrenzung seiner Trägerinnern entstehen. Ausgrenzung führt nicht zu Emanzipation, sondern zum Rückzug. Im Zweifel auch zum Rückzug in patriarchalischen Strukturen. Doch um Emanzipation geht es den Unterstützern eines Kopftuchverbots meist ohnehin nicht. Das zeigt auch ein Blick in die Geschichte. Ebenso wenig wie Trump islamfeindliche Politik den weltweiten Terrorismus verringern dürfte, ist die Geschichte von Europas Kampf gegen das Kopftuch eine der Befreiung der Frau. Eher schon eine ihrer Unterdrückung.

Die Ahnen heutiger „Integrationspolitiker“ wie Sebastian Kurz sind die Kolonialherren des 19. Jahrhunderts. In Ägypten entdeckten britische Ärzte, Missionare und „Frauenrechterinnen“ das Kopftuchverbot als Herrschaftsinstrument. Ihre Maßnahme ähnelte denen von heute: Die Integrationskurse von heute waren Handbücher, in denen die vermeintlich unterdrückten Ägypterinnen nicht nur über die Freiheiten des Empires aufgeklärt, sondern auch zur Entschleierung aufgefordert wurden. Eine weitere Maßnahme zur vermeintlichen Emanzipation: Musliminnen durften nicht mehr zu Ärztinnen ausgebildet werden.

Ist das Vereinigte Königreich heute einer der wenigen Orte in Europa, wo selbst Polizistinnen Kopftuch tragen dürfen, lebt das koloniale Frauenbild in der französischen Gesetzgebung bis heute fort: In Algerien setzten die französischen Besatzer Kopftuchverbot und „Zwangsemanzipation“ hin zur exotischen Haremsdame so aggressiv durch, dass der Schleier schon bald zum Symbol des anti-kolonialen Freiheitskampfes aufstieg. 1905 importiere Frankreich sein koloniales Herrschaftsinstrument auch für die heimische Bevölkerung. Seitdem ist das Kopftuch im Öffentlichen Dienst verboten.

Gilt Trumps #MuslimBan als Widerspruch zum amerikanischen Gründungsmythos, steht das Kopftuchverbot in einer langen abendländischen Tradition

Reimportiert wurde aber auch die Umbewertung des Kopftuchs hin zum anti-patriarchalischen Protestsymbol: In Frankreich legten viele Musliminnen infolge des „Burkaverbots“ den Niqab an, statt ab. In Österreich erlebt das Kopftuch unter jungen türkisch- und bosnisch-stämmigen Musliminnen ein kleines Revival. Auch in Deutschland entdecken Musliminnen den Schleier als Symbol des gesellschaftlichen Protestes.

Spätestens an dieser Stelle endet dann auch die Vergleichbarkeit zwischen europäischem und amerikanischem #MuslimBan. Denn während sich die Ausgegrenzten in den USA zumindest breiter zivil-gesellschaftlicher Unterstützung gewiss sein können, schwankt die gesellschaftliche Wahrnehmung des Arbeitsverbots für Musliminnen in Europa zwischen Akzeptanz und Ignoranz. Gilt Trump immer noch als reaktionärer Fehler im eigentlich liberalen System, repräsentiert Kurz den politischen Konsens, der von rechtsextremen Islamfeinden bis hin zu linken Feminist*innen mitgetragen wird.

Gilt Amerikas #MuslimBan vielen als Widerspruch zum Gründungsmythos der amerikanischen Einwanderungsgesellschaft, steht die Ausgrenzung von kopftuchtragenden Musliminnen in Europa in einer langen abendländischen Tradition. Und während amerikanische Bundesrichter den #MuslimBan nach wenigen Tagen wieder aufhoben, werden Musliminnen in Europa auch in Zukunft vom Arbeitsleben ausgeschlossen werden.

Erschienen auf Schantall-und-Scharia

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