Trudeau ist nach Washington gekommen, um eine Beziehung zum neuen Mann im Weißen Haus aufzubauen. Für den 45-Jährigen ist das Treffen ein Drahtseilakt: Der US-Präsident ist in Kanada sehr unbeliebt. Ob beim Klimawandel oder der Einwanderungspolitik, fast in allen Punkten vertritt Trump eine andere Politik als Trudeau. Viele Kanadier erwarten von ihrem Regierungschef, dass er die Differenzen zur Sprache bringt. Zugleich ist Kanada auf die USA als Handelspartner angewiesen, drei Viertel der Exporte gehen dorthin. Es dürfte im Vorfeld nicht leicht gewesen sein, unverfängliche Themen für die ersten Gespräche zu finden.
Da kommt das Bild der Nachbarschaft ganz recht. "Jeder Tag, an dem ich unsere südlichen Nachbarn besuche, ist für mich ein guter Tag", sagt Trudeau. Die USA seien sehr glücklich, einen Nachbarn wie Kanada zu haben, erwidert Trump und zählt auf, was die beiden Länder verbindet: Handel, der Kampf gegen Terrorismus, Sicherung von Jobs und Wohlstand. Gemeinsame Werte, fügt Trudeau noch hinzu.
Für den Kanadier bedeutet das auch, eine Politik der Offenheit fortzusetzen. "Wir werden weiterhin Flüchtlinge aus Syrien bei uns willkommen heißen", sagt Trudeau auf die Frage eines kanadischen Journalisten. Mit einem ähnlichen Statement hatte der kanadische Premier Ende Januar auf das von Trump erlassene Einreiseverbot für Flüchtlinge und Staatsangehörige aus sieben mehrheitlich muslimischen Ländern reagiert. Offene Kritik an den USA? Fehlanzeige: Es gebe verschiedene Ansätze in beiden Ländern, aber es sei nicht seine Aufgabe, andere Länder zu belehren, sagt der kanadische Premier.
Trudeau hilft bei der PR der Familie Trump
Statt auf Kritik setzt Trudeau bei seinem Besuch auf seinen Charme. Er hat Trump ein Foto mitgebracht. Es zeigt den US-Präsident mit seinem verstorbenen Vater, dem ehemaligen kanadischen Premierminister Pierre Trudeau, im Waldorf-Astoria Hotel in New York. Ein Geschenk ganz nach dem Geschmack Trumps. Er habe Pierre Trudeau sehr geschätzt, das Foto werde er an einem "ganz besonderen Platz" aufstellen, lässt der US-Präsident mitteilen.
Das zweite Geschenk Trudeaus besteht in positiver PR für den US-Präsidenten: Trudeau und Trump wollen sich gemeinsam für Gleichberechtigung von Frauen im Arbeitsleben einsetzen, dafür habe man eine gemeinsame Initiative gegründet. Die Idee dafür sollen die Kanadier gehabt haben, Ivanka Trump hilft bei der Umsetzung und sitzt beim Gespräch mit Unternehmerinnen aus den USA und Kanada neben Trudeau am Tisch.
Es ist das erste Mal, dass der Einfluss von Trumps ältester Tochter offensichtlich wird. Offiziell hat die 35-Jährige keinen Posten in Washington, viele halten sie jedoch für die inoffizielle First Lady. Schon im Wahlkampf hatte sich Ivanka Trump über Kinderbetreuung, gleiche Bezahlung und Mutterschutz gesprochen. Nun also ein gemeinsamer US-kanadischer Rat für Frauenrechte.
Es scheint, als ginge Trudeaus Taktik im Umgang mit Trump zumindest vorerst auf. Doch bei aller Harmonie, die Konfliktthemen haben beide Politiker beim ersten Treffen weitestgehend ausgespart. Kein Kommentar zur künftigen Klimapolitik, nur ein kurzer Verweis auf Umweltbedenken beim Bau der umstrittenen Keystone XL Pipeline.
Die Zukunft der Handelspartnerschaft Nafta könnte schon bald für Spannungen sorgen: Trump hat angekündigt, das Abkommen neu zu verhandeln, Trudeau will daran festhalten. Es dürfte die erste Bewährungsprobe für die nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Kanada und den USA werden.
Wie komplex der Alltag zwischen beiden Ländern ist, machte schon Trudeaus Vater Pierre 1969 in einem Vergleich deutlich: "Neben Ihnen zu leben, ist auf gewisse Weise, wie neben einem Elefanten zu schlafen", sagte er vor amerikanischen Journalisten. "Egal wie freundlich und ausgeglichen das Tier auch sein mag, man ist von jedem Zucken und Brummen betroffen."
Quelle : spiegel.de
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