Eine Untersuchung des US-amerikanischen Think-Tanks Atlantic Council kommt zu einem anderen Ergebnis. Das Assad-Regime und seine Verbündeten haben den von Rebellen beherrschten Ostteil der Stadt demnach nicht nur belagert und wahllos bombardiert. Syrisches und russisches Militär setzten ihren Erkenntnissen zufolge auch Chemiewaffen und Brandbomben ein. Damaskus und Moskau hätten ihre Offensive zudem mit einer Desinformationskampagne begleitet. Ziel sei es gewesen, "Aleppo zu brechen", so die Wissenschaftler. "Breaking Aleppo" lautet auch der Titel des Reports.
Beispielhaft dokumentiert der Bericht die Verbrechen anhand zweier Krankenhäuser. Der Atlantic Council belegt mit Hilfe von Videos, Fotos und Satellitenaufnahmen, dass das Umar-Bin-Abdul-Aziz-Krankenhaus im Stadtteil Maadi, auch bekannt als Krankenhaus M2, zwischen Juni und Dezember 2016 mindestens zwölf Mal bei Luftangriffen getroffen und beschädigt wurde.
Forensische Architekten des Goldsmiths College an der University of London haben mit Hilfe von Überwachungsaufnahmen aus dem Krankenhaus einen Luftangriff von 16. Juli 2016 rekonstruiert. Bei dem Luftschlag wurden sechs Mediziner und sieben Patienten verletzt.
Das Suchur-Krankenhaus, auch bekannt als Krankenhaus M10, wurde allein zwischen 28. September und 3. Oktober 2016 drei Mal bei Angriffen getroffen. Am 25. Oktober bestritt das russische Verteidigungsministerium, dass das Hospital beschädigt wurde. Als Beleg präsentierte Moskau Satellitenaufnahmen, die zwischen 24. September und 11. Oktober entstanden sein sollen und die keine Schäden an dem Gebäude zeigten. "Das beweist, dass alle Anschuldigungen über rücksichtslose Angriffe, die von angeblichen Augenzeugen erhoben wurden, blanke Lügen waren", sagte Sprecher General Sergej Rudskoj damals.
Der Atlantic Council widerlegt die Darstellung Moskaus: Ein Vergleich von Satellitenaufnahmen, die am 25. September und am 13. Oktober entstanden, zeigt einen großen Bombenkrater neben dem Krankenhaus sowie Schäden an dem Gebäude. Diese Bilder decken sich mit dem Video einer Überwachungskamera aus dem Inneren des Krankenhauses vom 3. Oktober und dem Foto, das ein Anwohner gemacht hat.
Die Regierungen in Damaskus und Moskau bestreiten, vorsätzlich Krankenhäuser anzugreifen. Doch allein die Zahl der Angriffe auf medizinische Einrichtungen - rund 70 allein in Aleppo im zweiten Halbjahr 2016 - lasse es äußert unwahrscheinlich erscheinen, dass es sich dabei jedes Mal um ein Versehen handele, so die Wissenschaftler. Zudem wisse das Assad-Regime genau, wo sich die Krankenhäuser in Syrien befinden. "Im besten Fall ist das ein systematisches Versagen bei der Pflicht, medizinische Einrichtungen zu schützen. Im schlimmsten Fall deutet es auf eine Politik der vorsätzlichen Zerstörung von Krankenhäusern hin", heißt es in dem Bericht des Atlantic Council.
In diesem Zusammenhang verweisen die Autoren des Reports auch auf Luftangriffe gegen Hospitäler in anderen Landesteilen und darauf, dass Regierungstruppen mehrfach Medikamente und Materialien für Krankenhäuser aus Hilfstransporten konfiszierten. Ziel dieser Politik sei es gewesen, "den Willen der Aufständischen zu brechen".
Russland verrät sich selbst
Der Bericht überführt den Kreml in zwei weiteren Punkten der Lüge: Anders als Moskau behauptet, setzt das russische Militär in Syrien Streumunition und Brandbomben ein. Belege dafür liefert Russland selbst. Am 18. Juni 2016 zeigte der Staatssender RT einen Bericht von der russischen Luftwaffenbasis Khmeimim. In dem Beitrag war zu sehen, wie ein russischer Kampfjet mit Bomben vom Typ RBK-500 ZAB-2.5S/M bestückt wurde. Dabei handelt es sich um streuende Brandbomben. Die darin enthaltene Submunition ist mit hochentzündlichen Substanzen gefüllt, die schwerste Verbrennungen verursachen und sich schwer löschen lassen.
Nachdem die RT-Verantwortlichen bemerkt hatten, dass sie versehentlich Belege für den Einsatz dieser Bomben geliefert hatten, schnitt der Sender den TV-Beitrag um und löschte das Material aus seiner Mediathek. Das Video ist aber weiter im Internet verfügbar.
Augenzeugen in Aleppo veröffentlichten zudem mehrfach Fotos, die nicht explodierte Streubomben zeigten. Trotzdem behauptete das Verteidigungsministerium in Moskau stets: "Russische Flugzeuge setzen diese Waffen nicht ein. Es gibt diese Munition nicht auf der russischen Luftwaffenbasis in Syrien."
Doch als russische Munitionsräumer nach der Eroberung in Ost-Aleppo einrückten, veränderte sich das Bild: Am 2. Januar veröffentlichte das Moskauer Verteidigungsministerium ein Foto, auf dem unter anderem nicht explodierte Streubomben zu sehen waren (im Vordergrund) - ein russisches Fabrikat. Syrische oder russische Jets müssen diese Munition zuvor über Aleppo abgeworfen haben, folgern die Autoren des Atlantic-Council-Reports.
Quelle : spiegel.de
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