Deutschland im Magnetschwebewahn

  03 März 2017    Gelesen: 284
Deutschland im Magnetschwebewahn
In einer Stunde von Hamburg nach Berlin: Mit diesem Versprechen lockten Befürworter des Transrapids über Jahre Skeptiker des Superzugs aus der Reserve. 1994 stimmte der Bundestag dem Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke zu. Heute fährt der Transrapid in China.
Den Deal zu einem der bekanntesten Milliardengräber der deutschen Verkehrsplanung haben die beiden Männer zwischen den Aufgüssen besiegelt. Es war irgendwann im Jahr 1966, als Ludwig Bölkow und Hermann Kemper zur Kneipp-Kur ins schöne Allgäu einkehrten. Mit hochgekrempelten Hosenbeinen nahmen sie zufällig zur gleichen Zeit ein Wechselbädchen aus warm und kalt. Sie kamen ins Gespräch und bald war klar: Der eine - Bölkow - war ein Münchener Unternehmer und hatte Geld, und der andere - Kemper - war ein Tüftler und Wurstfabrikant aus einem niedersächsischen Kaff bei Osnabrück. Letzterer hatte eine Idee, die er schon vor Jahrzehnten zum Patent angemeldet hatte: eine Schwebebahn, räderlos, betrieben allein durch die Kraft starker Elektromagneten. Da müsste doch was zu machen sein, dachte sich der emsige Geschäftsmann.

Als Bölkow nach der Heilbadkur zurück ins Büro kam, zitierte er einen seiner besten Ingenieure zu sich, Hans-Georg Raschbichler, damals erst 25. "Untersuchen Sie das", trug ihm Bölkow auf - und diktierte die Frage: "Kann ein Magnet auch bei höchster Geschwindigkeit stabil schweben?" Nicht einmal drei Jahre später, 1969, erteilte die Bundesregierung den Auftrag zur Prüfung einer Magnetschnellbahn, der Name der Entwicklung: Transrapid.

Ein Traum schien wahr zu werden. Doch die Idee der Männer sollte erst Jahrzehnte später Realität werden. Am 2. März 1994 nickte der Bundestag den Bau einer Magnetschnellzugstrecke zwischen Hamburg und Berlin ab. Ohne Zwischenstopp würde die Fahrt weniger als eine Stunde dauern, im Zehn-Minuten-Takt sollte der Superzug mit mehr als 400 Kilometern pro Stunde zwischen den beiden Metropolen hin- und hersausen. 1,5 Milliarden Euro sollte die Bundesregierung für den Transrapid-Traum insgesamt ausgeben. Fahren aber würde der Zauberzug am Ende nur in China.

Die Zeit, in der man über die Schnellbahn das erste Mal nachdachte, war eine gemütliche Zeit. Ende der Sechziger war die Eisenbahn in Deutschland kaum schneller als ein Kleinwagen. Stattdessen quietschte und rumpelte es kräftig beim Losfahren, unterwegs holperten und tuckerten die Waggons über die Schienen, beim Bremsen stank es nach abgeriebenem Metall. Die Bundesbahn von damals war wie eine große Mitfahrgelegenheit. Unbequem, denn man hielt bei jeder Gelegenheit, um noch jemanden mitzunehmen. Doch dafür war es immerhin billiger als alleine mit dem Auto unterwegs zu sein.

Dagegen schien der Transrapid wie eine Revolution: Spätere Testmodelle erreichten Geschwindigkeiten von mehr als 500 Kilometern pro Stunde und machten damit - zumindest in der Theorie - Flugzeugen Konkurrenz. Und das Geräusch? Aus Sicht der Befürworter nicht mehr als ein geisterhaftes "Surrrrrrrrrr". Es war Musik in den Ohren vieler Politiker und Manager.

Kein Platz für Vernunft

Siemens, Henschel, AEG, Krauss-Maffei, sie alle werkelten mit an der Magnetschwebebahn, bildeten ein Industriekonsortium, wollten teilhaben am Erfolg des Superzugs. Mit dem Schwebetrick hofften die Deutschen, in der Welt künftig als Technologievorreiter zu gelten. Stolz übernahm die Bundespost die Innovation als Briefmarkenmotiv. "Mit Vernunftgründen allein", so gestand es einmal der SPD-Politiker Hans-Ulrich Klose, könne man sich dem Zauberzug nun einmal nicht nähern. Die Bonner Regierung begann damit, Steuergelder in das Konsortium und seine Konzerne zu pumpen. Alles, um den Traum vom Transrapid wahr werden zu lassen. Surrrrrrrrrr.

Mitte der Achtziger gingen die Planungen erstmals über das Teststadium hinaus. Im März 1984 berichtete der SPIEGEL über eine "Transversale Paris-Leningrad", die quer durch die DDR verlaufen würde. Für die Bundesrepublik sollte der Masterplan in Form eines großen Cs daherkommen: eine Hunderte Kilometer lange Route von Hamburg nach München mit Zwischenstopps im Ruhr- und Rhein-Main-Gebiet. Doch schon bald wurde das Großkonzept zerschlagen - in Einzelverbindungen zwischen den Flughäfen Frankfurt und Düsseldorf zum Beispiel, Augsburg und dem Münchner Flughafen, Hamburg und Hannover. Keine von ihnen sollte je gebaut werden.

Denn die Stimmung wandelte sich langsam, Skepsis keimte plötzlich auf, Naturschützer klagten darüber, dass der ach so leise Zug bei Höchstgeschwindigkeiten in etwa Fluglärmniveau erreichen würde. Außerdem warnten einige Verkehrsexperten schon damals vor einer Kostenexplosion. Andere zweifelten, ob es für den magnetbetriebenen Superzug überhaupt ein funktionierendes Weichensystem gab. Dazu kam ein Transrapid-Konkurrenzprodukt, das von der Bundesbahn in den Achtzigern selbst forciert und von vielen Politikern auf Anhieb geliebt wurde: der ICE.

Wende für den Transrapid

Doch allzu schnell wollten sich die Magnetschwebe-Fans nicht geschlagen geben. Als 1989 die Mauer fiel und den Weg nach Berlin freimachte, war das auch so etwas wie eine Wende für den Transrapid. Eine Strecke zwischen Hamburg und Berlin, den beiden größten Städten der neuen Republik, sollte her. Ein Symbol der Einheit und ein "Einstieg in die Verkehrstechnik des 21. Jahrhunderts", so hatte es der ehemalige Kohl-Verkehrsminister Matthias Wissmann einmal gesagt.

In bürokratischer Versessenheit planten Politik und Wirtschaft jedes Detail des Prestigeprojekts, eine Magnetbahn Planungsgesellschaft mbH wurde gegründet, 10.000 neue Arbeitsplätze sollte das Megaprojekt schaffen, im Jahr 2005 hätte Kohl als Altkanzler gemütlich in einer Stunde von Hamburg nach Berlin schweben können - 22 Minuten schneller als mit dem ICE, so zumindest lauteten die ersten Berechnungen damals.

In Computer-Fahrsimulationen überprüften Experten für das Verkehrsministerium die Reisezeiten. Schnell war klar: Das 60-Minuten-Ziel konnte der Transrapid nur dann einhalten, wenn er nirgends einen Zwischenstopp einlegen würde. Doch genau das war vorgesehen, in Schwerin und an den Stadträndern von Hamburg und Berlin, so stand es im "Magnetschwebebahnbedarfsgesetz". Das Ergebnis: ICE und Transrapid wären damit gleichauf, bloß, dass die Elektromagnet-Schwebebahn auf dem Weg dreimal mehr Strom verbrauchen würde als ein ICE. Die Schiene hatte gesiegt.

Milliardenflop Transrapid

Dazu kamen die bekannten Probleme wie Lärm- und Umweltschutz - und die Prognosen, die bei den Passagierzahlen immer weiter nach unten und bei den Kosten immer weiter nach oben korrigiert werden mussten: 5,6 Milliarden D-Mark, so lautete die ursprüngliche Rechnung für die Strecke Hamburg-Berlin. 1997 waren es dann schon 6,1 Milliarden Mark, 1998: 7,5 Milliarden, 1999: mehr als 9 Milliarden.

Auch nachdem die Strecke Hamburg-Berlin 2000 endgültig aufgegeben wurde, versuchten einige Politiker an dem Zauberzug festzuhalten, schließlich hatte man auch schon mehr als zwei Milliarden D-Mark in die Entwicklung gesteckt. Auf dem Neujahrsempfang der CSU im Jahr 2002 hielt der damalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber seine bis heute wohl berühmteste Rede, in der es so schien, als ob sowohl der Transrapid als auch Stoiber jegliche Grenzen von Zeit und Raum schon jetzt überwunden hätten. Genutzt hat es nichts: Am 27. März 2008 wurde auch das Münchner Projekt aufgegeben. Knapp zwei Jahre vorher waren auf der Teststrecke im emsländischen Lathen bei einem Unfall 23 Menschen getötet worden.

Trotz der tragischen Vergangenheit hielt das Ausland am Transrapid-Traum fest. Nach dem Aus der Strecke Hamburg-Berlin wollte das US-Verkehrsministerium den Zug als eine Art getunte S-Bahn von Washington nach Baltimore surren lassen. Auch in China dachte man laut über eine Transrapid-Verbindung zwischen Shanghai und dem Flughafen Pudong nach. Sie ist bis heute die einzige Transrapid-Strecke der Welt, die nicht nur zu Testzwecken gebaut wurde.

Ob er damals wegen des Transrapid-Aus in Deutschland geweint habe? Nein, sagte Hans-Georg Raschbichler, der Ingenieur der ersten Stunde vor einigen Jahren einmal der "Süddeutschen Zeitung" - und fügte hinzu: "Nur im Innersten haben wir es wohl alle getan."

Quelle : spiegel.de

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