Die Präsidenten Russlands und der Türkei zelebrieren nach schwierigen Monaten den Schulterschluss. Erdogan und Putin eint die Enttäuschung über den Westen. Die Zeiten der alten Weltordnung, die seit dem Ende des Kalten Krieges gegolten hatte, sind vorbei, die Beziehungen unübersichtlich geworden. Man braucht einander. US-Präsident Donald Trump ist vor allem mit sich und seinem Land beschäftigt.
Es ist das vierte hochrangige Treffen beider Regierungschefs binnen weniger Monate: Im September trafen sich Putin und Erdogan auf dem G-20-Gipfel im chinesischen Hangzhou, im August redeten sie in Sankt Petersburg, und im Oktober tauschten sie sich auf dem Weltenergie-Kongress in Istanbul aus. Nun also Gespräche im Kreml.
Türkisch-russischer Pragmatismus
Erdogan und Putin pflegen ein Zweckbündnis, das auf Pragmatismus in wirtschaftlichen und geopolitischen Fragen basiert. Dabei standen die beiden Länder erst vor 16 Monaten fast vor einem Krieg.
Damals, im November 2015, schoss die Türkei einen russischen Kampfjet ab, der auf dem Weg nach Syrien angeblich unerlaubt durch türkischen Luftraum geflogen war. Putin sprach von einem "Stoß in den Rücken". Nach einem halben Jahr gelang es Ankara, die Beziehungen nach einer Entschuldigung Erdogans auf diplomatischem Wege einigermaßen zu reparieren.
Im Dezember 2016 erschoss ein türkischer Polizist den russischen Botschafter in Ankara, Andrej Karlow, während der Eröffnung einer Fotoausstellung. Der Täter war ein Islamist, der unmittelbar nach der Tat von Sicherheitskräften getötet wurde.
Doch anders als bei dem Flugzeugabschuss fiel die Reaktion verhaltener aus. Das gegenseitige Verhältnis schien wichtiger als eine erneute Konfrontation. Das zeigte sich auch Anfang Februar, als bei einem russischen Luftangriff im nordsyrischen al-Bab mindestens drei türkische Soldaten getötet und elf weitere verletzt wurden. Putin sprach Erdogan sein Beileid aus für den "tragischen Zwischenfall".
Im Syrienkonflikt ist Ankara ohnehin auf den Kreml angewiesen. Russland hat seit Beginn seiner Militärintervention im September 2015 die Oberhand gewonnen (lesen Sie hier mehr). "Beide - Russland und die Türkei - wollen gegen die IS-Terroristen vorgehen und die territoriale Integrität Syriens bewahren, das ist die momentane Schnittmenge", sagt Amur Gadschiew vom Moskauer Orientalistik-Institut.
Erdogan und Putin haben eine Art Stillhalteabkommen geschlossen, obwohl Ankara sich lange für einen Sturz von Machthaber Baschar al-Assad ausgesprochen hatte. Russland lässt die Türkei im syrischen Grenzgebiet gewähren. Die türkische Armee konzentriert sich ihrerseits darauf, eine autonome kurdische Provinz im Norden Syriens zu verhindern. Im Gegenzug duldet die Türkei Assad als Teil einer syrischen Übergangsregierung und unterstützt die von Russland organisierten Friedensgespräche in Astana.
Türkei will russische Touristen locken
Gleichzeitig erhofft sich die Türkei, die seit dem Putschversuch wirtschaftlich angeschlagen ist, dass Russland Handelsbeschränkungen etwa für landwirtschaftliche Produkte aufhebt, die Moskau nach dem Abschuss des Kampfjets verhängt hatte. "Für Ankara ist der russische Markt sehr wichtig, für die Gemüse- und Obstexporte, aber auch die Bauindustrie" sagt Natalja Ultchenko, Leiterin der Türkei-Studien am Orientalistik-Institut. Zudem braucht die Türkei die russischen Touristen. Nach der Krise im November 2015 mieden viele das Land, Hunderte Hotels mussten schließen.
Russland wiederum will sein Gas exportieren, Erdogan und Putin haben das Abkommen für die geplante Gaspipeline aus Russland durch das Schwarze Meer unterzeichnet. Die Leitung wird an der Ukraine vorbeiführen. In Akkoyun planen die Russen außerdem ein Atomkraftwerk.
Boden-Luft-Raketen für die Türkei?
Auf der türkischen Seite gibt man sich vor der Reise nach Moskau wortkarg zu der Frage, was genau Erdogan mit Putin besprechen will. Präsidentenberater Ilnur Cevik sprach im russischen Staatssender Rossija 24 lediglich von "ökonomische Angelegenheiten", er nannte auch Rüstungsgeschäfte.
Ankara ist interessiert am russischen S-400-Flugabwehrsystem - also Boden-Luft-Raketen, um Kampfflugzeuge, Marschflugkörper und andere Raketen abzufangen. Zuvor schon hatten das russische Staatsunternehmen Rostec und der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu entsprechende Pläne bestätigt. Bisher verfügt die Türkei nicht über solche Waffensysteme, weshalb die Bundeswehr bis Ende 2015 das Abwehrsystem Patriot im türkischen Kahramanmaras stationiert hatte, zum Schutz vor syrischen Luftangriffen.
Manch einer in Russland träumt bereits davon, dass die Türkei der Nato den Rücken kehren könnte. "Dann würde die Südflanke der Nato kollabieren. Der Verlust der Südflanke wird ein spürbarer Schlag gegen das Militärbündnis als Ganzes", tönt der Rechtspopulist Wladimir Schirinowski von der nationalistischen Scheinoppositionspartei LDPR.
Expertin Ultchenko sieht die russisch-türkischen Beziehungen dagegen nüchterner. Beide Länder verfolgten vor allem ihre Interessen, meint sie. Die außenpolitischen Zeiten könnten sich wieder ändern. "Erdogan kann der Nato den Rücken kehren, aber austreten wird er nicht."
Quelle : spiegel.de
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