Betrogener Betrüger

  13 März 2017    Gelesen: 1397
Betrogener Betrüger
Ein nach Deutschland geflüchteter Syrer bietet der Terrormiliz IS seine Dienste als Attentäter an - denkt er. Doch in Wahrheit gerät er an die Falschen. Geschichte einer vollständigen Verirrung.
Als der Syrer Hasan A. Ende des vergangenen Jahres festgenommen wurde, schienen die Fakten eindeutig zu sein. Die Behörden warfen dem 38-Jährigen vor, für den "Islamischen Staat" (IS) einen Anschlag in Deutschland geplant zu haben. Den Ermittlungen zufolge hatte Hasan A. auf Facebook mit vermeintlichen IS-Kadern gechattet und 180.000 Euro von ihnen verlangt - zur Finanzierung von Anschlägen. Dabei sollten mit Sprengstoff präparierte und als Streifenwagen umlackierte Fahrzeuge in fünf Städten eingesetzt werden, so A. in seinen Unterhaltungen mit Syrien.

"Es steht fest", sagte der saarländische Innenminister Klaus Bouillon (CDU) damals, "der Mann hatte Kontakt zum IS."

Doch einige Monate später steht das ganz und gar nicht mehr fest. Im Gegenteil: Der von der Staatsanwaltschaft Saarbrücken geführte Fall mit dem Aktenzeichen 1 Qs 6/17 offenbart, wie undurchschaubar und verwirrend die Lage in Syrien ist - gerade wenn man sie gezwungenermaßen aus der Ferne beurteilen muss. Und er zeigt, dass die Strafverfolgung von Absichten anfällig für Fehlinterpretationen ist. Wenn der Verdacht darauf gründet, dass Menschen behaupten, sie würden etwas tun, kann die Suche nach ihren wahren Plänen nicht nur mühevoll sein, sondern auch manche Überraschung bergen.

Nach wochenlangen Recherchen von SPIEGEL ONLINE und SPIEGEL TV kristallisiert sich nämlich nun heraus, dass Hasan A. mit hoher Wahrscheinlichkeit nie einen Anschlag begehen wollte - und auch nie Kontakt zum IS hatte.

Hasan A. aus Damaskus kam im Dezember 2014 nach Deutschland, ein gutes halbes Jahr später wurde er als Flüchtling anerkannt. Er verlobte sich mit einer Landsfrau, doch die Beziehung ging bald in die Brüche. In ihrer Vernehmung bei der Kriminalpolizei sagte Basima A., Hasan habe ihre Verwandtschaft um Geld betrogen, er sei geldgierig. Ihre Schwester nannte A. einen "Gauner". Offenbar versuchte Hasan A. auch, einem ebenfalls nach Deutschland geflüchteten Landsmann 10.000 Euro abzupressen. Doch seinen größten Coup wollte er im Winter des vergangenen Jahres landen.

Nach Erkenntnissen der Ermittler suchte er damals auf Facebook und über Telegram Kontakt zu Personen, von denen er annahm, sie gehörten dem IS an. "Ich bin Hasan Abu Abdallah, Ingenieur für Chemikalien", schrieb der gelernte Friseur, "wohnhaft in Deutschland. Wir sind eine Gruppe von Jugendlichen. Wir wollen auf dem Weg Gottes in den Ländern des Ungläubigen Dschihad machen. Wir bitten euch um Hilfe."

Eine wahnwitzige Idee

Und der Plan schien zu funktionieren, als zwei vermeintliche IS-Funktionäre auf seine Gesuche reagierten: Abu Bakr und Abu Mariam verwickelten ihn in eine ausgedehnte Kommunikation und ließen sich sein Vorhaben genau erläutern. Doch die Männer, die sich angeblich in Syrien aufhielten, wollten Sicherheiten, Ausweise am besten. "Die Führung des IS verlangt Namen", schrieben sie, "oder etwas Reales." Wenn man genügend Informationen habe, "wird man dir alles, was ihr benötigt, sofort zuschicken". Als Legitimation übersandte Hasan A. daraufhin Fotos seiner Gesundheitskarte, ausgestellt von der AOK Hessen. Dann kam er zur Sache: Immer wieder bat A. seine vermeintlichen Terrorkontakte um Geld, das er angeblich zur Vorbereitung der Anschläge benötigte.

Doch es deutet wenig darauf hin, dass A. seinen Worten Taten folgen lassen wollte: Es gab keine Komplizen, wie er behauptet hatte, er rüstete sich nicht aus, kundschaftete nichts aus, obschon er angeblich schon wenige Tage später zuschlagen wollte. Ja, Hasan A. war noch nicht einmal radikal in seinem Glauben. Ohnehin ist er Schiit und damit in den Augen des sunnitischen IS ein Ungläubiger. Nach Auffassung seines Verteidigers Marius Müller wollte A. "den IS täuschen, um an Gelder zu kommen". Eine Idee, so wahnwitzig, dass sie deutsche Strafverfolger skeptisch macht. Das sei "kein nachvollziehbares Tun", heißt es im Haftbefehl. Doch es wird noch irrwitziger.

Denn Hasan A. verhandelte gar nicht mit dem IS: Abu Mariam und Abu Bakr, seine vermeintlichen Terrorkontakte, gehören nach Recherchen von SPIEGEL ONLINE und SPIEGEL TV einer Organisation an, die sich gegen den IS engagiert. Mittels falscher Profile in sozialen Medien versuchen die Aktivisten Informationen über Vorhaben des IS zu erlangen, um sie etwa an europäische Sicherheitsbehörden weiterzuleiten. Auch in einem Papier des Bundesnachrichtendienstes (BND) heißt es, Abu Mariam und Abu Bakr seien keine realen Personen, sondern Avatare. "Die hinter den Avataren stehenden Personen sind nicht dem IS zugehörig", so der BND.

Ein syrischer Aktivist wandte sich über Umwege Ende Dezember 2016 mit den Erkenntnissen von Abu Mariam und Abu Bakr an das Bundeskriminalamt: "Wir haben Informationen erhalten", schrieb er, "dass eine Zelle innerhalb Deutschlands sei, die während der Silvesterfeiern eine terroristische Operation anstrebt." Einige Tage später übersandte der Informant auch die Protokolle der Chats von Hasan A. und Abu Mariam sowie Abu Bakr. Am 31. Dezember nahmen Spezialkräfte der Polizei Hasan A. in Saarbrücken fest, seither sitzt er in Untersuchungshaft.

Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft die Vorwürfe gegen A. jedoch heruntergestuft. Der Haftbefehl gegen Hasan A. besteht nun noch auf Grundlage des Paragrafen 30 Strafgesetzbuch fort: "Ebenso wird bestraft, wer sich bereit erklärt, wer das Erbieten eines anderen annimmt oder wer mit einem anderen verabredet, ein Verbrechen zu begehen oder zu ihm anzustiften."

Ob Hasan A. angeklagt wird, ist ungewiss.

Quelle : spiegel.de

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