Russische Wunder: Zarentränen

  13 März 2017    Gelesen: 1256
Russische Wunder: Zarentränen
Eine russische Staatsanwältin ist sich sicher, dass die Büste des letzten Zaren Nikolai II. Tränen vergießt. Durch dieses „Wunder“ weise der heiliggesprochene Herrscher seiner Heimat den Weg in die Zukunft.
Während die russischen Machthaber das Revolutionsjubiläum diplomatisch beschweigen, behauptet die junge Duma-Abgeordnete Natalja Poklonskaja, sie empfange Jenseitsbotschaften vom letzten Zaren Nikolai II. – und amüsiert das Publikum königlich. Poklonskaja, die bis zum vorigen Jahr Staatsanwältin auf der annektierten Krim war, hatte die Kapelle in ihrer Behörde dort mit einer Büste des kanonisierten Nikolai II. geschmückt; und die habe im Februar, hundert Jahre nach dessen Abdankung, Tränen vergossen, verkündete die Patriotin mit dem kindlichen Gesicht im ultraorthodoxen Fernsehsender „Zargrad“.

Durch dieses „Wunder“, von dem gläubige Kollegen von der Staatsanwaltschaft sie unterrichtet hätten, weise der heiliggesprochene Herrscher seiner Heimat den Weg in die Zukunft, erklärte Poklonskaja. Die Kapelle mit dem vermeintlich wundertätigen Standbild soll schon Pilger anziehen, erfährt man von der Krim. Die russische Netzgemeinde ist begeistert. Nutzer berichten von Leninbüsten, die zum Revolutionsjahrestag heilige Tränen vergossen hätten. Ein Kommunist bezeugt, durch die Berührung eines solchen Lenins sei er seine Rückenschmerzen losgeworden. Ein gepostetes Foto zeigt gar eine Stalinbüste, aus deren Augenwinkeln blutrote Tränenbäche strömen.

Poklonskaja war freilich schon Staatsanwältin, als die Krim noch zur Ukraine gehörte, und wollte damals prorussische Demonstranten ins Gefängnis bringen. Nach der Annexion erfand sie sich als fanatische Monarchistin neu. Sie ließ den Liwadia-Palast in Jalta, die Sommerresidenz der Romanows, mit neuen Bildern der Zarenfamilie schmücken. Sie erklärte Nikolais Abdankung für nicht legal. Sie versuchte, den Film „Matilda“ von Alexej Utschitel über Nikolais Jugendaffäre mit der Ballerina Matilda Kseschinskaja verbieten zu lassen, was selbst dem Kulturministerium zu weit ging. Doch die junge Frau, deren „wundertätige Büste“ zur zweideutigen Witzformel wurde, ist ein unerlässlicher Bestandteil des politischen Theaters.

Ein Genosse von der Kremlpartei „Einiges Russland“, Sergej Markow, verteidigte Poklonskajas heilig naiven Glauben, wie er sich ausdrückte. Eine Kommission des Episkopats der Krim, die die Kapelle der Staatsanwaltschaft inspizierte, kam zwar zu dem unzweideutigen Befund, die Augen der angeblichen Wunderbüste tränten nicht. Sie wies den zuständigen Priester jedoch an, das Bildwerk genauestens im Auge zu behalten und eventuelle Zeichen sofort an die höheren Stellen zu melden. Unterdessen mahnt der Bischof Pankrati, welcher im Patriarchat die Kommission für Kanonisierungsangelegenheiten leitet, die Öffentlichkeit, von Spott über die politisch unerfahrene Poklonskaja abzusehen und auf Geschwätz von Netz-Atheisten nicht zu hören. Krumme Leute, zitiert der Geistliche eine fromme Formel, würden erst vom Grab begradigt.

Quelle: F.A.Z.

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