Jetzt sitzt er den Journalisten gegenüber - der bayerische Ministerpräsident versucht so etwas wie einen Neustart als Nebendiplomat. Er fühlt sich seit Februar 2016 missverstanden, als er am gleichen Ort nach seinem letzten Besuch bei Putin eine Pressekonferenz gab. Den Eindruck dieser Reise will er vergessen machen.
Damals, vor einem Jahr, hatte Seehofer bei Putin noch für die Aufhebung der Sanktionen geworben - ein direkter Angriff auf die Russland-Politik von Angela Merkel. Der Ministerpräsident bezeichnete es als "nobel", dass sich der russische Staatschef nicht in die Diskussion in Deutschlands Flüchtlingspolitik einmische. Dabei hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow allerdings mit Äußerungen zum Fall des 13-jährigen Mädchens Lisa in Berlin die Flüchtlingshysterie befeuert, ein Fall der mit Flüchtlingen nichts zu tun hatte. Seehofer nannte den Krieg in der Ostukraine zudem nur "Schießereien".
Die Reaktionen waren verheerend: Zu verharmlosend, zu unkritisch habe sich der bayerische Regierungschef gegenüber dem russischen Präsidenten gezeigt. Naiv sei er, ein "fünftklassiger Außenpolitiker", musste sich Seehofer anhören. Er habe sich einfach überschätzt. Auch in der bayerischen Staatskanzlei war man von dem Echo auf die Reise Reise im Februar 2016 nicht angetan. Dass der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber Putin auch noch um den Hals gefallen war, obwohl die Russen gerade die Zivilbevölkerung in Aleppo bombardierten, kam in Bayern nicht gut an.
Stoiber hält sich dieses Mal lieber im Hintergrund, er spricht nicht auf der Pressekonferenz - Bilder des Kreml zeigen, dass er Putin nur die Hand schüttelt.
Seehofer gibt sich staatstragend, spricht von "klaren, intensiven" und "ernsthaften" Gesprächen mit Putin. In die Details will er nicht vor den Journalisten gehen. Als er gefragt wird, ob er mit dem Staatschef über Cyberattacken gesprochen hat, spricht Seehofer nur "von aus seiner Sicht (gemeint ist Putin, Anm. d. Redaktion) schlüssigen Argumentation". Gerade einmal 15 Minuten dauert die Pressekonferenz.
Aufheben von Sanktionen nur unter Bedingungen
Zwar wirbt Seehofer auch diesmal wieder für ein Ende der Sanktionen, die ein "unnormaler Zustand" seien. Aber, so fügt er hinzu, "ich will die Überwindung der Sanktionen durch das Minsker Abkommen", sprich die Handelsbeschränkungen sollen nur dann fallen, wenn Moskau den Minsker Vertrag erfüllt.
Das ist die offizielle Position Berlins, die Seehofer nun plötzlich schon immer vertreten haben will. Wer anderes behaupte, der sei entweder böswillig oder er wisse nicht, wovon er rede, heißt es.
Im Kanzleramt wird man das mit Erstaunen hören, denn dort hatte man bisher einen anderen Eindruck. Vielleicht rührt dieser daher, dass das Minsker Abkommen in Seehofers bisherigen Äußerungen nur eine Nebenrolle spielte. Den engen Zusammenhang mit den Sanktionen, den Seehofer nun so betont, hatte er in seinen Äußerungen so nicht herausgestellt. Merkel jedenfalls fühlte sich in ihrer Russlandpolitik aus München eher mäßig unterstützt. Dann soll sich nun ändern.
"Beide Seiten müssen ihre Hausaufgaben machen", sagt Seehofer - die Ukraine und Russland. Er klingt wie Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), der vergangene Woche in Moskau war. Putin habe ihm versichert "ohne Wenn und Aber" hinter dem Minsker Abkommen zu stehen. Was davon konkret zu halten ist, bleibt offen, auch Seehofer kann es nicht sagen. Weiterhin wird geschossen im Donbass - von beiden Seiten. Seehofer will nun im Mai nach Kiew reisen.
Der CSU-Chef betont mehrmals, er habe seine Moskauer Reise selbstverständlich mit der Kanzlerin und Außenminister Sigmar Gabriel abgestimmt, das letzte Mal kurz vor seinem Abflug.
Im Kreml hat er Putin "herzliche Grüße" Merkels übermittelt - allerdings nicht auf Russisch, wie die Kanzlerin ihm aufgetragen hatte. Und nach der Rückkehr wolle er die Erkenntnisse der Reise mit Merkel und Gabriel teilen, sagt er. Bayern, so die Botschaft, konterkariert die deutsche Außenpolitik nicht, sondern unterstützt sie nach Kräften. Dazu gehört auch, dass sich Seehofer mit Vertretern der russischen Zivilgesellschaft am Donnerstagmorgen traf. Es sei noch viel zu tun, um die Menschenrechtslage in Russland zu verbessern, sagt er hinterher.
Die Zwickmühle des Ministerpräsidenten
Das sind neue Töne, die man in dieser Deutlichkeit auf der letzten Reise nicht gehört hat. Zumal er eine bis 80 Teilnehmer umfassende Delegation aus bayerischen Verbandsfunktionären, Kulturschaffenden, Journalisten, Industrie und Landwirtschaft dabei hat. Gerade diese beiden Wirtschaftszweige, stark exportabhängig, fordern schon seit langem zumindest eine Aufweichung der Sanktionen, die seit der Krim-Annexion gelten, und hoffen im Gegenzug auf ein Ende des russischen Embargos.
In Russland sind mehr als 5500 Unternehmen mit deutscher Beteiligung tätig, mehr als ein Viertel von ihnen kommt aus Bayern. Das Handelsvolumen von Bayern und Russland lag im vergangenen Jahr bei 7,62 Milliarden Euro, vier Jahre zuvor - also vor den Sanktionen - lag es allerdings noch bei 13,1 Milliarden Euro. Das bringt Seehofer in eine Zwickmühle.
Bloß keinen neuen Streit vor der Bundestagswahl
Wer wollte, konnte leichte Differenzen zur Position Merkels ausmachen. Was er von einer schrittweisen Aufhebung der Sanktionen halte, wird Seehofer auf der Reise gefragt. Merkel ist dagegen. Seehofer hat sich bislang dafür ausgesprochen. Diesmal sagt er, er wäre schon froh, wenn wieder Schwung in die Umsetzung von Minsk käme. Damit hatte er seine Haltung nicht revidiert, aber es sollte auch niemand auf die Idee kommen, einen Gegensatz zu Merkel zu konstruieren. Sicher ist sicher.
Der Sinneswandel hat vor allem damit zu tun, dass im Herbst eine Bundestagswahl stattfindet. Seehofer setzt auf die Einheit der Union, deshalb kann er einen Streit mit Merkel nicht gebrauchen. Im vergangenen Jahr fand sein Besuch auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen CDU und CSU um die Flüchtlingspolitik statt. Da war ihm jedes Mittel recht, um die Kanzlerin zu piesacken. Nun aber ist Harmonie angesagt.
Zudem kann Seehofer die Reise auch ohne Sticheleien gegen Merkel als Erfolg verkaufen. Dass Putin ihn wieder empfängt, dieses Mal im Kreml, ist Zeichen genug - er, Seehofer, wird geschätzt in Moskau.
Und noch eine Ankündigung hatte Seehofer zu überbringen in Moskau - am 2. Mai komme Merkel nach Moskau. Eine Meldung, die sich schnell über die russischen Staatsmedien verbreitet. Sein eigener Besuch dagegen findet kaum Beachtung.
Erst einmal ist die Bundeskanzlerin nun aber auf dem Weg zu Donald Trump nach Washington. Zu dem würde Seehofer auch gerne reisen, wenn er denn irgendwann eine Einladung bekommt.
Quelle : spiegel.de
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