Jetzt geht der Streit um Tegel richtig los

  03 April 2017    Gelesen: 486
Jetzt geht der Streit um Tegel richtig los
Mit der Eröffnung des BER soll der Flughafen Berlin-Tegel schließen. Doch die Opposition plant einen Volksentscheid gegen die Pläne des Senats. Kommt sie damit durch?
Das Junktim schien so ehern, dass zunächst kaum jemand etwas anderes zu denken wagte: Sobald der Flughafen Berlin-Brandenburg seinen Betrieb aufnimmt, erlischt die Betriebsgenehmigung für Tegel. Doch der BER, in Berlin "das Ding" genannt, ist immer noch nicht fertig und nicht wenige, die an dem alten innerstädtischen Flugfeld in Tegel hängen, wittern plötzlich Morgenluft.

Im September 2006 war offizieller Baubeginn des neuen Hauptstadtflughafens, der inzwischen zum Image-Desaster für die gesamte Republik mutiert ist. Nach mehreren verschobenen Eröffnungsterminen hat die Hauptstadt nun ein neues Aufregerthema gefunden: Die Schließung des Innenstadt-Flughafens Tegel.

Eine von der FDP angeführte Initiative hat fast 250.000 Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt, das den Senat auffordert, Tegel weiterzubetreiben. Am Dienstag steht fest, ob das erforderliche Ziel von 174.000 gültigen Stimmen erreicht wurde und ein Volksentscheid durchgeführt werden kann. Dann sind die Doppler getilgt, ebenso wie die Unterschriften, die von Nicht-Berlinern geleistet wurden.

Uneinigkeit über rechtliche Grundlage

Im Abgeordnetenhaus sprechen sich fast alle Parteien für die Schließung aus - außer der FDP und der AfD. Sollten sie das Quorum erreichen, dann müsste der Volksentscheid laut Koalitionsvertrag von Rot-Rot-Grün zeitgleich mit einer Wahl - in diesem Fall zur Bundestagswahl am 24. September - durchgeführt werden, was die Chancen der Tegel-Befürworter deutlich verbessern würde. Drei Viertel der Berliner sind laut einer Forsa-Umfrage für die Offenhaltung Tegels. Dagegen halten vor allem die Anwohner in den Bezirken Wedding, Reinickendorf und Pankow, über deren Dächer Tag für Tag die Flieger brettern. Und Kleingärtner rund um das Flugfeld kauften ihre Datschen in der Annahme, Tegel sei ab 2011 fluglärmfrei. Ihre Klagen für mehr Lärmschutz waren zuletzt gescheitert.

Noch ist allerdings nicht ausgemacht, ob eine solche politische Willensbekundung die rechtlichen Rahmenbedingungen außer Kraft setzen könnte, denn der Planfeststellungsbeschluss des BER sieht die Schließung Tegels vor. Begründet wird dies zuvorderst mit dem Immissionsschutz.

Doch Juristen und Politiker sind sich uneins, ob der Passus verbindlich ist: Das Bundesverwaltungsgericht hatte 2006 entschieden, dass der BER und Tegel "untrennbar miteinander verbunden" seien. So könnte dem BER bei einer Offenhaltung Tegels die Genehmigungsgrundlage fehlen. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag kam hingegen 2013 zu dem Ergebnis, dass ein gleichzeitiger Betrieb beider Flughäfen möglich sei.

Im Falle eines Weiterbetriebs von Tegel wären also langwierige gerichtliche Verfahren mit ungewissem Ausgang programmiert. Und der Senat müsste nach einem möglicherweise positiven Volksentscheid eine Forderung verteidigen, hinter der er gar nicht steht.

Anwohner klagen über Fluglärm

Die Argumente gegen Tegel haben durchaus Gewicht. Schlafstörungen, hoher Blutdruck, Tinnitus und Depressionen gehören zu den Folgen des täglichen Fluglärms. Die Grünen kritisieren zudem, der 1976 eröffnete Flughafen sei alt und störanfällig, was neue Investitionen von Steuergeldern bedeuten würde. Ein heikles Thema angesichts der verschwendeten für den BER.

Zudem zweifeln Kritiker an der Wirtschaftlichkeit des Vorhabens. Der Verkehrsexperte Harald Wolf (Linke) rechnet im Falle eines Parallelbetriebs laut "taz" allenfalls mit einer schwarzen Null in Tegel, weil ein Großteil der Flüge zum BER wandern würde. Die Linke will Tegel dringend schließen, um ihr Wahlversprechen gegenüber den 300.000 lärmgeplagten Anwohnern einzulösen.

Rapide steigende Passagierzahlen

Tegel-Befürworter führen hingegen die gestiegenen Fluggastzahlen ins Feld: Im vergangenen Jahr flogen knapp 30 Millionen Passagiere ab Tegel und dem alten Flughafen Schönefeld. Das sind 11,3 Prozent mehr als im Vorjahr - und deutlich mehr, als Experten in den neunziger Jahren veranschlagt hatten, als sie die Planungen für den BER in Angriff nahmen. Damals rechnete niemand mit rasant steigenden Passagierzahlen und Billigfliegern. Der BER kann laut Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg (FBB) für bis zu 45 Millionen Fluggäste ausgebaut werden, wenn nötig.

Ob das reicht, ist zweifelhaft: Senat und FBB rechnen mit knapp 35 Millionen Fluggästen im Jahr 2018, 40 Millionen im Jahr 2023 und 47 Millionen im Jahr 2030. Verkehrsexperten halten selbst diese Prognose für zu vorsichtig, angesichts des enormen Anstiegs der Fluggastzahlen in den vergangenen Jahren. Auch die Rechnung der Tegel-Lobby ist schwindelerregend: Der Berliner FDP-Fraktionsvorsitzende Sebastian Czaja erwartet 60 Millionen Passagiere im Jahr 2030 - doppelt so viele wie heute.

Tegel, so ihr Argument, könnte durchaus einen substanziellen Beitrag leisten, um die Kapazitätslücken des BER zu füllen. Als klar wurde, dass Tegel noch für unbestimmte Zeit gebraucht wird, investierte die FBB rund 20 Millionen Euro in den Flughafen. So gelang es, dass 2016 dort rund 21 Millionen Fluggäste starten und landen konnten.

Quelle : spiegel.d

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