Doch entgegen ihrer Vorhersagen, nach denen sie über lange Monate Le Pen zur Königin der Umfragen gekrönt hatten, heißt der Sieger Emmanuel Macron - jedenfalls, sofern sich die Hochrechnungen des späten Sonntagabends bestätigen sollten.
Nach diesen hatte Macron 23,9 Prozent der Stimmen erhalten, Le Pen 21,7 Prozent. Ein knapper Sieg, aber dennoch.
"Dennoch" auch deshalb, weil allein die Vorstellung eines solchen Ergebnisses für Macron, den 39 Jahre alten früheren Wirtschaftsminister, noch vor nicht allzu langer Zeit allenfalls ein Schmunzeln auf viele Gesichter gezaubert hätte. Der Kandidat Macron, zu Anfang wurde er vor allem eines: belächelt. Seine Bewegung "En Marche!", der sich binnen Monaten Hunderttausende angeschlossen haben, ist gerade mal ein Jahr alt.
"In einem Jahr haben wir die politische Landschaft unseres Landes verändert", sagt Macron, sichtlich bewegt, am Wahlabend - und er hat Recht. Er hat geschafft, was vor ihm noch niemandem gelang.
Macron steht für all das, was Le Pen gerne abschaffen würde
Wenn es nun am 7. Mai zum regelrechten Showdown kommt, muss er sein, was er vorgibt, nicht sein zu wollen: Heilsbringer. Zumindest für all jene, die in einem europäischen, in einem offenen Land leben wollen, seinen Nachbarn zugewandt. Das Minderheiten nicht nur toleriert, sondern ihnen auch die gleichen Rechte einräumt.
Denn mit Macron und Le Pen stehen sich zwei Entwürfe für die gesellschaftliche und politische Zukunft Frankreichs gegenüber, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Emmanuel Macron steht für all das, was Le Pen gern abschaffen würde. In seinen Reden entwirft er ein energiegeladenes, nach vorne gewandtes Land, das die Globalisierung als Chance begreifen will - und nicht als Bedrohung.
Le Pen dagegen will sich von Europa abwenden; sie will wieder Grenzen schließen, die seit langem gar nicht mehr existieren. Am 7. Mai, das ruft Le Pen am Wahlabend vom Podium, trete Frankreich an gegen das Großkapital - verkörpert von Macron, dem früheren Rothschild-Bankier. Ihr Wahlkampfslogan lautet "Im Namen des Volkes"; sie empfindet sich, so sagt sie es, als dessen einzig legitime Vertreterin.
Jetzt kommt es darauf an, was die Franzosen wollen.
Das Ergebnis dieser ersten Runde spiegelt die Zerrissenheit eines Landes wider, mit dessen politischem System ein Großteil der Bevölkerung schon lange nichts mehr anfangen kann. Ein Land, das jahrzehntelang von einem starren Rechts-Links-Schema geprägt, jetzt einen Präzendenzfall schafft und etwas Neues ausprobiert.
Was bis vor Kurzem noch als undenkbar galt ist eingetreten
Es ist eine Situation, die es so noch nicht gab, die sich jedoch Woche für Woche klarer abzeichnete: Zum ersten Mal in der Geschichte der Fünften Republik wurden die Kandidaten der beiden etablierten Parteien bereits in der ersten Runde abgewählt. Was bis vor Kurzem noch als undenkbar galt, es ist eingetreten.
Der Konservative François Fillon brachte sich mit seinen Affären, mit seiner Hybris selbst um seine (bis Januar gigantisch große) Chance, diese Wahl zu gewinnen.
Für den Parti Socialiste ging mit Benoît Hamon ein Kandidat ins Rennen, der bei diesem Wahlkampf von Anfang an keine Rolle spielte. Manchmal sah es gar so aus, als wolle er gar keine spielen. Fest steht, seine 6,2 Prozent sind nicht nur für den Kandidaten, sondern auch für die Partei, die Frankreich fünf Jahre lang regierte, ein Desaster.
All jenen, die nun glauben, die Stichwahl sei eine Art Selbstläufer, sei Vorsicht geraten.
Das gilt für beide Lager gleichermaßen, auch wenn die Anhänger Marine Le Pens ob ihres Ergebnisses weniger frohlocken dürften als diejenigen, die Macron nahestehen.
Ein Jungspund gegen Le Pen
Denn Le Pen, lange als einzig gesetzte Favoritin für diese erste Runde gehandelt, hat im Vergleich zur letzten Wahl 2012 nur knapp fünf Prozentpunkte dazu gewonnen. Dabei hat sie viel dafür getan, dass es mehr werde. Sie hat ihre Partei professionalisiert, hat sie zu einer großen politischen Kraft geformt, die in ganz Frankreich einen Rolle spielt.
Dass ihr jetzt mit Emmanuel Macron ein Jungspund den Rang abläuft, der sich zuvor noch nie einer Wahl gestellt hat und der sich wie sie als Kandidat "anti-système" positioniert - nur am anderen Ende des Spektrums - muss sie, freundlich formuliert, irritieren.
Aber auch für frenetischen Jubel der Marcheurs, der Anhänger Macrons, ist es zu früh. Denn wenn eines sicher ist, dann das: Gewissheiten gibt es keine mehr.
Und wenn nur ein Bruchteil derjenigen, die glauben, Macron sei schon jetzt der Sieg sicher, den Urnen fernbleiben, dann hat Le Pen eine Chance, die Endrunde am 7. Mai doch noch für sich zu entscheiden und Präsidentin Frankreichs zu werden.
Denn ihre Unterstützer, so viel steht fest, werden wählen gehen.
Quelle : spiegel.de
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