Frankreich vor dem Neustart

  25 April 2017    Gelesen: 583
Frankreich vor dem Neustart
In Frankreich herrscht seit vielen Jahren ein politisches System, das kaum noch jene Probleme zu lösen vermag, die es selbst geschaffen hat. Endlich besteht die Chance, dass sich das ändert.
Es ist nun an der Zeit, aus dem Élysée-Palast ein schönes Museum zu machen. Er hatte seine Glanzmomente, seine dunklen Stunden, hat zahllose Affären und Skandale gesehen und mindestens ein Mensch hat sich dort das Leben genommen. Nun ist es genug. Etwas Neues beginnt in der französischen Republik und da ist ein Umzug passend. In eine zivile Regierungszentrale, in der einfach gearbeitet wird. Ohne goldene Säle, Spiegel und Flügeltüren, die von livrierten Dienern aufgerissen werden.

François Hollande, früher ein biederer, geistreicher Mann, hat sich dort verlaufen. Er wanderte abends allein durch den Palast und gab jedem Journalisten, der ihn sehen wollte, Auskunft über alles, was ihm gerade durch den Kopf ging. Seine Minister, die Außenpolitik, die geheimen Militäreinsätze oder wo die Terroristen wohl als nächstes zuschlagen. Wer sich die vielen Bücher durchlas, die die Interviews mit ihm füllten, musste am Urteilsvermögen des Palastbewohners zweifeln.

Zuletzt nur noch peinlich

Der Palast ist das Symbol eines politischen Systems, das kaum noch jene Probleme zu lösen vermag, die es selbst schafft. Eine personelle Erneuerung wie in Deutschland nach der Wiedervereinigung, dem Umzug nach Berlin, der CDU-Spendenaffäre und der Agendapolitik der SPD, hat nicht stattgefunden. In Frankreich, das wäre die Analogie, regiert immer noch der "Andenpakt" der Union und die zweite Garde der Enkel von Willy Brandt. Und auch die das Land belastenden historischen Komplexe wie der Kolonialismus, die Kollaboration und der Algerienkrieg, wurden nie beherzt und öffentlich aufgearbeitet. Aufklärerische Reden über die nationale Vergangenheit, wie sie von Richard von Weizsäcker bis Joachim Gauck alle Bundespräsidenten hielten, sind in Frankreich viel zu selten gehalten worden.

Frankreich verblüfft die Welt immer wieder mit kühnen Denkerinnen, düsteren Literaten und ambitionierten Köchen, Künstlern, Modeschöpfern - aber das politische Spitzenpersonal war lange schon enttäuschend und zuletzt nur noch peinlich. Der Wahlkampf der etablierten Parteien glich einem deprimierenden Wanderzirkus, in dem der Akrobat zugleich der Clown ist und traurige Kinder die müden Pudel durch den Ring scheuchen. Die Geschichten aus der Familie Fillon - der nach der üblichen Politarithmetik an der Reihe gewesen wäre, Präsident zu werden - strapazierten die Geduld mündiger Bürger, man wollte das alles gar nicht mehr wissen. Oder, das war mein Fall, man gab sich jedes Detail und fragte sich, wann Lars von Trier diese Serie ins Fernsehen bringt.

Die Misere beginnt an der Spitze

So ist nicht das ganze Land. Wenn man durch Frankreich fährt, muss man oft staunen über den anarchischen Geist, die Eigensinnigkeit und schräge Improvisationskunst der Franzosen. Darum führten all die Berichte, die vor der Wahl das ganz normale Frankreich, also Besuche in Provinzen, mittleren Städten und Dörfern beschrieben, nur bedingt weiter - die Franzosen meistern ihr Leben, oft auf verblüffend einfallsreiche Weise.

Aber die Misere des Landes beginnt an der Spitze und im ersten Arrondissement von Paris. In einer republikanischen Monarchie ist der Präsident auch ein habituelles Vorbild: Die Minister, Präfekten, Schuldirektoren imitieren ihn, reden wie er, handeln oder zögern wie er. Steht an der Spitze der Staatsmaschine ein unsicherer, sich selbst suchender Mann, geht im ganzen Land nichts voran.

Seit zehn Jahren leiden die Bürger an Präsidenten, die alle in sie gesetzten Erwartungen enttäuschten. Das gilt noch nicht einmal für die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung, da ist die Lage besser als die Wahrnehmung. Nein, Sarkozy und Hollande waren als Person nicht auf der Höhe. Es waren die ewigen Privatgeschichten, die Schüchternheit vor der extremen Rechten, die oft nur aus schlichtem Beliebtheitsstreben getroffenen, schrägen Entscheidungen, die den Franzosen den letzten Nerv raubten.

Was hat es eigentlich gebracht, als Frankreich sich mehr schlecht als recht erholte von den Attentaten des November 2015, mit dramatischer Geste die Aufhebung der doppelten Staatsbürgerschaft von Terroristen als große Problemlösung zu verkünden? Diese Massenmörder sterben selbst bei ihren Aktionen, es ist ihnen völlig egal, welchen Pass sie haben. Das war Politik nach Art der frühen Neuzeit, als Stadträte, um ihre Bevölkerung zu schützen, kurzerhand die Pest verboten haben. Innenpolitisch kam dann nicht viel mehr - es gab keine kulturelle Offensive zur Bekämpfung der Radikalisierungswege. Und außenpolitisch gab es einen Militäreinsatz, wie gehabt. Nichts davon hat Frankreich sicherer gemacht.

Fünf Jahre lang im Aufzug festgesteckt

Sowohl Sarkozy als auch Hollande waren von einem unendlichen Mitteilungsdrang beseelt, der den notorisch scheuen, diskreten Franzosen das Gefühl vermittelte, mit diesen Männern in einem Aufzug festzustecken, fünf lange Jahre lang.

Männer, die ihre eigenen privaten und sonstigen Probleme weniger gut lösen können, als jeder Bürger es draufhat. Und vor den beiden lagen die beiden Amtszeiten Chiracs, in denen wenig passierte. Und davor die zweite Amtszeit Mitterrands, in der er schwerkrank war.

Sollte das so weitergehen? Mit atemberaubendem Furor setzte darum Ende letzten Jahres die Gegenbewegung ein: Sarkozy musste ausscheiden, bald darauf auch Hollande. Auch die ehemaligen Premierminister Manuel Valls und François Fillon kamen nicht weiter. Zum ersten Mal seit dem Krieg kommen Menschen in die Stichwahl, die eine Berufserfahrung überwiegend außerhalb der Politik haben.

Paradoxerweise profitiert Marine Le Pen von dem hohen Ansehen, dass die Bundeskanzlerin auch in Frankreich genießt: Eine Frau, die im Leben steht - das erscheint attraktiv und die anderen haben es gar nicht im Angebot. Sie wirkt ja auch nett und hat sich wirklich Mühe gegeben - leider ist die vom Vater geerbte Politik hasserfüllt, menschenverachtend und völlig zerstörerisch.

Aber weil die letzten beiden Präsidenten vom Erfolg des Front National so eingeschüchtert waren und dessen rechtsextremes Getöse mit dem Volkswillen verwechselten, sagt das in Frankreich kaum noch jemand mit der angemessenen Deutlichkeit. Emmanuel Macron wird vieles von alldem ändern. Auch er muss sich freilich in Acht nehmen: der Palast hat noch keinem Glück gebracht.

Quelle : spiegel.de

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