Sexspiele, Rituale, Mobbing bei der Bundeswehr

  27 April 2017    Gelesen: 814
Sexspiele, Rituale, Mobbing bei der Bundeswehr
Sexspiele, Rituale, Mobbing: Nach den Skandalen bei der Bundeswehr ordnete Ursula von der Leyen eine Untersuchung durch Kriminologen an. Deren Chef Christian Pfeiffer sagt hässliche Enthüllungen voraus.
Der Kriminologe Christian Pfeiffer rechnet bei seinen Recherchen innerhalb der Bundeswehr mit weiteren unangenehmen Enthüllungen. Konkret geht der Experte von einer großen Zahl von bisher unbekannten Fällen von sexuellen Übergriffen, Mobbing oder brutalen Aufnahmeritualen bei der Bundeswehr aus. Diese will er mit einer Art Feldstudie aufdecken.

Die jüngst bekannt gewordenen Fälle wie die sexuell-perversen Praktiken bei der Sanitäterausbildung in Pfullendorf oder bei den Gebirgsjägern seien vermutlich "nur die Spitze eines Eisbergs", heißt es in einem Papier Pfeiffers über die Studie "Sexuelle Übergriffe, Rohheitsdelikte und Mobbing in der Bundeswehr" - die eigentlich zeigen sollte, wie energisch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen gegen mögliche Fehlentwicklungen in der Truppe vorgeht.

Nach den jüngsten Skandalen engagierte die CDU-Politikerin umgehend Pfeiffer, der an der Universität Hannover lehrte und von 2000 bis 2003 niedersächsischer Justizminister war, als prominenten Chef-Aufklärer, der für sie aufräumen soll.

Am Mittwochmorgen setzte die Verteidigungsministerin ziemlich überraschend den Chef des Heeres-Ausbildungskommdos ab, da er und seine Rechtsberater nicht nur im Fall Pfullendorf wenig energisch gegen beschuldigte Soldaten ermittelt haben sollen. Damit hat die Affäre endgültig die oberen Ränge der Generäle erreicht.

Pfeiffers Mission ist also ziemlich heikel. Zusammen mit einem ganzen Team von Wissenschaftlern soll er in einer für die Bundeswehr beispiellosen Studie recherchieren, ob sich in der Truppe ein gefährliches Eigenleben entwickelt hat. Schon die Prominenz des gern in Talkshows gesehenen Ermittlers dürfte für einige Aufmerksamkeit sorgen.

Wurden Delikte aus Angst vor Repressalien gar nicht erst gemeldet?

Konkret geht es bei Pfeiffers Studie um die Fragen, ob vor allem Anzeigen wegen sexueller Übergriffe, sogenannter Rohheitsdelikte und Mobbing unterdrückt wurden und ob sich Opfer aus Angst vor Repressalien gar nicht erst meldeten. Bestätigt sich dies, müssten Ministerin und Bundeswehr-Führung wesentlich energischer als bisher die Strukturen der Truppe ändern.

Schon in der Skizze für das Projekt von Pfeiffer finden sich ziemlich düstere Andeutungen, fast lesen sie sich wie Ankündigungen. So geht Pfeiffer davon aus, dass es bei der Truppe besonders bei sexuellen Übergriffen neben den in den letzten zwei Jahren angezeigten 230 Fällen ein erhebliches "Dunkelfeld" gibt. Also Fälle, die bisher aus Angst vor Vorgesetzten und Kameraden nicht gemeldet wurden.

Doch damit nicht genug. Nur wenige Zeilen weiter diagnostiziert Pfeiffer schon vor Beginn seiner Arbeit, dass in der Bundeswehr womöglich eine "Mauer des Schweigens" existiere, durch die "innere Struktur, das Betriebsklima und ihr öffentliches Ansehen massiv in Mitleidenschaft gezogen werden könnte".

In den letzten Monaten gab es wiederholt unangenehme Schlagzeilen für die Bundeswehr. Zuerst wurden teils sexuell-pervers motivierte Ausbildungspraktiken bei der Sanitäter-Schulung in der Kaserne Pfullendorf öffentlich. Besonders ärgerte das Ministerium dabei, dass entsprechende Beschwerden einer Soldatin über Monate nicht richtig ernst genommen worden waren.

Kurz darauf gab es Berichte über sexuelles Mobbing gegen einen Soldaten bei den Gebirgsjägern in Bayern. Beide Fälle erregten viel Aufmerksamkeit. Ministerin von der Leyen ging umgehend in die Offensive, machte die Fälle öffentlich, bezeichnete sie als abstoßend. Dann kündigte sie die breit angelegt Untersuchung durch Pfeiffer an.

Ministerin tritt riskante Flucht nach vorn an

Wie grundlegend Pfeiffer die Truppe in den nächsten zwei Jahren durchleuchten soll, wird in dem Papier erstmals sichtbar. So sind 1000 Befragungen von Anzeigenstellern geplant, die anonym über ihre Erfahrungen nach ihren Beschwerden berichten sollen. Bei der "Dunkelfeldstudie" sollen besonders Frauen und Soldaten mit einem Migrationshintergrund zu Wort kommen.

Später dann sollen Pfeiffer und sein Team noch einmal bis zu 20.000 Soldaten anonym befragen, die aus bis zu 150 Kompanien oder anderen Teilen der Bundeswehr durch einen Zufallsgenerator ausgesucht werden. Parallel dazu soll der Kriminologe noch einmal alle Akten von bisherigen Fällen analysieren und mögliche Fehler aufdecken. Die Bundeswehr legt also alle Karten auf den Tisch.

Für die Ministerin ist die Studie des Teams, das bereits im Juni seine Arbeit beginnen soll, eine riskante Flucht nach vorn. Zwar zeigt sie durchaus den Willen zur ernsthaften Aufklärung von Missständen. Auf der anderen Seite kommen gerade von der Leyen, die stets eine moderne Bundeswehr propagiert, weitere schlechte Schlagzeilen über bisher unter der Decke gehaltene Fälle nicht wirklich gelegen.

Den politischen Spagat beschreibt das Papier Pfeiffers ganz gut, auch wenn es den Namen der Ministerin nicht erwähnt. Demnach erfordere die angeordnete Recherche durch sein Team von der Führung der Bundeswehr "Mut, weil zunächst einmal eine Vielzahl von belastenden Vorgängen bekannt wird, die vorher im Dunkeln geblieben waren".

Gleichzeitig aber könne man ein "echtes Interesse" beweisen, die Strukturen aufzudecken, "die sowohl die Übergriffe als auch die Entstehung einer Schweigespirale begünstigt haben". Für das Image der Bundeswehr, die händeringend nach Personal sucht, dürfte schon dieser Vorab-Befund Pfeiffers nicht gerade förderlich sein.

Quelle : spiegel.de

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