EU-Parlamentarier attackieren Orbán

  27 April 2017    Gelesen: 629
EU-Parlamentarier attackieren Orbán
Die EU-Kommission geht erneut gegen Ungarn vor, Regierungschef Orbán weist im Europaparlament alle Vorwürfe zurück. Doch er bekommt den Unmut der Abgeordneten zu spüren.
Entrechtung von Flüchtlingen, Gängelung von Hochschulen, Presse und Nichtregierungsorganisationen, Abbau demokratischer Institutionen, ständige Stimmungsmache gegen Brüssel: Die Liste der Probleme der EU mit Ungarn ist lang. Und am Mittwoch wurde im Europaparlament deutlich, dass sie so schnell nicht kürzer werden wird. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán war gekommen, um sich höchstpersönlich der Debatte zu stellen - und er musste sich einiges anhören.

Zunächst erklärte EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans, warum seine Behörde am selben Tag ein Verfahren gegen Ungarn wegen des umstrittenen Hochschulgesetzes eröffnet hatte. Auch bei dem im März verabschiedeten Asylgesetz Ungarns habe man "ernste Zweifel", ob es mit EU-Recht vereinbar sei - oder überhaupt mit Dingen wie Menschenwürde, Menschenrechte und Toleranz. Sollte die laufende Diskussion mit Budapest nicht schnelle Ergebnisse bringen, "wird die Kommission nicht zögern, weitere Schritte zu ergreifen", drohte Timmermans.

Und dann war da noch die jüngste Anti-EU-Kampagne aus Budapest. "Brüssel will Ungarn zwingen, illegale Migranten ins Land zu lassen", hatte Orbán kürzlich in einem als Befragung getarnten Pamphlet an seine Landsleute geschrieben. "Brüssel greift unsere Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen an", lautet ein weiterer Vorwurf. Orbán ließ in dem Brief keinen Zweifel daran, welche Antworten er erwartete: "Um die gefährlichen Brüsseler Pläne zu verhindern, wird die Unterstützung des ungarischen Volks gebraucht." Die Kommission veröffentlichte am Mittwoch eine Antwort auf die "nationale Konsultation" - "um die Fakten zurechtzurücken", wie Timmermans sagte.

Anschließend musste sich Orbán selbst aus der eigenen Fraktion Kritik anhören. Die Umfrage sei "Stimmungsmache gegen Europa" gewesen, sagte EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CDU). Über das umstrittene Hochschulgesetz, mit dem Orbán offenbar gezielt die Central European University (CEU) des US-Investors George Soros aus Ungarn vertreiben will, sagte Weber: "Ich verstehe es nicht."

"Wollen Sie Bücher verbrennen?"

Der sozialdemokratische Fraktionschef Gianni Pittella griff Orbán frontal an. "Sie lügen und Sie wissen, dass Sie lügen", rief der Italiener dem Ungarn zu, der nur wenige Schritte von ihm entfernt saß. "Sie wissen, dass das Europäische Parlament nicht die Interessen eines amerikanischen Finanziers vertritt, sondern die der jungen Studenten." Notfalls, meinte Pittella, müsse die EU Artikel 7 des Lissaboner Vertrags aktivieren - jene sogenannte "nukleare Option", die bei einer Verletzung der EU-Grundwerte durch ein Land zum Entzug von dessen Stimmrechten führen kann.

Während Orbán beim emotionalen Auftritt Pittellas noch leicht amüsiert wirkte, versteinerte sich seine Mine bei den Worten von Guy Verhofstadt zusehends. "Wie weit werden Sie gehen?", fragte der Liberalen-Fraktionschef. "Werden Sie Bücher verbrennen?" Wie auf Bestellung für Verhofstadt veröffentlichte die Organisation Reporter ohne Grenzen am Mittwoch ihre neue Rangliste der Pressefreiheit. Ungarn fiel darin um vier Plätze auf Rang 71 - und liegt nun hinter Lesotho, der Mongolei und Malawi.

Orbáns Politik sei eine "moderne Version des Kommunismus" unter Stalin, schimpfte Verhofstadt: "Sie versuchen, alle Feinde auszumerzen." Er legte Orbán indirekt gar den Austritt aus der EU nahe: "Sie wollen das Geld der EU, nicht aber ihre Werte." Er habe größeren Respekt vor Euroskeptikern, die wenigstens offen sagten, "dass sie die Werte der EU ablehnen und austreten wollen".

Orbán lehnt EU-Austritt ab

Die rechtsgerichtete Brexit-Galionsfigur Nigel Farage lud Orbán daraufhin ein, dem "Exit-Club" beizutreten. Vor Journalisten sah sich Orbán später genötigt, Farage eine Absage zu erteilen. "Wir sind keine Insel, sondern leben auf dem Kontinent", sagte Orbán. "Isolation ist irrational, Zusammenarbeit ist in Ungarns Interesse." Außerdem hielten 70 Prozent der Ungarn die EU-Mitgliedschaft für eine gute Sache. Und was das Volk wolle, werde gemacht.

Und die Vorwürfe der EU? Laut Orbán allesamt ungerechtfertigt. Das Hochschulgesetz richte sich gar nicht ausschließlich gegen Soros' CEU, sondern gelte für alle - auch wenn Soros ein "offener Feind des Euros" sei und mit seinen Finanzspekulationen "das Leben von Millionen EU-Bürgern zerstört hat". Die Umfrage mit den EU-feindlichen Suggestivfragen? Man habe von den Bürgern doch bloß wissen wollen, wie sich die Regierung gegenüber der EU verhalten solle, meinte Orbán. Derartige Umfragen seien in Ungarn "inzwischen eine Gewohnheit".

Das harte Vorgehen gegen Flüchtlinge und Migranten? Ungarn schütze damit doch nur die Außengrenzen des Schengen-Raums, und das auch noch völlig selbstlos. "Wir tun das für Deutschland, Österreich und Schweden", meint Orbán. "Dafür sollten wir belohnt werden."

Man könne eben nicht verlangen, dass es in allen EU-Staaten "das gleiche Temperament und den gleichen Debattenstil gebe", sagte Orbán. Dabei müsse der Rest der EU nur seine Vorurteile gegen Ungarn ablegen. "Wenn Sie das schaffen", sagte Orbán im Plenum des Parlaments, "werden Sie dahinter frisches und innovatives politisches Denken finden." Genauso wie, das fügte er noch hinzu, in seinem jüngsten Fragenkatalog ans ungarische Volk.

Quelle : spiegel.de

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