Es muss also etwas passiert sein in den vergangenen gut drei Wochen. Das erste Malheur, keine Frage, unterlief dem Ministerpräsidenten. Torsten Albig, kein Mensch weiß warum, gab der „Bunten“ ein Interview, plauderte über seine neue Freundin und seine alte Ehe, in der die Beteiligten nicht mehr auf Augenhöhe gewesen seien.
Großer Regierungschef hier, kleine Frau am Herd dort – so kam das an im hohen Norden. Weibliche Wähler motiviert man so vermutlich nicht. Stattdessen führte Albigs Ausrutscher auf dem Boulevard offenbar dazu, dass Freund und Feind den laufenden Wahlkampf seiner Partei noch einmal unter die Lupe nahmen. Hatte der Kaiser, der drauf und dran gewesen war, wiedergewählt zu werden, eigentlich auch Kleider? Viel war da nicht zu sehen.
Stilvoll geht anders
Inhaltlich hatte die SPD auf einen reinen „Gerechtigkeitswahlkampf“ gesetzt. Als Beleg dafür diente ein Kindergarten-Zuschuss – über den das Land allerdings schon seit fast zwei Jahren debattiert hatte. Damit konnte man in Wahrheit keinen einzigen Unentschlossenen mehr aus dem Sofa holen. Eine Allerwelts-Plakatkampagne aus der Mottenkiste – „Mehr Gerechtigkeit für Alle“ – tat ein Übriges.
Und ein weiterer Fehler des Ministerpräsidenten. Im TV-Duell verpasste Albig einen Einsatz als souveräner Regierungschef. Unbewiesene Beschuldigungen („Sie haben mich mal Ver.di-Schlampe genannt“) einer Sozialdemokratin gegen CDU-Mann Daniel Günther ließ der Regierungschef unkommentiert, auch unentschuldigt. Stattdessen machte er den ausrichtenden Sender NDR für die Peinlichkeit seiner Genossin verantwortlich. Stilvoll geht anders.
Der Vorsprung der Koalition, das zeigten die Umfragen, war damit aufgebraucht. Eine erneute Wende gelang der SPD nicht. Wie paralysiert verharrte die Partei im Wahlkampfendspurt in ihrer Vergangenheit: Lobte sich für ihre humane Flüchtlingspolitik, die gute Zusammenarbeit mit dem SSW und das harmonische Klima in der Küstenkoalition – als ob das irgendjemanden interessieren würde.
Einen Plan für die kommenden fünf Jahre, etwas, das die Menschen mit weiteren fünf Jahren Küstenkoalition hätten verbinden können, fiel Albig und seinem bis zur Selbstverleugnung loyalen Landesvorsitzenden Ralf Stegner nicht mehr ein.
Die Quittung erhielten beide am Wahlsonntag.
Quelle : welt.de
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