Der späte Triumph des Sigmar Gabriel

  09 Mai 2017    Gelesen: 856
Der späte Triumph des Sigmar Gabriel
Sigmar Gabriel ist erst seit gut 100 Tagen deutscher Außenminister. In der kurzen Zeit ist ihm etwas gelungen, um das er sich vorher Jahre lang vergeblich bemüht hat.
Sigmar Gabriel und Jean-Claude Juncker schlagen mit ihren Händen ein, kumpelhaft wie zwei Fußballspieler. Der EU-Kommissionspräsident hat gerade "Neuvermessungen" vorgestellt, das neue Buch des deutschen Außenministers. Die beiden Politiker sitzen auf einer Bühne im voll besetzten Raum in der niedersächsischen Landesvertretung, umringt von Kameramännern und Fotografen.

Wenige Stunden vorher an diesem Montagmorgen musste man schon suchen, um Gabriel zu entdecken. Er stand im Atrium der SPD-Zentrale, kaum sichtbar in der hintersten Reihe. Und mit großem Abstand zu Kanzlerkandidat Martin Schulz, der gerade die Wahlniederlage in Schleswig-Holstein erklären musste. Gabriel ist diese Rolle los, seit er nicht mehr Parteichef ist. An diesem Morgen ist es gar nicht schlimm, nur Randfigur zu sein. Für einen Abstieg steht das Bild ohnehin nicht. Gabriel ist seit Januar Bemerkenswertes gelungen - ein Rollenwechsel, dem ihm so viele nicht zugetraut haben.

Noch Ende Januar konnte man meinen, Gabriel sei großer Verlierer und tragische Figur. Nach seinem Rückzieher und Schulz' Kür zum Kandidaten schoss die SPD in den Umfragen in kürzester Zeit von 20 auf mehr als 30 Prozent hoch. Die Partei war in einem Rauschzustand, wie sie ihn lange nicht erlebt hatte, in einer Gabriel-ist-endlich-weg-Beschwingtheit. Der 57-Jährige wechselte damals vom Wirtschafts- ins Außenministerium. Nicht nur im Auswärtigen Amt gab es Skepsis, ob er für das Amt überhaupt geeignet sein würde. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Frank-Walter Steinmeier war er bisher für vieles bekannt, aber eben nicht für sein diplomatisches Auftreten. Dazu mischte sich der Spott darüber, dass Gabriel seinen Rückzieher und den Wechsel ins Außenministerium auch damit begründete, mehr Zeit für die Familie haben zu wollen. Für den Mann aus Goslar, der hart mit sich gerungen hat, müssen es schwierige Tage gewesen sein.

"Er macht das gut"

Dennoch dürfte Gabriel seine Entscheidung heute nicht bereuen. Er wird sogar mit Genugtuung darauf zurückblicken. So chaotisch er seinen Rückzug damals präsentierte: Sogar bei der Konkurrenz loben sie ihn, sowohl für seinen Schachzug als auch für seine Arbeit als Außenminister. "Er macht das gut", sagt ein Außenpolitiker der CDU n-tv.de. Gabriel habe von Anfang an sicher gewirkt, er sei ehrlich und komme schneller auf den Punkt als sein Vorgänger. Das ist keine exklusive Sichtweise. Jahrelang schien es, als seien Gabriels Popularitätswerte auf Tiefststand einbetoniert. Er galt als sprunghaft. Inzwischen ist Gabriel drittbeliebtester deutscher Politiker und liegt sogar vor Kanzlerkandidat Schulz. Gut möglich, dass er mit diesen Werten im Januar nicht einem anderen den Vorzug gegeben hätte. "Neuvermessungen" hat Gabriel nach eigenen Angaben schon geschrieben, bevor er wusste, dass er Außenminister wurde. In seinem Buch skizziert er auf 236 seine Sicht auf die Weltpolitik, ein Plädoyer für ein starkes Europa.

Rezensent Juncker lobt das Werk wortreich. Einen Seitenhieb mag sich der Luxemburger mit dem speziellen Humor aber nicht verkneifen. Er habe gedacht, Gabriel würde "in Sachen Neuvermessungen seines Bauchumfangs Erkenntnisreiches" beitragen. Beide lachen. Gabriel ist erst 101 Tage Außenminister, aber hat sich überraschend schnell ins Amt eingearbeitet. Er traf den neuen amerikanischen Außenminister in Washington, sprach in Moskau mit Präsident Wladimir Putin und seinem ausgebufften Außenminister Sergej Lawrow. Nach einem Streit mit Israels Premier wurde er kritisiert, erhielt aber sogar aus der Union überwiegend Unterstützung. Gabriel lernt rasch. In seinem neuen Job hilft es ihm, dass er immer schon leidenschaftlicher Europabefürworter war. An diesem 8. Mai, dem Tag der Befreiung, spricht er über das nah gelegene Holocaust-Denkmal. Dankt in Richtung Juncker dafür, dass Franzosen, Luxemburger und Belgier einst "ausgerechnet Deutschland an den Tisch der zivilisierten Völker" einluden. "Uns ist ein Schatz übergeben worden", sagt Gabriel. Oft nennt er an diesem Tag den Namen von Emmanuel Macron, dem neu gewählten französischen Präsidenten. "Wir sind auch privat befreundet", sagt Gabriel.

Spitzen gegen Merkel und Schäuble

Was ist noch übrig vom alten Gabriel? Noch immer sind sie sich auch in der SPD nicht so sicher, ob er sich aus dem Wahlkampf raushalten kann. Der SPD-Kanzlerkandidat hält zeitgleich eine Rede über seine wirtschaftspolitischen Pläne. Während der Buchvorstellung fällt der Name von Schulz nicht ein einziges Mal, aber auch bei Gabriel schwingt unüberhörbar Wahlkampf mit. Der Frage nach Ratschlägen für seine Partei kommt er indirekt gerne nach. Wie Macron wirbt Gabriel für Investitionen. Er mahnt, beim Thema Haushaltsdisziplin nicht zu streng zu sein mit den Franzosen. Spricht über die Ex-Kanzler Helmut Kohl und Helmut Schmidt sowie den früheren Außenminister Hans-Dietrich Genscher. Gabriel mahnt: "Wir brauchen ein bisschen mehr Bonner und ein bisschen weniger Berliner Republik." Es ist eine deutliche Spitze gegen die Kanzlerin und den für seine Spardisziplin bekannten Finanzminister Wolfgang Schäuble. Gabriel, der im Gesicht schmaler geworden ist, zeigt sich jedoch auch etwas selbstkritisch. Im Koalitionsvertrag habe man zu wenig Wert auf Europa gelegt. "Der Nächste wird, wenn wir daran teilhaben, viel stärker auf Europa konzentriert sein. Diesen Fehler werden wir nicht noch einmal machen", sagt Gabriel.

Sein Buch trägt den Untertitel "Was da alles auf uns zukommt und worauf es jetzt ankommt." Ein Hinweis, dass er noch was vorhat. Die Chancen stehen nicht schlecht. Nach einem Wahlsieg der Genossen dürfte Gabriel ersten Zugriff auf die begehrtesten Posten haben. Auch mit einer Neuauflage der Großen Koalition, in der die SPD nur Juniorpartner ist, könnte er notfalls gut leben. Mit großer Wahrscheinlichkeit könnte er sein Amt dann behalten. Es ist der große Luxus des Sigmar Gabriel: Fast egal, wie das Jahr für die SPD verläuft, für ihn kann es jetzt eigentlich schon kein Schlechtes mehr werden.

Quelle: n-tv.de

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