Auf Tour mit Bob Marley

  11 Mai 2017    Gelesen: 7247
Auf Tour mit Bob Marley
Kicken, kiffen und Konzerte! 1976 tourte Bob Marley erstmals durch Deutschland. Ständig an seiner Seite: Teja Schwaner. Der Musikjournalist erinnert sich an Bibelstunden im Tourbus, Fußball im Hotelgarten - und eine Offenbarung in Marleys Hotelzimmer.
Ich prahle immer: Das Live-Album zu Bob Marleys erstem Europa-Konzert ist eine Platte, auf der ich mitsinge. Es war das erste Mal von vielen, dass ich Bob Marley live gesehen habe. An diesem Abend im Lyceum Ballroom in London am 19. Juli 1975 war ich schon mehr als 30 Jahre alt und arbeitete bereits einige Zeit als Journalist für die Musikzeitschrift "Sounds". Mit einem Kollegen stand ich im Publikum und wir warteten auf den Anfang des Konzerts, zwei abgebrühte Musikjournalisten, die dort mit so einer Einstellung angereist waren: Mal sehen, ob das was wird.

Dann kam Marley auf die Bühne. "All the way from Trenchtown, Jamaica - Bob Marley and the Wailers..." - und wir waren wie gefangen von der ersten Sekunde des Konzerts bis zum Ende. Dabei hat Marley während des gesamten Auftritts kaum etwas gesagt. Aber seine Ausstrahlung war unglaublich. Die Verbindung zwischen Marley und dem Publikum funktionierte wortlos, chemisch könnte man sagen. Bei "No Woman No Cry" hätte ich fast geweint, so sehr berührte mich die Musik. Es ist das erste Live-Album, das von Bob Marley veröffentlicht wurde, und man kann darauf wirklich hören, wie hingerissen alle waren.

Ein Jahr darauf, an Pfingsten, stand Bob Marleys erste Deutschland-Tour an - und ich durfte die Band drei Tage lang im Tourbus begleiten. Die Stationen waren Offenburg, Düsseldorf und Hamburg. Die Reise begann aber in München, wo ich ein Interview mit Marley führte. Was er über Deutschland wisse, fragte ich ihn. Seine Antwort: "Hitler, Müller, Beckenbauer".

"Bumbacloth" und Bibelstunden

Dazu muss ich sagen, dass es sehr schwierig war, Marley überhaupt zu interviewen. Obwohl er sich redlich Mühe gab, mit Reportern so zu sprechen, dass sie ihn verstanden, redete er mit starkem Patois-Akzent. Bei der Sprache der Jamaikaner ist nicht nur der Akzent schwierig, sondern auch die Wahl der Wörter. "Bumbacloth" etwa heißt Monatsbinde und kann auf Jamaika die schlimmste Beschimpfung sein. Aber wenn einer der rüden Rasta-Boys auf Jamaika begeistert ist, ruft er auch schon mal voller Inbrunst: "Bumbacloth!" Da muss man sich erst mal reinfinden.

Zudem konnte durch Marleys Marihuana-Konsum keine richtige Interview-Atmosphäre aufkommen. Er war bestimmt 90 Prozent der Zeit bekifft. Das war sein Normalzustand. Und dieses Bekifftsein hindert dich als Interviewer unbewusst, Fragen zu stellen, die rein rational sind. Du spürst einfach: In diesem Zustand ist Rationalität nicht angesagt.

Im Tourbus saß Marley immer ganz vorne. Ich war die meiste Zeit hinten und unterhielt mich mit dem Keyboarder Tyrone Downie und Neville Garrick. Neville spielte in der Band ein bisschen Percussion und gestaltete die Cover der Alben. Die Band hatte auch einen eigenen Koch dabei. Michael war dafür zuständig, das nach Rasta-Regeln zubereitete Ital-Food zu kochen. Etwa das sogenannte "Irish Moss", eine Flüssigkeit, die aus Algen besteht, die man nur in der Karibik hochtauchen kann. Das gallertartige Getränk wurde warm in der Thermoskanne serviert, gelierte beim Abkühlen und schmeckte wie Qualle. Aber die Band trank es kannenweise. "It goes right to the bone, man", sagten die Musiker.

Im Tourbus wurde Michael dann zum Bibelausleger. Bei längeren Busfahrten scharten sich die Rastas um ihn, nach dem Zufallsprinzip schlug Michael die Bibel auf, las einige Seiten vor und dann wurde gemeinsam über den Text diskutiert.

Völkerverständigung per Fußball

Für das Konzert in Offenburg wurde die Band in einem kleinen Schlosshotel in Ludwigsburg untergebracht. Am Abend gab es eine hitzige Diskussion zwischen Bob Marley und seinem Manager Don Taylor, einem unsympathischen Miami-Typen mit Goldketten. Die Marihuana-Reserven wurden knapp. "Ganja", so nennen es die Vertreter der jamaikanischen Obrigkeit, die seinen Genuss unter Strafe stellen, "Herb" heißt die Rauchware bei den Rastas. Das "Heilkraut der Völker", wie sie es auch nennen, gehört zu ihrem Leben wie zu ihrem Glauben, gehört zur Musik der Wailers wie die Töne aus dem Bass von "Family Man" Barrett. Aber in Ludwigsburg gab es damals keine Dealer.

Hier konnte ich helfen, denn ich hatte im Garten hinter meinem Haus an der dänischen Grenze mein eigenes Gras angebaut. Und da das Wetter vor der letzten Ernte unglaublich gut gewesen war, hatten die Pflanzen viel Sonne gekriegt. Ich werde nie Marleys Worte vergessen, als ich mein Gras überreichte, er sich den Joint anzündete und nach den ersten Zügen sagte: "It's mighty mellow, man, it's mighty mellow." Dieser Satz beschreibt eigentlich das Grundgefühl dieser Tage mit ihm und seiner Band.

In den siebziger Jahren mit einem halben Dutzend Schwarzer mit langen Rastalocken in der deutschen Provinz aufzutauchen, sorgte natürlich für einiges Aufsehen. Als die Band auf dem Edelrasen des Hotels Fußball spielte, jeder mit einem Joint im Mundwinkel, staunte die Hochzeitsgesellschaft, die an diesem Abend im Hotel feierte, nicht schlecht. Alle in der Band waren richtig gute Fußballer und Marley selbst spielte wie ein Wiesel.

Sie spielten nicht auf Tore, sondern kickten sich den Ball im Kreis zu. Ein halbes Stündchen konnte ich mitmachen, dann musste ich erschöpft aufgeben. "Klar, Mann", sagte "Family Man", "die spielen noch stundenlang." Je länger es ging, desto seltener berührte der Ball den Boden. Dabei wurden sie entgeistert und doch bewundernd betrachtet von Herren in Smoking und Damen in weißen Nerzen, die sich in Grüppchen auf der Terrasse versammelten, um das exotische Schauspiel zu betrachten. Am meisten wunderte die Hochzeitsgäste dabei, dass man beim Spiel rauchte - gut, dass sie nicht wussten, was dort inhaliert wurde.

"The wall is gonna fall"

Nach dem Konzert in Offenburg war Düsseldorf die nächste Station. Im Tourbus fragte mich die Band, wie es denn sei mit East-Germany und West-Germany. Als ich ihnen von der Mauer und der Todesgrenze erzählte, reimte einer plötzlich: "The wall is gonna fall." Aber es war 1976 und es sah nicht im Geringsten nach Wiedervereinigung aus. Als ich einwenden wollte, dass dies mit ziemlicher Sicherheit niemals geschehen würde, sagten die nur: "Don't you worry", und reimten einfach weiter. "The wall is gonna fall, the wall is gonna fall."

Auch Marley selbst zeigte auf dieser Tour, dass ein Prophet in ihm steckte. Als in Offenburg das Freiluftkonzert von der Polizei abgebrochen wurde, weil man nur bis 22 Uhr Genehmigung für den Auftritt hatte, reagierte er völlig gelassen und drehte sich in der Kabine einen seiner Riesenjoints. "Das ist das System. Macht nichts", sagte er, "alles wird in Ordnung kommen. Wir werden gewinnen, denn die Wahrheit ist auf unserer Seite. Auch die Deutschen werden zur Wahrheit tanzen. Die Wahrheit heißt Reggae."

Schon da schien er zu wissen, was kaum einer sonst ahnte. Der Reggae würde in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre auf der ganzen Welt zu einem ungeheuer wichtigen musikalischen Einfluss werden. Höchsten Anteil daran hatte Marley selbst, der bis zu seinem Tod, auch schwer vom Krebs gezeichnet, noch unermüdlich auf musikalischer Missionsreise unterwegs war.

"Redemption Song" im Hotelzimmer

Eine Situation, die Marleys inniges Verhältnis zu seinen Liedern zeigt, trug sich auf der letzten Station unserer gemeinsamen Reise zu. Wir waren im Hotel Interconti in Hamburg und durch Zufall kam ich in Bob Marleys Hotelzimmer. Was ich dort sah, bewegte mich zutiefst: Bob Marley stand dort ganz allein mit seiner Gitarre, sah aus dem Fenster und spielte "Redemption Song". Irgendwie konnte ich in diesem Moment sehen, wie tief die Musik aus seinem Innern kam.

Es war bestimmt nicht leicht, Bob Marley zu sein, als Messias des Reggae gefeiert zu werden. Wie sollte er all die Ansprüche einlösen? Botschafter des Reggae, Repräsentant von Jamaika und von eigentlich allen unterdrückten Schwarzen auf der Welt.

Am 11. Mai 1981 rief mich ein Freund an und sagte: "Bob Marley ist tot." Ich hatte schon damit gerechnet. Denn in seinen letzten Monaten hatte Marley sich in Deutschland behandeln lassen. Einige Wochen zuvor hatte mir die Plattenfirma angeboten, ihn noch ein letztes Mal zu interviewen. Ich habe abgelehnt. Ich wollte nicht dem Todgeweihten entgegentreten und ihn fragen, ob er noch ein paar letzte Worte hat. Ich hätte es auch nicht gekonnt.

Mein erster Gedanke, als ich von seinem Tod mit nur 36 Jahren hörte, war: Das musste wohl so sein. Bis heute glaube ich, dass er sich so verausgabt hat, dass sein Körper dem Krebs schutzlos ausgeliefert war. Bob Marley hat sich über Jahre buchstäblich die Seele aus dem Leib gesungen und am Ende war einfach nichts mehr da, was diesen Leib hätte zusammenhalten können.

Quelle : spiegel.de

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