“Winterkrieg“: So eiskalt kann die Hölle sein

  24 November 2015    Gelesen: 634
“Winterkrieg“: So eiskalt kann die Hölle sein
1939 beginnt die Neuordnung Europas. Während Nazi-Deutschland Polen überrennt, macht sich auch die Sowjetunion daran, ihr Territorium auszuweiten. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Karelischen Landenge - und Finnland.
Wer derzeit Pegida und andere fremdenfeindliche Gruppierungen in Deutschland aufmarschieren sieht, fühlt sich zurückversetzt in eine andere Zeit. Egal, wie alt man ist, jeder kennt den Zweiten Weltkrieg und welche Zerstörung und Leid er gebracht hat. Wer es vergessen hat, kann sich davon bei Dutzenden, ja Hunderten Hochglanz-Hollywoodfilmen noch einmal ein Bild machen. Oder er greift zu einer äußerst realistischen finnischen Produktion, deren Authentizität den Zuschauer erschauern lässt: "Winterkrieg".

Im Herbst 1939 beginnt sich das Bild Europas zu verändern. Nazi-Deutschland überrennt Polen. Und auch die Sowjetunion erweitert ihr Territorium. Ein Hauptaugenmerk liegt dabei zunächst auf der Karelischen Landenge. Moskaus angeführter Grund: der Schutz Leningrads. Die Sowjetunion stellt Forderungen an Finnland. Helsinki verhandelt - und lehnt ab. Die Invasion der Roten Armee in Finnland ist damit besiegelt.

Zwischen 400.000 und 500.000 Rotarmisten sind daran beteiligt. Sie treffen auf eine zahlen- und materialmäßig hoffnungslos unterlegene finnische Armee. 250.000 Soldaten kann sie maximal entgegensetzen. 250.000 Soldaten und 30 Panzer. Eine Panzerabwehr ist so gut wie nicht vorhanden - von Flugzeugen ganz zu schweigen. Selbst die Gewehre sind hoffnungslos veraltet. Finnland droht sang- und klanglos unterzugehen, die sowjetische Führung rechnet mit einem schnellen, verlustarmen Sieg.

Wie Pech und Schwefel

Doch aus den nackten Zahlen wird eines nicht deutlich: Die finnische Armee, ihre Soldaten, sind nicht gewillt, schnell klein beizugeben. Probleme sind dazu da, gelöst zu werden und nicht, um vor ihnen wegzurennen oder den Kopf bei minus 40 Grad in den Schnee zu stecken.

Als Maarti (Taneli Mäkelä) und Paavo (Konsta Mäkelä) ihren Dienst im Infanterieregiment JR23 antreten, ahnen sie von dem bevorstehenden Himmelfahrtskommando noch nichts. Während Maarti noch auf eine politische Lösung setzt, ist Paavo heiß darauf, den Russen zu zeigen, wo der finnische Hammer hängt. Das Brüderpaar könnte unterschiedlicher nicht sein und dennoch halten sie zusammen wie Pech und Schwefel: Maarti passt auf den jüngeren Paavo auf.

Trotz angreifender Panzer und Flugzeugunterstützung gelingt es der finnischen Armee, erste Angriffe der Roten Armee abzuwehren. Mit Mut und Einfallsreichtum: Brandflaschen - Molotow-Cocktails genannt - halten so manchen russischen Panzer auf. Der Winterkrieg droht für Moskau zu einem eiskalten Debakel zu werden.

So eiskalt kann die Hölle sein

Der gleichnamige Film des finnischen Regisseurs Pekka Parikka ist das ganze Gegenteil. Als Zuschauer liegt man gewissermaßen mit in der finnischen Kälte. Man zittert wie und mit den Soldaten ("Kälte ist gut für die Finnen." - "Ja, König Winter ist auf unserer Seite."). Die Sympathien sind klar verteilt: Hier das kleine Finnland, das gegen seine Vernichtung kämpft, mit allem, was es hat. Dort die schier übermächtig erscheinende Sowjetunion mit einer Roten Armee, die, obwohl noch nicht auf dem neuesten Stand der Technik, dennoch material- und zahlenmäßig weit überlegen ist. David gegen Goliath. Gut gegen Böse. Eindeutiger geht es nicht.

Parikka packt das alles in ein wahres Kriegsepos. Mehr als drei Stunden flimmert der "Winterkrieg"im Director`s Cut über die heimischen Bildschirme. Der erste Schuss fällt nach 45 Minuten. Der Zuschauer kann die Gewissensbisse so manches Soldaten, auch auf der sowjetischen Seite, an deren Gesichtern ablesen.

Wehret den Anfängen!

Realität steht somit im Vordergrund. Der Kampf Mann gegen Mann in der finnischen Ödnis. Geländegewinne. Brüderlichkeit. Kameradschaft. Selbst im Angesicht des Todes die Menschlichkeit nicht zu verlieren - das sitzt und bewegt.

Für den Zuschauer verfliegen die Minuten, Langeweile kommt nicht auf, trotz der epischen Filmlänge. Das liegt natürlich auch an den gezeigten Darstellerleistungen und den hervorragenden Kameraeinstellungen. Dass "Winterkrieg" bereits 1989 in die Kinos kam, sieht man ihm nicht an. Dann schon vielmehr, dass er für fast 20 Jahre der teuerste Kinofilm Finnlands gewesen ist.

So wunderschön die Bilder auch sind, so brutal ist dadurch auch ihre Wirkung: Väter, aus ihren Familien gerissen; Söhne, die bereits am Beginn ihres Lebens sterben; Mütter und Töchter, deren Tränen den finnischen Schnee schmelzen lassen. Und das alles nur, weil zwei größenwahnsinnige Diktatoren nach Macht und Vorherrschaft gieren - und viele sich davon blenden ließen. Am Ende von "Winterkrieg" bleibt der Zuschauer vor dem Fernseher sitzen. Noch immer gefangen ob des soeben Gesehenen - Pegida und Co. im Hinterkopf denkt er dann: Wehret den Anfängen!

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