Merkel hatte die Moral, Kurz die Lösung

  26 Mai 2017    Gelesen: 909
Merkel  hatte die Moral, Kurz die Lösung
Österreichs Außenminister Kurz und die deutsche Kanzlerin Merkel stehen vor einem Wahlsieg. Dann wird Kurz Merkel die Kanzlerschaft gerettet haben. Sie dürfte trotz, Kurz wegen der Flüchtlingskrise gewinnen.
Der deutschen Bundeskanzlerin ist etwas sehr Erstaunliches gelungen. Angela Merkel hat in der Flüchtlingsfrage eine fulminante Wende vollzogen, ohne dies je zu kommunizieren. Sie hat ihre Gedankenfehler so beharrlich ignoriert, dass sich irgendwann niemand mehr daran erinnern konnte. Der monatelange Kontrollverlust an der Staatsgrenze wurde durch einen einmaligen humanitären Akt der Menschlichkeit ersetzt. Und das, obwohl Merkels Mantra, dass man Grenzen nicht mehr schließen kann und eine Obergrenze das Problem nur verschärfen würde, hinlänglich widerlegt wurde: von den Ländern der Balkanroute, von Österreich und von Deutschland selbst.

Denn was als einmalige Hilfestellung während eines Notfalls in Budapest begann, wurde zum monatelangen Ausnahmezustand. Über 600.000 Menschen reisten von September bis Dezember 2015 über die Balkanroute durch Österreich größtenteils nach Deutschland weiter. Rund eine halbe Million Menschen stellten 2015 in Deutschland einen Asylantrag. Die Balkanroute wurde zur staatlich geförderten Massen-Reiseroute ausgebaut, Deutschland setzte die Dublin-Verordnung aus. Doch der Zauber der Willkommenskultur fand nach der Silvesternacht in Köln ein jähes Ende und Merkel suchte nach einem eleganten Ausweg aus dem Dilemma. Diesen Ausweg fand der österreichische Außenminister für sie. Denn während Merkel menschliches Handeln und mediale Zustimmung auf ihrer Seite hatte, organisierte Sebastian Kurz die Westbalkan-Konferenz und die Schließung der Westbalkan-Route – was Merkel damals heftig kritisierte.

Die CSU wie auch die Zustimmung der Bevölkerung drohten Merkel wegzubrechen, als auf Initiative des österreichischen Außenministers das Ende des Durchwinkens politisch festgelegt wurde. Die Länder der Westbalkan-Route legten eine Tagesobergrenze fest, am 27. Februar 2016 schloss Mazedonien seine Grenze. Anfang März wurde auf dem EU-Gipfel beschlossen, dass die Balkanroute geschlossen ist. Kurz darauf trat auch Merkels EU-Türkei-Deal in Kraft. Die darin festgehaltene Abschiebedrohung für alle Flüchtlinge wurde zwar nie vollzogen, aber seither kontrollieren Nato-Verbündete die Ägäis und die türkische Polizei geht gegen Schlepper vor. Damit kam Merkel ohne Gesichtsverlust aus der Geschichte heraus und der Außenminister des kleinen Österreichs wurde zum außenpolitischen Player - ein Gewinn für beide Seiten.

14 Monate später haben sich die Umfragewerte für Merkel stabilisiert, erstmals zeichnet sich sogar wieder eine CDU-FDP-Mehrheit ab. Die Kanzlerin als ein Hort der Stabilität und Verlässlichkeit. Ihre stoische Ruhe wurde aber durch eine Emotionalität bereichert, die sie für Wähler links der Mitte wachsen ließ. Dadurch hat die Union zwar Wähler an die AfD verloren, aber deren Zustand lässt die Hoffnung zu, dass sich diese Partei demnächst selbst zerlegt.

Spahn und Bosbach decken den konservativen Rand ab

Die Flüchtlinge waren auch dank der Kommunikation Merkels und einer nationalen Kraftanstrengung bei den vergangenen drei Landtagswahlen kein wahlentscheidendes Thema mehr. Das Thema wurde vom Thema Sicherheit abgelöst. Aber kann Merkel hier punkten? Nein, darum wurden auch Jens Spahn und Wolfgang Bosbach losgeschickt, um dem Law-and-Order-Kurs der CDU Glaubwürdigkeit zu verleihen. Übertreiben dürfen sie es freilich nicht, denn vor dem wärmenden Feuer der Menschlichkeit sollen weiterhin Wähler links der Mitte ein Plätzchen finden. Merkel hat die CDU in den letzten Jahren merklich nach links und damit in die Mitte geführt und mit dieser Positionierung wird sie auch im September gewinnen. Vor Martin Schulz muss Merkel nicht mehr zittern. Schulz brachte bisher kein Thema durch und auch das jetzt eilends zusammengezimmerte Wahlprogramm der SPD erweckt die Phrasen von Respekt und Gerechtigkeit nicht zum Leben.

Export- und Haushaltsüberschüsse bei einer historisch niedrigen Arbeitslosigkeit machen baldige Steuersenkungen möglich und mit diesem Thema wird die CDU in die Wahl gehen. Merkel hat damit beste Chancen, die Wahl trotz der Flüchtlingskrise und ihrer Folgen zu gewinnen. Anders die Situation in Österreich: Hier könnte der konservative Spitzenkandidat Kurz die Wahlen gewinnen, weil Rekordarbeitslosigkeit und verschleppte Strukturreformen dem Flüchtlingsthema und seiner Bewältigung ein überbordendes Gewicht verleihen. Deutschland steht für Stillstand auf hohem Niveau, Österreich nur für Stillstand. Entsprechend groß ist die Sehnsucht nach Entscheidungen und in diese Kerbe schlägt Sebastian Kurz.

Der Außenminister macht, was er sagt, und zieht durch, wofür er steht. Vom Stil her erinnert Kurz dabei an den früheren deutschen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Er tritt auf als einer, der handelt, wenn andere zaudern, als zielstrebiger, geradliniger Akteur. Im medialen Umgang locker und souverän, setzt er sich wie selbstverständlich über bestehende Regeln hinweg. Für die politische Linke des Landes eine einzige lebende Provokation. Merkel hat wenige eigene Themen, aber sie erkennt neue Themen schneller als andere. Kurz setzt seine Themen gleich auf die Agenda der Mitbewerber und gibt dabei das Tempo vor. Woran er scheitern könnte? Wie alle politischen Ausnahmetalente an Selbstüberschätzung und fehlendem Krisenmanagement. Bis dato hat Kurz keine Fehler gemacht. Er wird sie aber machen und wie er mit Fehlern umgeht, wissen wir noch nicht. Seine Außenpolitik ist derzeit vor allem innenpolitisch motiviert. Kurzfristig kommt sein Erdogan-Bashing bei den Wählern gut an, aber wir werden die Türkei langfristig als Partner brauchen. Kurzfristig gibt es Zustimmung zu seiner Forderung nach einer Beschränkung der Familienbeihilfe, die Österreich ins Ausland überweist. Aber mit welchen Folgen?

Merkel und Kurz haben jetzt vier Monate Wahlkampf vor sich und bei aller Dynamik und Unberechenbarkeit beste Chancen, sogar mit deutlichem Abstand zu gewinnen. Die beiden Konservativen könnten so tatsächlich den Niedergang der europäischen Sozialdemokratie besiegeln. Werden damit die konservativen Traditionsparteien reanimiert und mit neuer Strahlkraft versehen? Nein, mit "La République en Marche" hat Emmanuel Macron bereits gezeigt, wohin die Reise geht. Die Zukunft liegt jenseits der etablierten Parteien und zwar dort, wo Ideologien überwunden und Bürger als Teil einer Bewegung gesehen werden. Die Zeit des Paternalismus ist vorbei – und das ist gut so.

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