"Die Bundesregierung hat nun die Pflicht, dem Bundestag mitzuteilen, ob unsere sicherheits- und außenpolitischen Ziele, die Deutschland mit der Stationierung der Aufklärungstornados in der Türkei verfolgt, auch von einem anderen Standort aus ohne Einschränkungen erfüllt werden können", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, Norbert Röttgen, dem "Spiegel". "Wenn es eine gleichwertige Alternative gibt, ist die Verlegung aus Incirlik die richtige Entscheidung", sagte der CDU-Politiker.
Nach den Worten des CDU-Verteidigungspolitikers Henning Otte muss die Regierung den Abzug aus Incirlik bereits am Mittwoch beschließen. "Für die CDU/CSU ist klar, dass wir aus Incirlik abziehen müssen - auch wenn wir dort militärisch gut aufgehoben waren", sagte er. "Das parlamentarische Besuchsrecht für uns ist unverzichtbar." Das Verteidigungsministerium sei auf eine Verlegung vorzugsweise nach Jordanien gut vorbereitet.
Die SPD-Fraktion hatte die Regierung schon vorige Woche aufgefordert, die Verlegung der deutschen Soldaten einzuleiten. CDU und CSU wollten zunächst die Gespräche von Außenminister Sigmar Gabriel in der Türkei abwarten.
"Jetzt, wo das Ergebnis vorliegt, muss die Union ihre Blockade beenden, damit der Bundestag in der nächsten Sitzungswoche den Abzug der Bundeswehr beschließen kann", sagte der außenpolitische Fraktionssprecher der SPD, Niels Annen, dem "Spiegel".
Noch kein Zeitplan für Abzug
"Die Bundeswehr muss nach diesem neuerlichen Affront der türkischen Regierung sofort aus Incirlik abgezogen werden", verlangte auch Linken-Chef Bernd Riexinger. Aus Sicht der sicherheitspolitischen Sprecherin der Grünen, Agnieszka Brugger, hat sich die Bundesregierung "mit ihrem Spiel auf Zeit blamiert und ist mit ihrem Kurs der Gutgläubigkeit völlig gescheitert". Ähnlich äußerten sich FDP-Chef Christian Lindner und der Vize-Vorsitzende der AfD, Alexander Gauland, die ebenfalls einen sofortigen Abzug forderten.
Die Grünen-Politikerin Claudia Roth warf der Bundesregierung vor, sie habe sich viel zu lange vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan an der Nase herumführen lassen. "Die türkische Regierung als enger Partner, als strategischer und als militärischer Partner fällt auf absehbare Zeit aus. Die Rüstungsexporte in die Türkei müssen nun ebenfalls umgehend gestoppt werden", sagte die Vizepräsidentin des Bundestags. Nötig sei eine vollständige Neuvermessung der deutsch-türkischen Beziehungen. "Das heißt: Klare Kante gegen Erdogan und alle Unterstützung für jene fast 50 Prozent in der Türkei, die gegen das Referendum gestimmt haben."
Gabriel hatte nach einem Gespräch mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu in Ankara mitgeteilt, die Türkei werde kein grundsätzliches Besuchsrecht für Bundestags-Abgeordnete bei den deutschen Soldaten in Incirlik gewähren. Der SPD-Politiker machte deutlich, dass es zu einem Abzug jetzt keine Alternative mehr gebe. Künftig soll sich die Truppe mit ihren "Tornado"-Aufklärungsflugzeugen und einem Tankflugzeug von Jordanien aus am Kampf gegen die Terrororganisation Islamischer Staat beteiligen. Gabriel traf in Ankara auch Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Ein Gespräch mit Ministerpräsident Binali Yildirim wurde türkischen Medienberichten zufolge aus Zeitgründen gestrichen.
Gabriel betonte, dass eine formale Abzugsentscheidung noch ausstehe und es auch noch keinen Zeitplan gebe. Wahrscheinlich wird zunächst das Kabinett und dann möglicherweise auch noch der Bundestag darüber entscheiden. Cavusoglu hatte schon vor dem Krisengespräch gesagt, die Türkei werde einem Abzug der deutschen Soldaten nicht im Wege stehen. "Wir haben sie willkommen geheißen, als sie kamen, und wenn sie gehen, dann werden wir ihnen freundlich auf Wiedersehen sagen."
"Bedingungen für einen Besuch nicht gegeben"
Der türkische Außenminister hatte den deutschen Abgeordneten zwar das Besuchsrecht auf dem Nato-Stützpunkt in Konya zugesagt, wo "Awacs"-Aufklärungsflugzeuge der Nato stationiert sind, nicht aber auf der Basis in Incirlik. "Im Moment sind die Bedingungen für einen Besuch in Incirlik nicht gegeben", sagte Cavusoglu. Er kritisierte erneut, dass die Bundesrepublik nicht ausreichend gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK vorgehe. Zugleich biete Deutschland Anhängern der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen Schutz, die die türkische Regierung für den Putschversuch vom Juli vergangenen Jahres verantwortlich macht.
Gabriel sagte bei der gemeinsamen Pressekonferenz weiter: "Wir wollen das mit unseren türkischen Kollegen in großer Friedfertigkeit machen, ohne große Auseinandersetzungen." Keine der beiden Seiten wolle, dass die Entscheidung die Beziehungen zwischen beiden Ländern weiter verschlechtere. Die Beilegung des Streits durch einen Abzug biete die Möglichkeit, "in allen anderen Punkten weiterzuarbeiten, wo wir ein gemeinsames Interesse haben".
Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei ist schon länger belastet. Gestritten wurde unter anderem über den Vorwurf mangelnder Solidarität und Massenverhaftungen nach dem Putschversuch, das Schmähgedicht des Satirikers Jan Böhmermann, die Armenien-Resolution des Bundestags sowie öffentliche Auftritte türkischer Politiker in Deutschland und Spionage-Vorwürfe gegen den Islam-Dachverband Ditib. Ein weiterer Streitpunkt zwischen der Türkei und Deutschland ist die Inhaftierung des "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel. Gabriel sagte am Montag mit Blick auf den Journalisten und auf andere Inhaftierte: "Ich habe ein paar Vorschläge gemacht, wie man vielleicht vorankommen kann bei diesen Fällen. Mein Kollege hat mir mitgeteilt, dass er diese Vorschläge weiterleiten wird."
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