"Frankreich ist zurück", konstatiert Ministerpräsident Édouard Philippe nach dem Erfolg der Partei République en Marche (REM), die mehr als 400 von 577 Abgeordneten stellen könnte: "Unser Parlament wird ein neues Gesicht verkörpern", sagt der Premier und signalisiert, dass sein jugendlicher Chef im Élysée-Palast jetzt aufs Tempo drücken wird.
Die Gelegenheit ist günstig: Die Opposition ist geschwächt, abgeschlagen oder gespalten - Konservative, Sozialisten, Rechtsextreme und linke Radikale können bestenfalls hinhaltenden Widerstand bieten. Und Macron verfügt dank der Riege neuer junger Abgeordneter über eine Truppe nur ihm ergebener Gefolgsleute.
Aktion statt Sommertheater
Damit kann der Präsident schon binnen der kommenden Wochen die Kernvorhaben seiner Agenda anschieben. Während der Ferien, wenn die Citoyens am Strand oder in den Bergen Urlaub machen, soll eine ganze Reihe gewichtiger Gesetze durchgedrückt werden. Aktion statt Sommertheater - darunter einvernehmliche Projekte ebenso wie äußerst umstrittene:
Parteiübergreifende Zustimmung findet das Gesetz zur "Moralisierung des öffentlichen Lebens". Das Paragrafenwerk räumt auf mit unrühmlichen Bräuchen im Parlament. Darunter bezahlte Lobbyarbeit oder die Beschäftigung von Familienmitgliedern auf Staatskosten.
Wenig umstritten ist auch ein Anti-Terrorgesetz zur Neuordnung von Frankreichs sechs verschiedenen Geheimdiensten. Angesiedelt unter der Verantwortung des Präsidenten, soll die Task Force des Élysée damit Überschneidungen und Kompetenzgerangel beenden.
Sorge macht Eltern und Lehrern die erneute Umstellung des Erziehungswesens: Geplant ist mehr Autonomie für die Direktoren, bei der Einteilung von Stundenplänen und Curriculum sowie die Rückbesinnung auf verstärkten Sprachunterricht, Latein und Griechisch inklusive.
Bürgermeister und Abgeordnete wettern bereits gegen Macrons Steuerreform, nach der 80 Prozent der unteren Einkommen von der Wohnungssteuer befreit werden sollen - eine Haupteinnahme von Städten und Gemeinden. Daneben sollen Beschäftigung und Investitionen gefördert sowie Unternehmen durch die Senkung von Sozialabgaben und Steuern entlastet werden. Zweifel bestehen jedoch, wie Macron im Gegenzug Staatsausgaben in Höhe von 60 Milliarden Euro einsparen will.
Für Unruhe sorgt auch die vorgeschlagene Umstellung der Renten: Die verschiedenen Berechnungen sollen nach schwedischem Vorbild schrittweise durch ein universelles Punktesystem ersetzt werden. Macron will die Reform daher schrittweise einführen - gestreckt über zehn Jahre.
Massiver Ärger droht bei der Novellierung des Arbeitsrechts, es gehört zu den umstrittensten Punkten auf Macrons To-do-Liste: Die Veränderungen zielen vor allem auf mehr Flexibilität für die Unternehmer. Branchenweite Tarifverträge, ausgehandelt mit den Gewerkschaften, könnten künftig durch firmeninterne Verhandlungen über Löhne und Arbeitsbedingungen ersetzt werden.
Die Arbeitsrechtreform, offiziell "Gesetzesprojekt für neue Freiheiten und neuen Schutz von Unternehmen und Angestellten", stößt bei den Arbeitnehmerorganisationen auf Skepsis. Proteste und Kundgebungen sollen nach dem Wunsch Macrons daher durch "intensive Konsultationen" vermieden werden. Nicht weniger als 48 Treffen zwischen den Spezialisten des Arbeitsministeriums und den Spitzen der Gewerkschaften sind binnen Wochen geplant - eine Art Speed-Dating zwischen Regierung und Sozialpartnern.
Unsicher ist freilich, ob diese Art vorauseilender Konfliktbewältigung auch funktioniert. Zumindest die kommunistische Gewerkschaft CGT sieht in den Änderungen die "Demontage von Frankreichs Sozialmodell" und hat für den 19. Juni bereits landesweite Protestkundgebungen angekündigt.
Fraglich bleibt, ob sich Staatschef Macron, gestärkt durch den Sieg bei der Parlamentswahl, vom Widerstand der Arbeitnehmerorganisationen beeindrucken lässt. Die Opposition wähnt sich bereits unter der Herrschaft einer "Einheitspartei", orakelt über eine "präsidialen Hegemonie" und warnt ironisch vor Macron als "Erdogan an der Seine".
Trotz des Triumphes an der Urne hat Macrons Parteizentrale daher rasch die Devise "Bescheidenheit, Verantwortung, Zurückhaltung" ausgegeben. Eine Woche vor dem nächsten Wahlgang könnte übertriebener Optimismus die Mobilisierung der REM-Wähler torpedieren.
Ministerpräsident Philippe warnt ausdrücklich vor verfrühtem Jubel: "Ich muss ausdrücklich die Bedeutung unterstreichen, auch am kommenden Sonntag wählen zu gehen."
Quelle : spiegel.de
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