Ab Juni kommenden Jahres dürfen Frauen dem Dekret zufolge am Steuer sitzen, wie die staatliche Nachrichtenagentur SPA meldete. Bis dahin soll alles auf die Millionen neuen Teilnehmerinnen im Straßenverkehr vorbereitet sein. Menschenrechtsaktivisten hatten seit mehr als drei Jahrzehnten gegen das Fahrverbot für Frauen gekämpft, das ein Symbol für die Unterdrückung wurde.
Viele Frauen im Land können die Neuigkeit noch nicht fassen: "Das glaube ich erst, wenn ich es mit eigenen Augen sehe", sagt Schatha Dusri, eine Angestellte der Ölfirma Aramco im Dhahran. Eine Frau twittert ein Foto von drei Frauen in einem Cabriolet auf Einkaufstour. "Bald auch wir", schreibt sie dazu. Andere spotten über ultrakonservative Geistliche, die sich so lange Zeit erfolgreich gewehrt hatten - unter anderem mit dem Argument, Frauen am Steuer förderten die sexuelle Freizügigkeit oder beschädigten ihre Eierstöcke.
Manal al-Scharif dankte auf ihrer Website allen Frauen, die an der von ihr angeführten Kampagne teilgenommen haben. "Alles änderte sich mit dem 17. Juni 2011, als wir die Frauen-ans-Steuer-Bewegung begannen", schreibt sie. Frauen, die an dieser und anderen Kampagnen für mehr Rechte teilgenommen hätten, hätten dabei ihre Freiheit oder ihre Arbeit verloren, sie hätten ihre Sicherheit aufs Spiel gesetzt und ihre Autos seien konfisziert worden. "Sie haben ihr Leben verloren, wie sie es zuvor gekannt hatten, weil sie es wagten, auf den Straßen von Saudi-Arabien zu fahren." Der Kampf sei aber nicht vorüber. "Wir fordern nicht weniger als volle Gleichberechtigung für Frauen."
Kronprinz will Königreich modernisieren
Die Entscheidung ist Teil eines gigantischen Reformprojektes: Im Rahmen von "Vision 2030" will die saudische Führung Wirtschaft und Gesellschaft des Landes umfassend modernisieren. Treibende Kraft hinter dem Projekt ist jedoch nicht der greise König, sondern sein 32 Jahre alter Sohn, Kronprinz Mohammed bin Salman. Er will die absolutistische Monarchie, in der mehr als die Hälfte der Einwohner jünger als 25 sind, auf die Zeit vorbereiten, in der die Öleinnahmen nicht mehr so fließen wie bisher.
In dem streng islamisch-konservativen Land unterliegen Frauen zahlreichen Beschränkungen: Noch immer muss ein männlicher Vormund - meistens der Vater, Ehemann oder Bruder - erlauben, dass eine Frau studieren oder reisen darf. Frauen müssen entweder für viel Geld einen Privatchauffeur nehmen oder ihr Mann muss sie fahren. Selbst fahren zu können, würde Frauen viele Arbeitsmöglichkeiten eröffnen. Unklar ist noch, ob die Frauen auch für den Erwerb des Führerscheins die Erlaubnis ihres Vormunds brauchen.
In den vergangenen Monaten gab es bereits einige behutsame Lockerungen: Erst am Wochenende begingen Männer wie Frauen den Nationalfeiertag erstmals gemeinsam tanzend auf der Straße. Frauen wurde außerdem zum ersten Mal Zutritt zu einem Sportstadion gewährt, wo sie in Begleitung ihrer Familien die Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag verfolgen konnten. Im Juli erlaubte das Bildungsministerium die Teilnahme von Mädchen am Sportunterricht staatlicher Schulen.
Kritiker fürchten PR-Aktion
Im Ausland wurde das Ende des Fahrverbots für Frauen durchweg begrüßt. US-Präsident Donald Trump sprach von einem "positiven Schritt zur Förderung der Rechte und Möglichkeiten von Frauen" in Saudi-Arabien. UN-Generalsekretär Antonio Guterres lobte den "Schritt in die richtige Richtung". Amnesty International feierte den "Mut der Aktivistinnen", deren jahrelanger Kampf das Umdenken erst ermöglicht habe.
Skeptische Stimmen sprechen aber auch von einem PR-Coup. Sie werfen Riad vor, mit den revolutionären Ausweitungen von Frauenrechten nur vom scharfen Vorgehen der Regierung gegen Kritiker ablenken zu wollen. Im September waren mehr als 20 Menschen festgenommen worden, unter ihnen einflussreiche Kleriker und Aktivisten.
Quelle: n-tv.de
Tags: