Der Sprengmeister wird zum Brückenbauer

  18 Oktober 2017    Gelesen: 785
Der Sprengmeister wird zum Brückenbauer
Für eine besondere Nähe zu Grünen oder Liberalen ist CSU-Chef Horst Seehofer nicht bekannt. Gerade deshalb fällt ihm vor den Jamaika-Gesprächen die Schlüsselrolle zu.
"Ich kann euch nur sagen: Das Verhalten der Grünen ist der Gipfel der Schäbigkeit", sagt Horst Seehofer mit heiserer Stimme. Es ist der 1. März 2017, politischer Aschermittwoch in Bayern.

Der CSU-Chef spricht über die Kritik der Grünen-Vorsitzenden Simone Peter an den Polizeikontrollen am Silvesterabend in Köln. Peter ist auch aus den eigenen Reihen scharf angegriffen worden. Schon vor zwei Monaten, Anfang Januar, hatte Peter selbst Fehler eingeräumt. Doch für Differenzierungen ist jetzt kein Platz. "Die Grünen sind das wahre Sicherheitsrisiko für unser Land", fährt Seehofer fort.

Fertig ist er damit noch nicht. "Ich wiederhole: Die Grünen sind ein Sicherheitsrisiko für unser Land. Und solange sie so denken, kommen für die CSU die Grünen als Koalitionspartner nicht infrage. Mit denen wollen wir nicht regieren." Das Publikum applaudiert begeistert.

Keine acht Monate später bemüht Seehofer sich darum, dass eine Koalition aus Union, FDP und Grünen zustande kommt. Politiker aus allen Jamaika-Parteien betonen immer wieder, wie wichtig eine gute Gesprächsatmosphäre und ein persönlicher Draht für den Erfolg von Koalitionsverhandlungen sind. Dabei fällt ausgerechnet Seehofer die Schlüsselrolle zu.

Am Dienstagabend wagt sich der bayerische Löwe in die Höhle des Bösen: Seehofer besucht die Grünen in deren Parteizentrale in Berlin. Und er klingt ganz anders als im Frühjahr in Passau. "Wir werden ja jetzt viele Wochen und Monate hoffentlich zusammensitzen", sagt er nach dem Gespräch, während Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und Parteichef Cem Özdemir neben ihm stehen. "Und ich glaube, da ist es ganz gut, wenn man sich mal persönlich kennenlernt." Die ganze Szene wirkt ein bisschen surreal: Seehofer bei den Grünen? Das spüren offenbar auch die Beteiligten. "Er hat's überlebt", witzelt Özdemir, bevor Seehofer in seinen BMW steigt und davonfährt.

"Das haben die jetzt kräftig verspielt"

Seehofer ist das, was man in den USA einen Flip-Flopper nennt: ein Politiker, der sich von seinem eigenen Geschwätz von gestern nicht aufhalten lässt. Das klingt nach Opportunismus und Sprunghaftigkeit, zeugt mitunter aber schlicht von strategischer Flexibilität. So schloss Seehofer zwei Tage nach der Bundestagswahl 2013 Koalitionsgespräche mit den Grünen klar aus. "Ich werde solche Gespräche jedenfalls nicht führen", sagte er dem "Spiegel". Und weiter: "Damit hat sich das."

Hatte es aber nicht: Zwar scheiterten die schwarz-grünen Sondierungsverhandlungen seinerzeit, aber es lag nicht an Seehofer. Ganz im Gegenteil, er war es, der den Grünen eine Brücke baute: "Sie brauchen nur Ja zu sagen, wir sind so weit", sagte Seehofer den grünen Unterhändlern, wie Wolfgang Schäuble unlängst verriet. Es war ein bemerkenswerter Schwenk.

Und jetzt? In diesem Jahr hat Seehofer schon vor der Bundestagswahl ordentlich geflippt und gefloppt. "Natürlich wären die Grünen kein angenehmer Partner", sagte er der "Welt am Sonntag" im Juli. "Aber Wahlergebnisse suchen sich ihre Partner." Im August sah die Sache ganz anders aus. "Ich habe in den letzten Wochen und Monaten zwischen den Zeilen immer wieder angedeutet, man könnte auch mit den Grünen reden, sondieren. Aber das haben die jetzt kräftig verspielt", sagte er der Münchner "Abendzeitung". Da war er kein Brückenbauer mehr, sondern ein Sprengmeister, der jeden Übergang zwischen Grünen und Union in die Luft jagte.

Wie es weiterging, ist bekannt: An diesem Mittwoch treffen sich die Spitzen von CDU und CSU zuerst mit der FDP, dann mit den Grünen. Dass CDU-Chefin Angela Merkel mit der Öko-Partei keine Probleme hat, ist bekannt. Anders als Seehofer wird ihr seit Jahren nachgesagt, eine schwarz-grüne Bundesregierung anzustreben. Ironischerweise könnte ausgerechnet Seehofer nun zum Brückenbauer zwischen Union und Grünen werden, nicht Merkel.

Erst die Grünen, dann die FDP - und dann umgekehrt


Als Symbol ist Seehofers Besuch bei den Grünen nicht zu unterschätzen. Berichten zufolge fand das Treffen auf seinen Wunsch hin statt, und auch den Ort des Treffens hatte der Bayer vorgeschlagen. Es war das erste Mal, dass er die Grünen besuchte. Vor vier Jahren machte er sich diese Mühe nicht.

Auch bei der FDP schaute Seehofer vorbei, schließlich ist das Verhältnis der Union zu den Liberalen ebenfalls alles andere als spannungsfrei. Bei der FDP nimmt man der CDU noch immer übel, wie ausgelassen sie 2013 ihren Wahlsieg feierte - und wie egal es den Christdemokraten war, dass die FDP den Bundestag verlassen musste. Die CSU, die ihre absolute Mehrheit in Bayern um nahezu jeden Preis verteidigt, ist für die Liberalen ohnehin immer ein schwieriger Partner. "Wildsau" und "Gurkentruppe", das waren in der Zeit der schwarz-gelben Koalition die Beschimpfungen, die Christsoziale und Liberale austauschten.

Dennoch dürften die krassen inhaltlichen Gegensätze zwischen Grünen und CSU die am schwierigsten zu überwindenden Hürden für Jamaika sein. Die Reihenfolge seiner Visiten hatte Seehofer zweifellos mit Bedacht gewählt: Zu den Grünen fuhr er am Dienstag, zur FDP am Mittwoch. Er besuchte die potenziellen Partner also gerade nicht in der Reihenfolge, in der die ersten Einzelgespräche stattfinden.

Sollten die Grünen das Gefühl gehabt haben, aus Sicht der Union nur an zweiter Stelle zu kommen, hat Seehofer dies vermutlich ausräumen können. Klar ist aber auch, dass er sich für seinen nächsten Auftritt beim politischen Aschermittwoch in Passau etwas einfallen lassen muss.

Quelle: n-tv.de

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