Madrid will Katalanen an die Kette legen

  19 Oktober 2017    Gelesen: 882
Madrid will Katalanen an die Kette legen
Die Katalonien-Krise nähert sich ihrem dramatischsten Akt. Regionalpräsident Puigdemont weigert sich, der Unabhängigkeit abzuschwören. Madrid greift nun zum letzten Mittel, das eine Situation herbeiführen wird, die niemand wollte.
Spanien erlebt eine historische Stunde, die niemand herbeigesehnt hat. Ein Showdown zwischen einem rebellischen Regionalpräsidenten in Barcelona und einem sturen Ministerpräsidenten in Madrid bringt das Land auf einen Weg, den niemand beschreiten wollte und von dem niemand so genau weiß, wo er enden wird. Vermutlich beginnt aber nun der vorerst letzte Akt des Katalonien-Dramas.

Um 10 Uhr an diesem Donnerstag lässt Regionalpräsident Carles Puigdemont ein Ultimatum der Zentralregierung in Madrid verstreichen. Dessen Ministerpräsident Mariano Rajoy hatte ihn aufgefordert, die Sache mit der Unabhängigkeit eindeutig zu klären. Am Dienstag vergangener Woche hatte Puigdemont gesagt, Katalonien habe nach dem Referendum vom 1. Oktober das Recht, unabhängig zu werden. Die Konsequenzen „dieser Unabhängigkeitserklärung“ würden aber vorerst außer Kraft gesetzt, um dem Dialog mit Madrid Raum zu geben. Das war wohl bewusst doppeldeutig formuliert - daher verlangte Madrid Klarheit. Puigdemont sollte sagen, ob er nun einseitig die Unabhängigkeit erklärt hatte oder nicht.

Genau das tut der Katalane dann aber nicht. In einem Brief an Rajoy bekräftigt er dagegen erneut den Willen zu einem eigenen katalanischen Staat und erneuert sein Dialogangebot. Die Regierung Rajoy kündigte daraufhin das an, was seit Wochen diskutiert wird. Sie will am Samstag den großen Gegenschlag starten, mit dem die Regionalregierung in Katalonien zur Ordnung gerufen werden soll. Es geht um den Artikel 155 der spanischen Verfassung. Der erlaubt es der Zentralregierung, eine Region zu zwingen, sich ans Grundgesetz zu halten. So allgemein ist das im Gesetzestext formuliert. Und genau das macht den Artikel zu einem heiklen Instrument - denn nun ist die Frage, was genau die Regierung in Madrid eigentlich machen will. Da das schwer zu sagen ist, zögerte Rajoy lange, den Artikel zu aktivieren.

Senat muss zustimmen

Der erste Schritt ist noch unkompliziert. Die Regierung muss den Senat über Artikel 155 abstimmen lassen, der spanischen Entsprechung des Bundestages. Dort verfügt Rajoys konservative Volkspartei (PP) über die absolute Mehrheit. Auch auf die Unterstützung der Sozialisten (PSOE) kann sich der Ministerpräsident verlassen. Die kritisieren zwar sein Krisenmanagement, können und wollen aber die Rechtsbrüche der katalanischen Regierung nicht hinnehmen. Dass die beiden verfeindeten Parteien sich ausnahmsweise einmal einig sind, zeigt, was auf dem Spiel steht. Rajoy muss dann dem Senat erläutern, welche Maßnahmen er ergreifen wird.

Wird Puigdemont jetzt verhaftet? Werden Regierungsgebäude besetzt? Wird ein Statthalter eingesetzt? All das wäre denkbar, hätte aber einen gravierenden Nachteil. Denn die massiven Einsätze der spanischen Polizei in den vergangenen Wochen haben den Separatisten jedesmal neuen Zulauf beschert. Viele fühlen sich von Madrid bevormundet, übervorteilt und unverstanden. Da werden Erinnerung an die Franco-Diktatur wach, als alles Katalanische verboten war und die Menschen nicht einmal ihre eigene katalanische Sprache sprechen durften. Die Empörung darüber wäre immens, es wäre auch nicht ausgeschlossen, dass es zu Ausschreitungen kommt - auch, wenn die Demonstrationen von Hunderttausenden in Barcelona und anderswo bislang ganz überwiegend friedlich abliefen. Sollte jemand sterben, weil die Politiker sich nicht einigen konnten, wäre das traurig fürs ganze Land. Die Hardliner würde es weiter radikalisieren.

Das weiß auch Puigdemont. Er träumt schon sein ganzes Leben von einem freien Katalonien, insofern ist es kaum überraschend, dass er nun nicht einfach so aufgibt. Die Regierung in Madrid hatte noch versucht, ihn mit Neuwahlen zu locken. Ruft Katalonien Neuwahlen aus, lässt die Zentralregierung den Artikel 155 in der Schublade, lautete das Angebot. Es war der erste konstruktive Vorschlag zu einer Lösung der Krise. Neuwahlen hätten mehr Klarheit darüber bringen können, was die Katalanen nun nach den Ereignissen der vergangenen Wochen wollen. Hätten sie sich von Puigdemont und seiner Koalition abgewandt, wäre dieser erledigt gewesen. Bei einem klaren Wahlsieg der Separatisten, hätte sich Madrid kaum einem echten Dialog verweigern können. Aber Puigdemont entschied sich dagegen.

Puigdemont hat nichts zu verlieren

Stattdessen sieht es nun so aus, als ob die Katalanen den Showdown mit Madrid verlieren. Einem massiven Polizeieinsatz hätten sie wenig entgegenzusetzen und aktiv zur Gewalt aufrufen wird diese katalanische Regierung nicht. Dafür sind dann doch alle zu sehr Europäer und Demokraten. Es wird nur darüber diskutiert, es wie Ghandi zu tun und gewaltlosen Widerstand zu leisten. Lebensfähig wäre ein katalanischer Staat sowieso noch nicht - dafür fehlen Dinge wie die eigene Währung, eigene Steuerbehörden oder ein eigener Grenzschutz. Dass mittlerweile mehr als 800 Unternehmen ihren Sitz aus der Region verlegt haben, beraubte die Separatisten zudem ihres wichtigen Arguments, dass sie wirtschaftlich ohne Spanien besser dastünden.

Puigdemont ließ es dennoch darauf ankommen. Er hat nichts mehr zu verlieren. Regionalpräsident kann er vermutlich auch dann nicht bleiben kann, wenn er doch noch Abstand von der Unabhängigkeit nähme. Seine Regierung hat mehrfach die Verfassung gebrochen, es droht ein juristisches Nachspiel. Warum also nicht aufs Ganze gehen? Daher konterte er das Angebot für Neuwahlen mit einer Gegendrohung. Aktiviert die Zentralregierung Artikel 155, ruft er einseitig die Unabhängigkeit Kataloniens aus, diesmal wirklich. Für glühende Katalanen wie ihn wäre das sicher ein historischer Moment - für alle anderen wohl eher einer, der nachdenklich macht. Das katalanische Drama begann mit dem Wunsch nach mehr Unabhängigkeit. Nun könnte es mit der zeitweiligen Aufhebung der Autonomie enden. Und das ist eine Situation, die niemand je wollte.

Quelle: n-tv.de

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