Sigmar Gabriel wird nicht mehr gebraucht

  02 November 2017    Gelesen: 706
Sigmar Gabriel wird nicht mehr gebraucht
Vier Parteien verhandeln über eine neue Bundesregierung. Wenn es nach Sigmar Gabriel ginge, dürften sie sich wohl gern noch etwas Zeit lassen. Steht Jamaika, wird aus dem langjährigen Alphatier der SPD ein Hinterbänkler.
Er war Ministerpräsident, Minister, SPD-Vorsitzender, Vizekanzler, zuletzt Außenminister – aber bald ist Sigmar Gabriel nur noch einfacher Bundestagsabgeordneter. Am 24. Oktober erhielt der 58-Jährige seine Entlassungsurkunde vom Bundespräsidenten. Während der Koalitionsverhandlungen ist er noch geschäftsführend im Amt, ein Minister auf Abruf. Es ist wohl der Anfang vom Ende seiner politischen Karriere. Wie kaum ein zweiter SPD-Politiker steht Gabriel nach der Wahl vor einem tiefen Fall. Er wird nicht mehr gebraucht.

Gabriel gilt als eines der größten Politiker-Talente in seiner Generation, stand sich in der Vergangenheit jedoch häufig selbst im Weg. In seiner langen politischen Laufbahn hat er noch keine Wahl gewonnen. 2003 verliert Gabriel das Amt des niedersächsischen Ministerpräsidenten, das er mitten in der Legislaturperiode übernommen hatte. Gabriel erhält den spottträchtigen Posten des Beauftragten für Popkultur und Popdiskurs der SPD, bevor er 2005 Umweltminister in der Großen Koalition wird. Vier Jahre später verliert seine Partei jedoch die Wahl und die Regierungsverantwortung. Gabriel wird Parteichef, tourt durchs Land, richtet die Partei wieder auf. Belohnt wird es nicht. Auch 2013 verliert die SPD. Als Vorsitzender verantwortet Gabriel die Niederlage diesmal besonders. Die chaotische Kür und der misslungene Wahlkampf von Kanzlerkandidat Peer Steinbrück gehen auch auf seine Kappe.

Weitere Rückschläge folgen. Beim Parteitag Ende 2015 strafen die Genossen Gabriel ab. Bei der Wiederwahl erhält er lediglich 74 Prozent. Sein launischer und unberechenbarer Führungsstil steht in der Kritik. Gabriel hadert mit der Kanzlerkandidatur und verzichtet schließlich erneut. Im Januar 2017 macht er Martin Schulz zum Spitzenkandidaten – in Eigenregie. Die Partei erfährt davon aus einem "Stern"-Interview, nicht einmal engste Vertraute wissen Bescheid. Im Gegenzug wechselt Gabriel ein halbes Jahr vor der Wahl für viele überraschend ins prestigeträchtige Außenministerium. Es ist eine schwierige Zeit für ihn. Die Atmosphäre in der SPD gleicht einem "Endlich ist er weg"-Gefühl. Die Partei: im Rauschzustand. Viele feiern Gabriel fast als Helden, bringt er die Partei vor der Wahl in eine aussichtsreiche Situation - danach sieht es zumindest im Frühjahr aus.

Wäre Gabriel der bessere Kandidat gewesen?

Die Stimmung dreht sich jedoch. Schnell sinkt die SPD wieder unter die 30-Prozent-Marke. Für Schulz geht es nach unten, aber für Gabriel nach oben. Als Außenminister schnellen seine Popularitätswerte in ungeahnte Höhen. Ob die Spannungen mit dem neuen US-Präsidenten oder der Streit mit der Türkei: Seine kurze Amtszeit ist so dicht gefüllt wie die vieler seiner Vorgänger in einer ganzen Legislaturperiode. Gabriel schlägt sich besser, als viele das erwartet haben. Er fühlt sich spürbar wohl in der neuen Rolle, wirkt befreit. Späte Genugtuung für einen, der oft mit seinem öffentlichen Bild gehadert hat.

Aber im Wahlkampf klappt es mit der Aufgabenteilung zwischen Schulz und Gabriel nur mäßig. Immer wieder drängt sich auch in der SPD der Eindruck auf, Gabriel mache sein eigenes Ding. Als wolle er zeigen, dass er der bessere von beiden gewesen wäre. Während Schulz am 8. Mai seine wirtschaftspolitische Grundsatzrede hält, stellt Gabriel sein Buch vor. In der SPD-Pressekonferenz am 27. Juni stielt der Außenminister dem Kandidaten die Show und liefert den Journalisten die besten Pointen. Mit seinen Auftritten auf der großen Bühne der Weltpolitik dominiert Gabriel oft die Schlagzeilen, Schulz tut sich schwer. Hätte er doch ins Kabinett wechseln sollen? Wäre Gabriel gar der bessere Kandidat gewesen?

Ende August, drei Wochen vor der Wahl, äußert sich Gabriel in einem Interview missverständlich. Er sagt, die Große Koalition sei keine Option, weil die SPD darin nicht den Kanzler stellen könne. Dies könne sie nur, wenn sie stärker abschneide als CDU und CSU. Die Agenturen melden daraufhin, Gabriel glaube nicht mehr an einen Sieg. In der SPD zucken sie zusammen. Bei Umfragewerten von kaum mehr als 20 Prozent kann Schulz solche Berichte nicht gebrauchen. Gabriel stellt klar: Natürlich habe die SPD noch die Chance, vor der Union zu landen. Er selbst hätte vermutlich wenig gegen eine Fortsetzung der Großen Koalition. Gabriel könnte sein Amt dann wohl behalten. Daraus wird nichts. 20,5 Prozent - am 24. September holen die Sozialdemokraten ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl. Schulz verkündet den Wechsel in die Opposition.

"Ich war immer verliebt ins Machen"

Gabriel trifft die Niederlage mit voller Wucht. Personen wie er und Fraktionschef Thomas Oppermann, die die Politik der Sozialdemokraten lange dominiert haben, müssen weichen. Der Generationswechsel macht Andrea Nahles zur Fraktionschefin und Lars Klingbeil zum wahrscheinlich nächsten Generalsekretär, beide keine ausgewiesenen Gabriel-Fans. Schulz beklagt in einem Schreiben an die Mitglieder, nach den Niederlagen 2009 und 2013 habe es keine ehrliche Debatte über die Gründe der Niederlagen gegeben, seien keine "echten Konsequenzen gezogen worden" – eine klare Breitseite gegen Gabriel.

Der hält sich nach der Wahl öffentlich zunächst weitgehend bedeckt - bis jetzt. Anfang November veröffentlicht die "Zeit" ein großes Interview. Zwar räumt er eine Mitverantwortung für die Wahlniederlage ein, wirft seiner Partei jedoch Verdrängung vor. "Die Behauptung, die späte Benennung des Kandidaten sei ein Fehler gewesen, ist aus meiner Sicht nur eine Ausrede, um sich mit den wirklichen Gründen für die Wahlniederlage nicht beschäftigen zu müssen." Er hätte Schulz noch später, also nach den Landtagswahlen im Frühjahr, vorschlagen sollen. Gabriel sieht die Gründe der Niederlage in der falschen Wahlkampfstrategie. Zu viel Fokus auf das Thema soziale Gerechtigkeit und zu wenig auf die Themen Sicherheit und Flüchtlinge, das sei falsch gewesen.

Wenn es um ihn selbst geht, gibt Gabriel sich in dem Interview bescheiden. Er wolle mit Patenschaften in Ostdeutschland neue Ortsvereine gründen, "da, wo es die SPD gar nicht mehr gibt". Über den Job als Außenminister sagt er: "Das ist ganz bestimmt das interessanteste Amt, das ich in meiner Laufbahn hatte." Gabriel betont: Nicht Dienstwagen oder der rote Teppich würden ihm fehlen, sondern die Aufgabe. "Ich war immer verliebt ins Machen. Jetzt merkt man: Du wirst nicht mehr gebraucht." Man kann erahnen, wie schwer ihm der Abschied fällt. Die Freilassung Peter Steudtners, der Anschlag in New York und der Streit um die katalanische Unabhängigkeit - noch darf er sich als Chefdiplomat austoben. Aber Gabriel befindet sich längst auf Abschiedstournee. Mitte Oktober traf sich das Kabinett zum Abschiedsessen. Wenn die neue Regierung steht, ist Schluss. Dann ist Gabriel nur noch einfacher Parlamentarier, einer von 709.

Wäre er doch der bessere Kanzlerkanditat gewesen? Diskutieren Sie mit auf Facebook.

Quelle: n-tv.de

Tags:


Newsticker