FDP lässt Jamaika platzen

  20 November 2017    Gelesen: 572
FDP lässt Jamaika platzen
Die Gespräche von CDU, CSU, FDP und Grünen über ein Jamaika-Bündnis sind erfolglos beendet. Die FDP erklärt sie für gescheitert. Parteichef Lindner begründet diesen Schritt. Bundeskanzlerin Merkel bedauert ihn, die Grünen kritisieren die FDP-Entscheidung scharf. Die Linken fordern Neuwahlen.
Die Sondierungen zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen für anschließende Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition sind gescheitert. FDP-Chef Christian Lindner begründete den Abbruch durch seine Partei nach gut vier Wochen mit fehlendem Vertrauen. Es sei den vier Gesprächspartnern nicht gelungen, eine Vertrauensbasis oder eine gemeinsame Idee für die Modernisierung des Landes zu finden, sagte Lindner. "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren."

Nach Wochen liege ein Verhandlungspapier "mit zahllosen Widersprüchen, offenen Fragen und Zielkonflikten vor", fügte Lindner hinzu. "Dort, wo es Übereinkünfte gibt, sind diese Übereinkünfte erkauft mit viel Geld der Bürger oder mit Formelkompromissen." Der FDP-Chef stellte klar: "Den Geist des Sondierungspapiers können und wollen wir nicht verantworten."

CDU-Politiker Jens Spahn nahm am Morgen die Sozialdemokraten in die Pflicht: "Ich fand das schon sehr irritierend, mit wie viel Häme einige bei der SPD unterwegs gewesen sind", sagte Spahn am Morgen bei ntv. "Einige SPD-Minister haben offenkundig viel Lust am Regieren. Von daher würde ich mal abwarten, wie sich die nächsten Tage entwickeln." Spahn sagte: "Die SPD wird sich auch dazu positionieren und verhalten müssen, ob sie bereit ist, Verantwortung zu übernehmen."

Deutschland sei "in Teilen gespalten und in einer schwierigen Lage", sagte Spahn. "Es besteht kein Anlass für Panik oder Kurzschlussreaktionen. Es gebe eine "handlungsfähige Regierung". Und: "Ich bin bei dieser Option Neuwahlen noch gar nicht."

Merkel: Einigung wäre möglich gewesen

Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel bedauerte den Sondierungsabbruch und betonte, dass sie sich trotzdem um Stabilität in Deutschland bemühen werde. "Ich als geschäftsführende Bundeskanzlerin werde alles tun, dass dieses Land durch diese schwierigen Wochen gut geführt wird", sagte Merkel in einem gemeinsamen Statement mit CSU-Chef Horst Seehofer.

Merkel sagte, sie werde im Lauf des Tages Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über die Entwicklung informieren. Man müsse jetzt sehen, wie sich die Dinge weiterentwickelten. "Wir, CDU und CSU gemeinsam – das sage ich ausdrücklich -, werden Verantwortung für dieses Land auch in schwierigen Stunden übernehmen."

Man sei auf einem Pfad gewesen, auf dem man eine Einigung in den Sondierungen zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen hätte erreichen können, hob Merkel hervor: "Deshalb bedauere ich es auch - bei allem Respekt für die FDP -, dass wir keine gemeinsame Lösung finden konnten." Man habe sich bereits auf einige Punkte geeinigt, die die Stabilität des Landes gestärkt hätten. Die Menschen in Deutschland hätten sich gewünscht, dass die Jamaika-Sondierungen erfolgreich gewesen wären.

Seehofer bezeichnete den Abbruch als "Belastung" für Deutschland. Eine Einigung sei "zum Greifen nahe" gewesen, so der CSU-Chef. Auch bei der Migrationspolitik wäre eine Einigung möglich gewesen. Er sei den ganzen Tag davon ausgegangen, dass es eine Einigung auf Koalitionsverhandlungen geben werde. Das hätte es ermöglicht, eine Antwort auf das Wahlergebnis zu geben, nämlich die Polarisierung zu bekämpfen und "politisch-radikale Kräfte" zurückzudrängen, sagte Seehofer.

Göring-Eckardt: "Müssen es akzeptieren"

Die Grünen-Spitze warf der FDP vor, sich vor ihrer Verantwortung gedrückt zu haben. "Ein Bündnis hätte zustande kommen können", sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Union, FDP und Grüne hätten nur noch in wenigen Punkten auseinander gelegen.

Es wäre ein gutes Signal gewesen, wenn in einem Deutschland, das so gespalten zu sein scheine, so unterschiedliche Partner Verantwortung übernommen hätten. Bei Klimaschutz, Landwirtschaft und Migration sei man am Ende näher beieinander gewesen, als man es gedacht hätte.

Göring-Eckardt dankte Kanzlerin Merkel, die gemeinsam mit den Grünen Verantwortung hätte übernehmen wollen. Die FDP habe sich anders entschieden: "Das müssen wir respektieren."

Ein kalkulierter Schritt?

Parteichef Cem Özdemir kritisierte die Entscheidung der Liberalen scharf. Die Grünen hätten bis zur letzten Sekunde die Bereitschaft gehabt, eine Koalition zu bilden. "Ein Partner hatte diese Bereitschaft nicht." Und die FDP habe dies bereits zum Start der Verhandlungen erkennen lassen.

"Es war die FDP, die vorbereitet rausgegangen ist. Ich glaube, dass der Vorsatz sehr weit entwickelt war", kritisierte Grünen-Politiker und Sondierer Jürgen Trittin. "Wir waren nicht wirklich überrascht." Man müsse aber fairerweise sagen, dass CDU und CSU eine Einigung noch möglich machen wollten.

Ein kurzer Lichtblick

CDU, CSU, FDP und Grüne hatten am Sonntag einen letzten Versuch unternommen, sich auf die Grundzüge eines gemeinsamen Regierungspapiers zu einigen. Allerdings hatte es bei den Verhandlungen in der baden-württembergischen Landesvertretung widersprüchliche Signale gegeben. Einerseits hieß es, es stehe "Spitz auf Knopf". Andererseits gab es Berichte über eine Einigung beim Thema Finanzen und weitgehende Einigungen etwa beim Thema Klima.

Der CSU-Wirtschaftspolitiker Hans Michelbach sorgte kurz vor dem Abbruch für Verwirrung, als er die Einigung auf eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags bis 2021 verkündete. Die Grünen hätten zudem einer Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer zugestimmt. Wenige Minuten später widerrief Michelbach allerdings seine Aussagen. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer hatte zuvor zur Vorsicht gemahnt. In den vergangenen Wochen war immer wieder spekuliert worden, ob die FDP die Verhandlungen würde platzen lassen.

Was passiert jetzt?

Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierung ist völlig offen, wie eine Regierungsbildung weiter verlaufen könnte. Die SPD gab bekannt, auch nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen nicht für eine Regierungsbildung zur Verfügung zu stehen. Durch die Absage der FDP an ein Bündnis mit Union und Grünen "verändert sich die Lage für die SPD nicht", erklärte SPD-Vize Ralf Stegner. "Das Ergebnis der Bundestagswahlen hat sich für die SPD durch die langen Sondierungswochen und Erklärungen anderer Parteien nicht geändert."

Nach der Wahl hatte die SPD die große Koalition mit der Union als abgewählt bezeichnet. Eine erneute Regierungsbeteiligung schlossen die Sozialdemokraten aus. Bundespräsident Steinmeier wiederum hatte die Parteien in Deutschland an die Verantwortung erinnert, eine Regierung zustande zu bringen.

Die Linken fordern nun Neuwahlen. Das wäre "die demokratisch angemessene Konsequenz", sagt Partei-Vorsitzende Katja Kipping der "Berliner Zeitung". "Mögen die Schwampel-Murkser Angst vor dem Urteil der Wählerinnen und Wähler haben - die Linke wird sich dem stellen."

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