Die Grünen geben sich staatstragend

  20 November 2017    Gelesen: 634
Die Grünen geben sich staatstragend
Es hat einfach nicht gepasst: Grüne und FDP bleiben sich fremd und sind nicht in der Lage, miteinander zu koalieren. Bei der Ökopartei ist die Enttäuschung groß, wollte man doch nach zwölf Jahren Opposition an die Regierung. Dennoch ist das Tischtuch zur Union nicht zerschnitten.
Jürgen Trittin denkt bereits voraus: "Ich rechne damit, dass es gegen Ostern Neuwahlen gibt", sagte der 63-Jährige. Seine Partei sei in den Verhandlungen "wirklich an Grenzen gegangen". Von der FDP fühle er sich "ein Stück weit veräppelt". Co-Parteichefin Simone Peter bezeichnete das Vorgehen der Liberalen als "unverantwortlich, unseriös und berechnend". Die Grünen gingen "aufrecht" aus den Verhandlungen.

Ohne Zweifel ist bei der Ökopartei die Enttäuschung groß. Die Grünen, die bei der Wahl am 24. September 8,9 Prozent erreichten, wollten nach zwölf Jahren Opposition wieder auf die Regierungsbank. Das hatten ihre Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir im Vorfeld des Votums mehrmals deutlich gemacht. Nun klappt es erneut nicht, bereits vor vier Jahren hatten die Sondierungen mit den Unionsparteien zu keinem Ergebnis geführt, so dass Angela Merkel zum zweiten Mal ein Regierungsbündnis mit den Sozialdemokraten eingehen musste.

Auch der "atmende Rahmen" hilft nicht

Die Grünen haben sich bis zum Schluss nach außen kompromissbereit gezeigt und haben das auch immer wieder betont. So kamen sie der Union in der Flüchtlingspolitik entgegen und erfanden dabei hinsichtlich der von der CSU geforderten Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr den "atmenden Rahmen". Im Gegenzug erwarteten die Grünen dafür Zugeständnisse beim Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus. Das brachte die Grünen-Verhandlungsführer in die Bredouille, denn in den eigenen Reihen rumorte es deshalb bereits. Man feilschte regelrecht mit der CSU beim Zuwanderungsthema, und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann bekam Ende der vergangenen Woche sogar einen kleinen Wutanfall. Es hatte den Anschein, dass die Jamaika-Sondierungen nur noch am christsozial-grünen Gegensatz scheitern könnten.

Wie sich jetzt herausstellt, war dem nicht so. Die Unterschiede zwischen FDP und Grünen waren ebenso bestimmend beim Scheitern der Verhandlungen. Diese Meinung vertritt auch CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn: "Zwischen FDP und Grünen ging es halt nicht." Und der von den Liberalen - gelinde gesagt - wenig geschätzte Trittin war es, der auch noch am Wochenende hohe Hürden für eine Einigung sah: Europapolitik, Verkehr, Waffenexporte und vor allem der Klimaschutz. Seinen Angaben zufolge gab es noch "50 Millionen Tonnen Kohlendioxid, die noch eingespart werden müssen".

Herbe Niederlage für Göring-Eckardt und Özdemir

Überhaupt Trittin: Dass er mit am Verhandlungstisch saß, bereitete vor allem den Liberalen Kopfschmerzen. So forderte FDP-Vize Wolfgang Kubicki von den Grünen, den ehemaligen Bundesumweltminister in den Kreis der Chefverhandler aufzunehmen. Mit Göring-Eckardt und Özdemir könne man keine Ergebnisse erreichen. Eine Jamaika-Koalition von Trittins Gnaden war das Letzte, was die FDP und auch ein Teil des schwarzen Lagers wollte. Fraktionschef Anton Hofreiter registrierte bei der FDP auch eine gewisse Unruhe: "Mit jeder weiteren Einigung wurde die Panik eher größer als geringer. Deshalb kann durchaus den Verdacht haben, dass die weniger gestalten wollten, sondern mehr Sorge vor der Verantwortung hatten."

Für Göring-Eckardt und Özdemir, die wohl im Kabinett Merkel IV Platz gefunden hätten, ist das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen eine herbe Niederlage. Entsprechend zerknirscht gibt sich auch Özdemir: "Eine Verständigung wäre möglich gewesen, guten Willen vorausgesetzt. Wir waren zu dieser Verständigung bis zur letzten Sekunde bereit, auch da noch mal weiter zu gehen, wo man eigentlich nicht mehr weitergehen kann." Göring-Eckardt, die sich ausdrücklich bei Merkel bedankte, reagiert noch schärfer und verortet die FDP in die Nähe der rechtspopulistischen FPÖ. Der Stuttgarter Regierungschef Kretschmann, der nichts mehr werden will, sieht einen "enormen Schaden für Deutschland und Europa, wenn wir jetzt keine stabile Regierung haben".

Weg vom Lagerdenken

Aber vielleicht birgt das Scheitern von Jamaika auch eine große Chance für die Grünen und die politische Klasse der Bundesrepublik insgesamt. Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck glaubt, "dass dieser Moment für Deutschland irgendwie formativ ist". Seine Partei, CDU und CSU redeten nach dem FDP-Abgang "anders miteinander". Die Grünen könnten mit Hilfe dieser Energie lähmende Flügelstreitigkeit überwinden. Habeck wünscht sich eine Abkehr vom Lagerdenken.

Wer hätte das gedacht: Die Grünen präsentieren sich als staatstragende Partei an der Seite der Union, und die Liberalen machen sich vom Acker.

Quelle: n-tv.de

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