Union
Für CDU und CSU ist die Situation nicht leicht. Als stärkste Fraktion lag es an Angela Merkel, eine neue Regierung zu bilden. Dies ist nicht gelungen. Nach den hohen Verlusten bei der Bundestagswahl wird die Kanzlerin dadurch erneut geschwächt. Und vielleicht muss Merkel in den kommenden Wochen einen weiteren Rückschlag hinnehmen. Denn vor Neuwahlen gäbe es noch einen anderen Schritt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schlägt Merkel als Regierungschefin vor. Fällt diese im Bundestag jedoch bei mehreren Abstimmungen durch, würde sie beschädigt und ginge angeschlagen in Neuwahlen.
Auch intern könnte Merkel nun unter Druck geraten. Aber stünde so schnell überhaupt jemand anderes bereit? In der Nacht, als die Sondierungen abgebrochen wurden, gab es ein symbolträchtiges Bild. Während Merkels Statement stand die Parteispitze geschlossen hinter ihr. In jedem Fall zöge die Union mit einer schwierigen Regierungsperspektive in Neuwahlen. Die Jamaika-Option ist vom Tisch, die Große Koalition setzt voraus, dass die SPD ihre Meinung ändert. Schwarz-Gelb wäre theoretisch möglich, hätte aber ebenfalls einen Haken. Sind die Liberalen ein verlässlicher Partner? Das Ende von Jamaika war nicht unbedingt eine vertrauensbildende Maßnahme, erst recht nicht zwischen FDP-Chef Christian Lindner und Merkel. Dennoch hätte die Union bei möglichen Neuwahlen wohl einen strategischen Vorteil. Die instabile politische Lage könnte CDU und CSU Wähler zutreiben. Dafür spricht auch, dass das Land wirtschaftlich gut da steht und Merkel seit 2005 Führungsstärke bewiesen hat.
SPD
Die Sozialdemokraten hatten durchaus Interesse am Zustandekommen eines Jamaika-Bündnisses. Das Scheitern bringt sie in eine besonders schwierige Situation. Bleibt die SPD bei ihrer Absage an eine Große Koalition, macht sie den Weg für Neuwahlen im Prinzip frei. Korrigiert sie dagegen ihren Kurs, stünde sie als Umfaller da. Laut einer Umfrage wollen 49 Prozent der Deutschen, dass die SPD erneut eine Große Koalition bildet, falls Jamaika scheitert. Die SPD müsste ein Nein gut erklären können. Opposition kann kein Selbstzweck sein. Vor Neuwahlen gäbe es für die Genossen noch mehr wichtige Fragen zu klären. Zieht die Partei erneut mit Martin Schulz in den Wahlkampf oder mit einem anderen Kandidaten? Entscheidet sie sich für einen pragmatischeren Kurs oder greift sie stärker von links an?
Wie zuletzt mangelt es der SPD, die in Umfragen bei 20 Prozent steht, nach wie vor an Machtoptionen. Die Lage wäre sogar noch schwieriger. So stünde man in einem Wahlkampf vor der Frage, eine Große Koalition auszuschließen. Das Problem ist: Täten Schulz & Co. dies nicht, bräuchte es eigentlich keine Neuwahlen. Dann könnten die Sozialdemokraten schon jetzt ein Bündnis mit der Union schließen. Dennoch ist es denkbar, dass die SPD ihre Haltung erst nach Neuwahlen überdenkt. Mit einem wesentlich besseren Wahlergebnis könnte sie dann auch als Juniorpartner mit deutlichem Rückenwind in eine Koalition gehen und entsprechend selbstbewusst verhandeln. Dies setzt jedoch einen erfolgreichen und gut abgestimmten Bundestagswahlkampf voraus. Das ist der Partei schon lange nicht mehr gelungen.
Grüne
Die Grünen schießen nach den geplatzten Jamaika-Verhandlungen eifrig gegen die FDP. Robert Habeck sprach von "Geiselhaft" und "Psychoterror", Bundesgeschäftsführer Michel Kellner von "Rausstehlen aus Verantwortung". Weite Teile der Partei hätten gern regiert. Vor allem einige linke Grüne dürften den Liberalen aber insgeheim sogar dankbar sein, dass sie es sind, die nun für das Scheitern verantwortlich gemacht werden. Auch in anderer Hinsicht bleibt den Grünen nun erst einmal einiges erspart. Die links sozialisierte Ökopartei hätte in einer Koalition Zumutungen hinnehmen müssen, die nur schwer gegen die eigene Basis durchzusetzen gewesen wären.
In Neuwahlen gingen die Grünen deshalb weder eindeutig geschwächt noch gestärkt. In den Verhandlungen hat die Partei zahlreiche Kompromisse gemacht. Deshalb kann sie von sich behaupten: An uns hat's nicht gelegen. Womöglich reicht es nach Neuwahlen sogar für Schwarz-Grün. Die Ausgangsbedingungen könnten dann einfacher sein - vorausgesetzt, die Führungsdiskussion in der CSU ist gelöst.
FDP
Mit der Absage kurz vor Mitternacht hat Parteichef Lindner die besondere Rolle seiner Partei besiegelt. Die FDP steht im Zentrum der Aufmerksamkeit, und ihr haftet der Schwarze Peter an. Dies birgt sowohl Chancen als auch Gefahren. "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren", so begründete Lindner die Entscheidung und sprach aus, was womöglich auch so mancher Beobachter in den vergangenen Wochen gedacht hat. Schließlich gibt es auch in den Reihen von Grünen und CSU nach wie vor große Vorbehalte.
Im besten Fall kann sich die FDP durch ihre Entscheidung profilieren. Sie gibt zumindest vor, etwas zu haben, was ihr häufig abgesprochen wurde: Prinzipien und Haltung. Wir verbiegen uns nicht, nicht um jeden Preis, erst Recht nicht wegen Dienstwagen – das passt zum neuen liberalen Habitus. Nach vier Jahren in der außerparlamentarischen Opposition will Lindner keine aus FDP-Sicht unbefriedigenden Kompromisse schließen. Dennoch ist seine Strategie riskant. Gelingt es den anderen Parteien, Lindner erfolgreich als Taktierer zu brandmarken? Entscheidend wird sein, mit welchen Argumenten die FDP den Angriffen entgegentritt und wie glaubhaft sie den Ausstieg erklärt. Gelingt das, könnten die Liberalen bei möglichen Neuwahlen sogar zulegen, wohl vor allem mit Wechslern aus dem Lager von Union und AfD.
Linke und AfD
Linke und AfD spielten in den vergangenen Wochen keine große Rolle. Die beiden Parteien begleiteten die Sondierungen als Zaungäste mit höhnischen Bemerkungen. Nach den geplatzten Koalitionsgesprächen könnten beide Parteien profitieren. Die geplatzten Verhandlungen können bisherige Wähler halten und in ihrem Politikverdruss bestätigen, sie könnten auch dazu führen, dass einige Wähler aus Frust über die quälend lange Regierungsbildung jetzt zur Protestwahl übergehen. Psychologisch ist das Szenario Neuwahlen für AfD und Linke jedoch eher ungünstig. Denn klar ist: Eine Stimme für die beiden Parteien, die zurzeit faktisch für keine Koalition infrage kommen, wird die verzwickte Regierungsbildung sicherlich nicht erleichtern. Die Sehnsucht nach Sicherheit könnte vor allem den großen Parteien nutzen und sich zu Ungunsten der übrigen auswirken.
Quelle: n-tv.de
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