Auf den ersten Blick, so scheint es, verbessert sich die Lage im bürgerkriegsgeplagten Land rapide. Die Landesinnenminister der Union müssen sich deshalb gesagt haben: Höchste Zeit, um darüber nachzudenken, jetzt auch wieder Flüchtlinge dorthin abzuschieben.
Sie bereiteten zumindest einen Antrag vor, der laut dem Redaktionsnetzwerk Deutschland den Abschiebestopp für Syrer nicht über den Juni 2018 hinaus verlängern soll. Endgültig beschließen wollen sie ihn Anfang Dezember auf der nächsten Innenministerkonferenz.
Kaum bekannt, entwickelt sich die Idee allerdings zu einem ausgewachsenen Politikum. Der Verdacht steht im Raum, dass die Unions-Innenminister vor allem auf die erstarkende AfD reagieren. Mit fragwürdigen Mitteln.
Am Anfang war der Sechs-Punkte-Plan
Die Bundestagsfraktion der AfD hatte in einer ihrer ersten Sitzungen im Parlament einen "Sechs-Punkte-Plan zur Förderung der Rückkehr syrischer Flüchtlinge" vorgelegt. Darin ging es um Menschen, die freiwillig in ihre Heimat zurückkehren wollten. Die Partei setzte darauf, deren Wunsch zu bestärken. Dabei sollten eine Übernahme der Reisekosten helfen, eine Garantie für sicheres Geleit in die alte Heimat und Starthilfen für den Neuanfang.
Als der parlamentarische Geschäftsführer der Partei, Bernd Baumann, den Vorstoß einbrachte, bekam er allerdings nur Applaus aus den eigenen Reihen. Kaum eine Woche später jedoch gehen die Unions-Innenminister mit ihrem Vorstoß nun sogar einen Schritt weiter, als es die AfD tat. Sie setzen darauf, Menschen auch gegen ihren Willen wieder nach Syrien zu schicken.
Der Antrag der Landesinnenminister nimmt natürlich keinen Bezug auf die AfD. Er argumentiert mit einer anstehenden Neubewertung der Sicherheitslage in Syrien durch das Auswärtige Amt. Die aktuelle stammt aus dem Jahr 2012. Seither, so stimmen die Unions-Innenminister in den Chor Irans und Russlands ein, habe sich vieles zum Besseren verändert. Erfahrene Außenpolitiker und Syrienkenner aus Deutschland sind sich allerdings einig, dass davon überhaupt keine Rede sein kann.
Mächtige und präsente Geheimdienste
"Die Idee, Menschen nach Syrien zurückzuschicken, finde ich grotesk", sagt Bente Scheller von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Das Bild, das iranische Militärs und der russische Präsident über die Lage in Syrien zeichnen, sei nicht durch die Realität gedeckt. "Russland hat das rhetorische Konstrukt der Deeskalationszonen auf den Tisch gebracht, das es gemeinsam mit Iran nun bewirbt", erklärt Scheller. Laut der Syrien-Expertin habe sich aber nur in zwei der Zonen die Lage etwas beruhigt. "Bei den anderen beiden könnte man dagegen darüber diskutieren, ob man sie nicht besser Eskalationszonen nennen sollte. Die Luftangriffe, die dort geflogen werden, sind massiv."
Über die Frieden suggerierenden Aufnahmen, die in sozialen Netzwerken kursieren, sagt sie: "Die Leute, die wir Cocktails schlürfend auf Bildern sehen, sind sicherlich treue Unterstützer des Regimes." Scheller verweist auf eine Umfrage der Initiative Adopt a Revolution aus dem vergangenen Jahr. Demnach sagten mehr als 70 Prozent der Syrer in Deutschland, dass sie vor Assad geflohen sind. "Wenn man in Regime-Gebiete abschieben möchte, nur weil da keine Luftbombardements stattfinden, dann haben wir immer noch die Gewalt, die am Anfang dazu geführt hat, dass Menschen das Land verlassen haben." Sie verweist auf die Verfolgung von Zivilisten durch die "nach wie vor genauso mächtigen und sehr präsenten" Geheimdienste.
Der nächste Groko-Konflikt?
Unklar ist, wie das Auswärtige Amt überhaupt zu einer überzeugenden Neubewertung der Sicherheitslage kommen will. Wer die Webseite der deutschen Botschaft in Damaskus besucht, stößt zu allererst auf folgenden "wichtigen" Hinweis: "Nächste erreichbare deutsche Auslandsvertretung ist die Deutsche Botschaft Beirut." Im Libanon also.
Schon die neue Lagebeurteilung der Situation in Afghanistan nach dem Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul vom August löste Kritik am Auswärtigen Amt aus. Unter anderem, weil die Bundesregierung in dem Papier, das n-tv.de vorliegt, selbst zugibt, dass "kaum Möglichkeiten zur Gewinnung eigener Erkenntnisse vor Ort" bestünden und sie sich wesentlich auf andere Quellen beziehen müsse. Das dürfte bei Syrien kaum anders sein.
Der grüne Außenpolitiker Omid Nouripour spottet: "Um die Sicherheitslage in Syrien neu zu bewerten, holt sich anscheinend die CDU ihre Informationen jetzt von den Pressesprechern von Wladimir Putin und Baschar al Assad." Sollten sich die Unions-Innenminister durchsetzen, so warnt er, würde die Kontinuität der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland der vergangenen 68 Jahre zerschlagen. "Realistisch umsetzbar ist der Vorschlag nur, wenn sich dahinter das Ziel verbirgt, Deutschland in der Welt neu zu positionieren - auf der Achse Ankaras, Teherans, Damaskus' und Moskaus."
Auch SPD und Linke lehnen die Idee, wieder Flüchtlinge nach Syrien abzuschieben als "zynischer als die AfD" ab. Und selbst in der Union gibt es nicht zu unterschätzenden Widerstand. Zwar spricht sich der rechtspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, Michael Frieser, für eine Prüfung von Abschiebungen nach Syrien aus, doch der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Stephan Harbarth, sagt: "Die Durchsetzung der Ausreisepflicht hat grundsätzlich höchste Priorität. Doch Rückführungen nach Syrien sind derzeit ausgeschlossen. Ein grundlegender Wandel der Sicherheitslage ist nicht erkennbar." Der Vorstoß der Innenminister könnte nach dem Glyphosat-Dilemma zum nächsten großen Konflikt in den sich anbahnenden Sondierungen für eine Große Koalition werden.
So richtig freuen kann sich über den Vorstoß vielleicht nur die AfD. Fraktionschef Alexander Gauland zumindest gibt ein Interview nach dem anderen. n-tv.de sagt er: "Wir haben offensichtlich mit unserem Antrag, der eher für eine freiwillige Rückführung gesprochen hat, einen richtigen Ton angeschlagen. Wenn die CDU-Innenminister jetzt dieser Meinung sind, kann ich das nur begrüßen."
Quelle: n-tv.de
Tags: