Deutschland droht der nächste Terror-Streit

  06 Dezember 2017    Gelesen: 822
Deutschland droht der nächste Terror-Streit
Etliche Kommunen ächzen nach wie vor unter den Kosten der Flüchtlingskrise. Jetzt rebellieren sie dagegen, Schutzmaßnahmen gegen Terroranschläge auf Weihnachtsmärkten zu bezahlen. Der Bund lehnt Hilfe ab, die Länder zieren sich.
In der Eigenwerbung wird stets ein Idyll beschrieben: Von Lichterzauber, leuchtenden Kinderaugen und Besinnlichkeit ist die Rede. Händler und Schausteller "laden mit schön dekorierten Schaufenstern und Hütten sowie dem Duft von gebrannten Mandeln und Glühwein zum Bummeln durch unsere historische Innenstadt ein", heißt es etwa auf der Website des Potsdamer Weihnachtsmarktes. Deutschland, ein Weihnachtsmärchen, könnte man meinen. Auf den Internetseiten Dutzender Weihnachtsmärkte zwischen Ostsee und Alpenrand dominiert ein heiter-festlicher Ton. Organisatoren und Sicherheitsbehörden versuchen alles, das bunte Treiben "zum unbeschwerten Vergnügen" zu machen, wie es immer wieder heißt.

Dabei sind die Volksfeste "beschwerter" denn je - und das im wahrsten Sinne des Wortes. An ihren Zugängen und Zufahrten sind sie zugestellt mit tonnenschweren Betonteilen und Sandsäcken. Auch Poller und Ketten sollen helfen, einen Terroranschlag zu verhindern. Ein Jahr nach der Todesfahrt des Tunesiers Anis Amri, der am 19. Dezember 2016 mit einem Sattelschlepper elf Menschen auf dem Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche ermordete, haben sich Deutschlands Städte gegen Nachahmer gewappnet.

Schutz kostet

Die damit einhergehende, finanzielle Kraftanstrengung, die private und kommunale Veranstalter bewältigen müssen, ist enorm. Hinzu kommt der Dauereinsatz der Polizei, den die Länder bezahlen. Nach dem Bombenalarm auf dem Potsdamer Weihnachtsmarkt, der sich als Erpressung des Paketdienstes DHL herausstellte, fragte Oberbürgermeister Jann Jakobs öffentlich, "wie wir für noch mehr Sicherheit sorgen können".

Doch je umfangreicher die Konzepte zum Schutz der Bevölkerung werden, desto teurer sind sie. Die Händler vom Berliner Breitscheidplatz mussten nach eigenen Angaben dieses Jahr 20 Prozent mehr Standgebühren zahlen - wegen der Sicherheitsmaßnahmen. Veranstalter berichten von Zusatzkosten für Betonbarrieren und Kameraüberwachung von einigen 1000 bis deutlich über 100.000 Euro je Weihnachtsmarkt, von denen bundesweit einige hundert auf Gäste warten. Und damit ist ein Streit entbrannt: Wer soll das bezahlen? Allein die privaten Anbieter, die Kommunen, die teils selbst als Veranstalter auftreten, oder der Bund und die Länder?

Hoheitliche oder kommunale Aufgabe?

Städte und Gemeinden ächzen nach wie vor unter der finanziellen Last infolge der Flüchtlingswelle. Nun stemmen sie sich gegen die Übernahme der Kosten. Der Deutsche Städtetag betrachtet den Schutz der Bevölkerung als hoheitliche Aufgabe und nicht als kommunale: "Weil sich Terroranschläge gegen die gesamte Gesellschaft richten, tragen Bund und Länder die Verantwortung für die erforderlichen Maßnahmen." Deshalb sollten sie dafür auch finanziell aufkommen.

Bund und Länder hüten sich aber vor einer Zusage. Was beim Städtetag niemanden verwundern wird, da die Terrorgefahr in naher Zukunft kaum geringer werden dürfte und es nicht allein um Weihnachtsmärkte geht, sondern auch um andere Volksspektakel. In den deutschen Karnevalshochburgen wird erwogen, vor Gericht zu ziehen, um zumindest die Beteiligung staatlicher Stellen an den Sicherheitskosten zu erzwingen.

Das Innenministerium bestreitet "eine Finanzierungskompetenz des Bundes". Diese liege nicht vor, erklärte eine Sprecherin. Es handele sich um behördliche Auflagen im Zusammenhang mit der Genehmigung von Veranstaltungen durch Ordnungsbehörden der Länder. "Damit einhergehende Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und deren Finanzierung fallen in die Zuständigkeit der Länder."

Gutachten für die Innenminister

Mehrere angefragte Innenministerien der Länder drückten sich vor einer klaren Positionierung und antworteten mit der Floskel, nichts sagen zu können, da den Beratungen auf der Innenministerkonferenz (IMK) nicht vorgegriffen werden solle. ​Die IMK tagt Ende dieser Woche in Leipzig.

Sachsens Innenminister Markus Ulbig, der den IMK-Vorsitz innehat, ließ mitteilen, ​dass das Thema Kostenübernahme "nach dem jetzigen Stand" nicht auf Agenda stehe. Zur Forderung des Städtetages erklärte er lediglich den Sachstand: "​Für die Absicherung von Märkten und anderen Volksfesten trägt in erster Linie die entsprechende Marktleitung die Verantwortung. Hier ist es im Einzelfall notwendig, dass neben der Unterstützung durch die Polizei auch privates Sicherheitspersonal eingesetzt wird." Das ist unbestritten und sagt nichts dazu aus, wer das Geld in Zukunft berappen soll.

Doch selbst wenn das Thema nicht offiziell auf der Tagesordnung der IMK steht, werden die Minister damit konfrontiert. Vor Eröffnung der Konferenz übergibt der Deutsche Schaustellerbund nach Angaben seines Hauptgeschäftsführers Frank Hakelberg dem Bundesinnenministerium ein Rechtsgutachten. Eine Staatssekretärin habe ihm zugesagt, die Studie den IMK-Teilnehmern zu präsentieren.

In seinem Gutachten kam Professor Johann-Christian Pielow von der Ruhr-Universität Bochum laut Hakelberg zu demselben Schluss wie der Städtetag. Der Schutz sei allein Sache des Staates als Inhaber des Gewaltmonopols, weshalb er ihn weder im konkreten Handlungssinn noch finanziell an private Veranstalter abdrücken dürfe. "Schausteller und andere Gewerbetreibende sind lediglich für die Abwehr der Gefahren zuständig, die aus ihrem Wirken erwachsen können", gibt Hakelberg den Kern der Studie wider, über die zuerst die "Welt am Sonntag" berichtete. "Der Terror wird aber von außen an uns herangetragen." Der Staat könne seine Pflicht, darauf zu reagieren, "nicht auf eine einzelne Berufsgruppe", aber auch nicht die Kommunen abwälzen.

Berliner Gericht auf Seite der Betreiber

So sah es auch das Berliner Verwaltungsgericht. Es gab vor wenigen Tagen mit sehr ähnlicher Begründung der Klage des Betreibers des Weihnachtsmarktes vor dem Schloss Charlottenburg statt. Die Richter verpflichteten den zuständigen Stadtbezirk dazu, die Aufstellung der Poller und die Kosten dafür zu übernehmen. Die Landesregierung beharrt dennoch auf ihrem Standpunkt. Sicherheitsausgaben müssten auch für "privat organisierte Veranstaltungen wie Weihnachtsmärkte" von verschiedenen Schultern getragen werden, hieß es in der Innensenatsverwaltung. Berlin bezahle "die diversen Maßnahmen der Polizei".

Die Präsidentin des Städtetages, Eva Lohse, betont, ​Bestrebungen einzelner Länder, Aufgaben der Polizei auf die Kommunen abzuwälzen, lehnten die Kommunen entschieden ab. ​"Die Lebens- und Wohnqualität in unseren Städten hängt ganz entscheidend davon ab, dass sich die Menschen in der Öffentlichkeit frei und ohne Angst bewegen können“, sagt die Ludwigshafener Oberbürgermeisterin. Die CDU-Politikerin weiß, wovon sie spricht. Ihre Stadt entging 2016 vermutlich einem Anschlag. Ein damals zwölfjähriger Deutsch-Iraker soll versucht haben, auf dem Weihnachtsmarkt eine selbstgebastelte Nagelbombe zu zünden. Ludwigshafen hat seine Sicherheitsmaßnahmen 2017 drastisch verschärft. ​Und das kostet.

Quelle: n-tv.de

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