Marathon-Treffen ebnet Weg zu großer Koalition

  13 Januar 2018    Gelesen: 1160
Marathon-Treffen ebnet Weg zu großer Koalition
Deutschland steuert auf eine neue große Koalition zu
Union und SPD überwanden nach einer 25-stündigen Dauer-Sondierung am Freitag ihre Streitpunkte bei Zuwanderung, Krankenversicherung und in der Steuerpolitik. “Wir haben ein Papier des Gebens und des Nehmens beschlossen”, sagte CDU-Chefin Angela Merkel bei einem gemeinsame Auftritt mit den Vorsitzenden von CSU und SPD, Horst Seehofer und Martin Schulz. Schulz, der noch nach dem Aus der “Jamaika”-Gespräche auf der Oppositionsrolle beharrt hatte, sprach von einem “hervorragenden Ergebnis” und empfahl der Partei den Start von detaillierten Koalitionsgesprächen. Als größte Hürden für das Bündnis gelten noch der SPD-Parteitag am 21. Januar und eine Mitgliederbefragung der Partei zum Ergebnis möglicher Koalitionsverhandlungen. CSU-Chef Seehofer gab sich jedoch optimistisch: Bis Ostern könne die Regierung stehen.

Die drei Parteien beendeten damit eine fünftägige Sondierungsphase, in der zuletzt noch hart um die Kernthemen der jeweiligen Parteien gerungen wurde. In dem 28-seitigen Ergebnis-Papier wurde eine Art Obergrenze für Flüchtlinge vereinbart. So soll “die Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000” nicht überstiegen werden. Gleichwohl gelte das Recht auf Asyl uneingeschränkt.[nL8N1P71LF] Beim strittigen Nachzug von Angehörigen soll es eine Härtefallregelung geben, die 1000 Menschen monatlich die Einreise ermöglicht.

KEINE STEUERERHÖHUNG

Nicht durchsetzen konnte sich die SPD in den von Merkel und Schulz als “turbulent” bezeichneten Verhandlungen mit einer Steuererhöhung für Spitzenverdiener. “Wir werden die Steuerbelastung der Bürger nicht erhöhen”, heißt es im Papier der Sondierer. Keinen Erfolg hatten die Sozialdemokraten auch mit der Einschränkung von befristeten Jobs sowie mit dem Vorstoß zur Abschaffung der privaten Krankenversicherung und der Bürgerversicherung für alle. Allerdings sollen die Kassenbeiträge wieder zu gleichen Anteilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bezahlt werden. Dies wird die Wirtschaft nach Angaben von Kritikern mit jährlich etwa fünf Milliarden Euro belasten.

Als Erfolg verbuchten die Sozialdemokraten sowie die CSU eine Reihe sozialpolitischer Beschlüsse. So wurde eine Grundrente und ein umfassendes Pflegepaket beschlossen. In der Rentenversicherung ist eine doppelte Haltelinie zur Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent und zur Dämpfung der Beiträge vorgesehen. Für Langzeitarbeitslose soll es einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt geben. Entlastung für die meisten Deutschen soll es mit dem Abbau des Solidaritätszuschlag geben, der bis 2021 nahezu komplett verschwinden soll. Genutzt werden soll dafür auch der zusätzliche finanzielle Spielraum von 46 Milliarden Euro in dieser Wahlperiode, den das erwartete Wirtschaftswachstum möglich macht.

Entschärft wurde die Debatte um die Klima- und Energiepolitik, in dem sich die Sondierer schnell darauf verständigten, das nur schwer zu erreichende Klimaziel für 2020 aufzugeben. Stattdessen peilt man nun die Vorgaben für 2030 an, will noch dieses Jahr einen Fahrplan zum Ausstieg aus der Kohle vorlegen und die erneuerbaren Energien schneller ausbauen.

Kritische Töne kamen aus der Wirtschaft: “Unterm Strich wird sich die Wirtschaft statt auf Entlastung eher auf Mehrbelastungen einstellen”, bemängelte DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sprach von einem “Rückschlag für die Unternehmen”. Zu viel Umverteilung und zu wenig Zukunftssicherung, lautete sein Vorwurf. Viele aus der Unternehmenswelt beklagen zudem einen Mangel an Visionen und vermissen eine Reaktion auf Steuersenkungen für Firmen in den USA und andernorts. Bankenpräsident Hans-Walter Peters sieht die Parteien insbesondere in der Steuerpolitik in einigen Bereichen auf dem Holzweg. Das gelte etwa für das Vorhaben, auf eine Abschaffung der Abgeltungssteuer hinzuwirken. Auch mit ihrem Festhalten am Ziel einer Finanztransaktionssteuer lägen die Sondierer falsch. Positiv sieht die Wirtschaft immerhin, dass die Bildung einer Bundesregierung damit näher rücken dürfte.

MERKEL, SCHULZ UND SEEHOFER SEHEN “AUFBRUCH”

Die drei Parteichefs betonten indes unisono, es sei gemeinsam ein “Aufbruch” beschlossen worden. Dies gelte besonders für das Thema Europa. “Das Europakapitel ist ein Aufbruch für Europa”, sagte Schulz, der damit Unterstützung seiner Partei für die eigentlich ungeliebte dritte große Koalition unter Merkel sucht. Deutschland werde wieder zum Motor in der Europapolitik und habe Antworten auf Reformvorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und von EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker.

So erklären sich die drei Parteien bereit, einen Fonds für die Stabilisierung von Staaten in der Euro-Zone zu schaffen. Dabei wird allerdings offengelassen, wo ein entsprechendes Budget angesiedelt werden soll, im EU-Haushalt oder in der Euro-Zone. Frankreich bezeichnete die Einigung dann auch als gute Nachricht. “Die Vereinbarung ist wichtig für die Stabilität und die Zukunft der französisch-deutschen Beziehungen und ganz besonders für Europa”, sagte ein Regierungssprecher. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker lobte den europapolitischen Teil der Sondierungsvereinbarung. “Ich bin inhaltlich sehr zufrieden damit, was CDU/CSU und SPD an gemeinsamer Politik für die Zukunft ereicht haben”, sagt Juncker in Sofia. Der Kompromiss habe große Vorteile für Europa.

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