Wer kriegt hier "in die Fresse"?

  16 Januar 2018    Gelesen: 766
Wer kriegt hier "in die Fresse"?
Große Koalition oder nicht: Die SPD tut sich schwer mit der Entscheidung. In der Woche vor dem Parteitag hat zwischen Befürwortern und Gegnern ein erbitterter Kampf um die Unentschlossenen begonnen.

Martin Schulz versucht zumindest, es zuversichtlich klingen zu lassen. "Ich bin optimistisch, dass wir dafür auch eine Mehrheit bekommen", sagte er am Montag. Der SPD-Chef ist in dieser Woche auf Werbetour. Er versucht die parteiinterne Skepsis aufzuweichen. Wird der Parteitag am Sonntag in Bonn für Koalitionsverhandlungen stimmen? Darauf angesprochen, wollen zurzeit nicht viele in der Partei Wetten abschließen. Zu weit auseinander reichen die Einschätzungen der Ergebnisse der Sondierungen zwischen SPD und Union.

Einen Vorgeschmack lieferten in den vergangenen Tagen die Abstimmungen in einigen Bundesländern. Die Vorstände im einflussreichen Landesverband Niedersachsen und auch in Brandenburg sprachen sich zwar für Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU aus. In Sachsen-Anhalt setzten sich die Kritiker einer Großen Koalition jedoch knapp durch. Auch der Vorstand der Berliner SPD votierte mit 21 zu 8 deutlich gegen eine GroKo. Es könnte also knapp werden: Schließlich gilt die SPD-Basis im Hinblick auf das umstrittene Bündnis als noch etwas kritischer als die Funktionärsebene.

600 Delegierte entscheiden in Bonn darüber, ob die Sozialdemokraten Koalitionsverhandlungen aufnehmen sollen. Die meisten Delegierten stammen aus Nordrhein-Westfalen (144), Niedersachsen (81), Bayern (78) und Hessen (72). Führende Vertreter der NRW-SPD, deren Vorstand nicht über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen abstimmt, betonten in den vergangenen Wochen ihre Abneigung gegen ein Bündnis mit der Union. In Bayern und Hessen ist die Stimmung ähnlich. In beiden Ländern stehen 2018 Landtagswahlen an. Im Wahlkampf kommt es darauf an, sich als Alternative zur Union zu positionieren, da wäre eine Große Koalition in Berlin nicht hilfreich.

"Ich ermutige alle, die zufrieden sind, das laut zu sagen"

Umso mehr Überzeugungsarbeit ist gefragt. Die GroKo-Befürworter verweisen auf 60 Punkte, die in den Sondierungen durchgesetzt worden seien. Die SPD-Mitglieder müssten sich darüber im Klaren sein, "dass wir auch eine Verantwortung für dieses Land haben", appelliert Schulz. Fraktionschefin Andrea Nahles mahnte im "Deutschlandfunk" zu etwas mehr Bescheidenheit angesichts des Wahlergebnisses von 20 Prozent. Lieber ein bisschen SPD durchsetzen als gar nichts, damit wirbt die Parteispitze. "Ich ermutige alle, die zufrieden sind, das laut zu sagen", sagte Schulz, der auch auf die positiven Einschätzungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes und von Verdi-Chef Frank Bsirske verweist. Intern gibt es noch andere Argumente. Die Befürworter warnen vor den Risiken von Neuwahlen, bei denen die Partei weitere Verluste erleiden könnte. Es sei schwierig, heißt es, in einem neuen Wahlkampf erneut mit den Forderungen anzutreten, die man in einer Großen Koalition hätte umsetzen können. In der Fraktion stößt dies durchaus auf offene Ohren. Die Vorfreude auf einen neuen Wahlkampf hält sich hier ohnehin in Grenzen.

Auch der frühere SPD-Politiker Wolfgang Clement warb nach den Sondierungen für eine Große Koalition. "Die SPD wäre von Sinnen, wenn sie diese Chance nicht nutzen würde", sagte der frühere Arbeitsminister dem "Handelsblatt". Ob ausgerechnet der bei vielen Genossen unbeliebte Clement die Kritiker überzeugen kann? Er dürfte sie in ihren Vorbehalten wohl eher bestätigen. Zu den eingefleischten GroKo-Gegnern zählen neben den Jusos auch die Bundestagsabgeordneten Marco Bülow und Hilde Mattheis. Sie wollen die Partei wieder stärker als Alternative zur Union positionieren. Mehr als 3000 Personen haben sich inzwischen der Initiative "NoGroKo" angeschlossen. Für sie ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit, dass die SPD nicht erneut mit der Union koalieren darf.

Als Beweis kursieren in den Tagen vor dem Parteitag viele Zitate. "Opposition und Absage an Große Koalition ohne jede Hintertür! Basta! Glaubwürdigkeit der SPD auf dem Spiel!", das hatte SPD-Vize Ralf Stegner direkt nach der Wahl getwittert. Nahles erklärte damals: "Wenn Kanzlerin Merkel glaubt, die SPD wäre die taktische Reserve für den Notfall, dann irrt sie sich." Nach ihrer Wahl zur Fraktionsvorsitzenden erklärte sie Richtung Union: "Ab morgen kriegen sie in die Fresse!" Nicht wenige Sozialdemokraten fürchten jetzt, dass genau dies der SPD droht, sollte sie erneut mit der Union regieren. Auf die Fresse, um es mit Nahles' Worten zu sagen. Oder anders: Niederschlag, von dem sich die Partei nicht mehr erholt.

"Hervorragende Ergebnisse"

Etwa ein Drittel für die Große Koalition, ein Drittel strikt dagegen - so wird in der Partei das Kräfteverhältnis eingeschätzt. Als entscheidend gilt das Drittel zwischen den Fronten: die Unentschlossenen, die von beiden Seiten nun bearbeitet werden. In der Gruppe gibt es Unverständnis darüber, dass Schulz nach den Sondierungen von "hervorragenden Ergebnissen" sprach. Viele hatten sich von den Gesprächen mit der Union mehr versprochen. Weil ein Bündnis das geringere Übel im Vergleich zu Neuwahlen sei, können sich etliche jedoch vorstellen, am Sonntag mit Bauchschmerzen zuzustimmen.

Es ist auch eine Frage der Disziplin, ob die Delegierten Schulz beim Parteitag folgen. Im Zentrum dürfte jedoch die Frage stehen: Womit erweist man der Partei den größten Dienst? Der Vorsitzende steht unter hohem Druck. Erhält er keine Mehrheit, hätte dies sowohl für die SPD als auch für das Land erhebliche Konsequenzen. Schulz wäre als Parteichef kaum noch zu halten, das Bündnis mit der Union geplatzt, der erste Schritt Richtung Neuwahlen vollzogen. Mal wieder wird es also auf Schulz ankommen. Auf den Ton und die Bereitschaft, in den Koalitionsverhandlungen vielleicht noch etwas mehr herauszuholen.

Sollte es eine Mehrheit geben, kündigten führende Sozialdemokraten bereits an, sich für Nachbesserungen einsetzen zu wollen. "Das Sondierungsergebnis kann nur die Basis sein für Koalitionsverhandlungen. Es wird jetzt so getan, als sei alles schon verhandelt - das ist es mitnichten", sagte Stegner. SPD-Politiker verweisen dabei insbesondere auf die Bürgerversicherung, die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, die Erhöhung des Spitzensteuersatzes und eine mögliche Härtefallregelung beim Familiennachzug. Ob das realistisch ist? Unionsvertreter wiesen dies empört zurück. Dennoch könnte es Schulz Stimmen bringen, Nachbesserungen in Aussicht zu stellen. Und Zeit bis zum endgültigen Tag der Entscheidung: dem Mitgliederentscheid.

Quelle: n-tv.de

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