Sebastian Kurz könnte den Piefke jetzt an die Wand drücken, ihn so richtig fertig machen. Das Publikum in der Buchhandlung im 3. Bezirk in Wien hat der Bundeskanzler auf seiner Seite. Wenn sein Gesprächspartner Paul Ronzheimer redet, geht ein Raunen durch die Stuhlreihen, einige lachen sogar verächtlich. Der Chefreporter der "Bild"-Zeitung hat eine bis dahin gesittet-langweilige Gesprächsrunde zur Flüchtlingspolitik gerade mutwillig eskaliert. "Wer stellt denn den Familiennachzug infrage? Was soll das für eine christliche Politik sein?", bellt er plötzlich ins Mikrofon, aber es riecht verdächtig nach Show, nach routinierter Lust am Streit.
Wirklich wehtun wollen sie sich nicht an diesem Mittwochabend, schließlich ist Sebastian Kurz ein ausgesprochen freundlicher junger Mann und Paul Ronzheimer hat gerade ein ausgesprochen freundliches Buch über ihn veröffentlicht, das sie heute gemeinsam vorstellen - bei einem Heimspiel für Kurz, das der Kanzler aus seinem Best-of-Repertoire bestreiten darf: Ein bisschen Kritik an Angela Merkel hier, ein bisschen Balkanroutenschließung dort. Eine willkommene Ablenkung für den Mann, der gerade den ersten großen Skandal beim Koalitionspartner von Rechtsaußen bändigen musste.
In der Burschenschaft Germania des FPÖ-Spitzenmannes Udo Landbauer waren antisemitische Liedtexte aufgetaucht, pflichtschuldig fragt die Moderatorin nach dem unangenehmen Fall, Kurz weicht aus: Er freue sich, dass so ein Fall noch Empörung hervorrufe, alles andere wäre ja schlimm. Thema erledigt. Der Kanzler will lieber über die Vergangenheit reden.
Der deutsche Oberlehrer
Die Biografie von "Bild"-Mann Ronzheimer ist die zweite innerhalb weniger Wochen, die über Kurz erscheint, aber die erste, bei der er selber mitgewirkt hat. Er, der sein Privatleben normalerweise streng abschottet, hat dem deutschen Journalisten Interviews und Zugang zu seiner Familie gewährt. Seine Mutter enthüllt, was für ein anstrengendes Kind der kleine Sebastian sein konnte, der Vater erzählt von frühen Führungsqualitäten: Bausteine stapelte er nicht selbst, er ließ nach seinen Vorstellungen bauen. Der Aufstieg vom übereifrigen ÖVP-Nachwuchsmann zum Außenminister geht im Buch sehr zügig voran, den größten und zentralen Platz nimmt die politische Geburtsstunde des Kanzlers Sebastian Kurz ein: die Flüchtlingskrise.
Zur Präsentation des Buches diskutieren Autor und Bundeskanzler noch einmal über Idomeni, über die Schließung der Balkanroute, über Angela Merkels Deal mit der Türkei. Kurz bewegt sich auf sicherem Terrain, mit seiner Haltung in der Flüchtlingskrise hat er den Grundstein für seinen Wahlsieg im Herbst gelegt. Hier in der Wiener Buchhandlung würde er sicher eine absolute Mehrheit zustandebringen. Vor allem die Junge ÖVP hat für die Veranstaltung getrommelt. Zwischen den Stuhlreihen, in denen die älteren Besucher Platz genommen haben, und den Bücherauslagen stehen sehr viele junge Menschen, die aussehen wie der CDU-Politiker Jens Spahn. Wer zu spät kommt, muss hinter einem großen Pfeiler sitzen und kann das Sparring zwischen Kurz und seinem Biografen aus Deutschland nur auf einem Bildschirm verfolgen.
Auch Ronzheimers plötzliche Attacke zum Familiennachzug bringt Kurz nicht ins Wanken, sie passt gut in eine Erzählung, die er gern und oft präsentiert: Die Deutschen spielen in der Flüchtlingsfrage den Oberlehrer mit dem moralischen Zeigefinger, aber er hat sich gegen Angela Merkel gestellt und nun sieht sie ein, dass er recht hatte. "Ich glaube, dass sich jetzt in Deutschland viel in die richtige Richtung dreht." Das Publikum applaudiert. Immerhin freut sich Kurz, dass es in Berlin nun einen Koalitionsvertrag gibt, "Gott sei Dank", sagt der Kanzler. "Es ist für uns und die EU wichtig, dass es in Deutschland eine stabile Regierung gibt." Eine kleine Spitze Richtung Berlin will er sich nicht verkneifen, es hat ihn sichtlich gestört, dass Angela Merkel und auch Frank-Walter Steinmeier durchblicken ließen, dass sie nicht glücklich waren mit der Wahl seines Koalitionspartners. "Ob die Große Koalition nun wirklich die Wunschkonstellation der Wähler war", sagt Kurz also lächelnd, "das maße ich mir nicht an zu beurteilen." Die verminte Frage, welche Koalition wohl länger halten werde, kontert Kurz hellwach. In Österreich dauert die Legislaturperiode fünf Jahre, in Deutschland nur vier. "Also würde ich sagen, unsere Koalition hält länger."
Ein Autogramm vom Kanzler
Kurz spult ein Best-of seiner Wahlkampfschlager ab, er macht das sehr gewissenhaft, nie weicht er auch nur eine Silbe von einer einmal etablierten Formulierung ab. So sehr sich Ronzheimer bemüht, mehr zu sein als nur ein Stichwortgeber, er prallt an Kurz ab. Die Kontakte der FPÖ nach Russland, das Leid der Flüchtlinge in Libyen - zu allem hat Kurz eine Antwort parat, die klingt wie auswendig gelernt. Unter österreichischen Journalisten gilt Kurz als Kontrollfreak.
Sein Pressesprecher Gerald Fleischmann, der ihn natürlich auch an diesem Abend in der Wiener Buchhandlung begleitet, hat sich einen Ruf als besonders harter Wachhund erarbeitet. Angeblich geht kein Interview eines Kabinettsmitglieds an die Öffentlichkeit, ohne dass Fleischmann es auf Linie gebracht hat. Die Statements der Minister gleichen sich oft auffällig, zu sehen jüngst im Skandal um FPÖ-Spitzenmann Udo Landbauer. "Widerwärtig" nannte Parteichef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache die antisemitischen Liedtexte, "widerwärtig" nannte sie auch Sebastian Kurz, ein Wort, das er auch an diesem Abend unterbrachte. Ein klares Wort zur FPÖ und ihren systemischen Verbindungen zu deutschtümelnden Burschenschaften und sonstigen Ewiggestrigen kam ihm nicht über die Lippen.
Die Methoden von Sebastian Kurz haben Nina Horaczek und Barbara Tóth in ihrer Biografie genauer unter die Lupe genommen. Mit den Journalistinnen des Wiener Wochenblatts "Falter" hat der Kanzler nicht gesprochen, vielleicht, weil er wusste, dass ihr Buch kritischer ausfallen würde als das von "Bild"-Mann Paul Ronzheimer, dessen Blatt nach der Kanzler-Kür in großen Buchstaben fragte: "Warum haben wir nicht so einen?" Zwar zitiert Ronzheimer hier und da einige Kritiker, das letzte Wort aber hat immer der Kanzler. So liest sich "Sebastian Kurz - Die Biografie" über weite Strecken eher wie ein breit ausgewalzter Interviewband. Sebastian Kurz scheint es zu gefallen - nach dem Ende der Diskussion signierte er sogar noch einige Exemplare für das Publikum.
Quelle: n-tv.de
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