Zu wenig Ostdeutsche im GroKo-Kabinett

  09 Februar 2018    Gelesen: 1090
Zu wenig Ostdeutsche im GroKo-Kabinett
Viele Namen kursieren für ein mögliches Kabinett der Großen Koalition. Ostdeutsche Ministeranwärter fehlen dabei völlig. Das darf nicht sein, warnen Politiker aller Parteien.
 

Seit Mittwoch kursiert die Liste mit Namen der möglichen Minister für ein neuerliches, großkoalitionäres Kabinett. Sie ist, das wird immer wieder betont, nicht verbindlich, vieles kann sich noch ändern. Sollte sie aber so bleiben, wäre die Ost-Quote mehr als deutlich abgesackt: Es ist, sieht man von der Kanzlerin ab, kein ostdeutscher Ministeranwärter dabei. Auch 27 Jahre nach der Wiedervereinigung wird das zum Politikum.

Denn nach dem Aufstieg von Pegida, den Erfolgen der AfD bei den Landtagswahlen in den ostdeutschen Ländern und dem fulminanten Einzug der Partei in den Bundestag sagten viele aus dem Westen, sie würden dieses Land, das einmal hinter der Mauer gelegen habe, nicht kennen. Ein dunkles Deutschland sei das, warum, das wisse man nicht so genau. Es wurde viel spekuliert und geschrieben, über Wendeverlierer und Armut, über Wut und Rassismus.

Das hatten auch die schwarz-roten Partner in spe sicher im Sinn, als sie in der Überschrift ihres Koalitionsvertrages das Versprechen für einen "neuen Zusammenhalt für unser Land" abgaben. Man wolle "arbeiten für Stabilität und Zusammenhalt, für Erneuerung und Sicherheit und für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in unserem Land", heißt es in der Präambel. "Die besonderen Herausforderungen in Ostdeutschland erkennen wir als gesamtdeutschen Auftrag an."

Und nun das: kein ostdeutscher Minister, möglicherweise in einem Kabinett, das von einer Ostdeutschen angeführt wird?

Vor allem Politiker der SPD zeigen sich mindestens verschnupft bis empört. Die SPD-Landesgruppe Ost im Bundestag forderte ihre Partei auf, einen SPD-Ministerposten mit einem oder einer gebürtigen Ostdeutschen zu besetzen. Gebürtig, ein Stich Richtung Angela Merkel, die wurde schließlich in Hamburg geboren.


"Ein Ostdeutscher oder eine Ostdeutsche muss im Kabinett vertreten sein", forderte Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesiggegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) sagte dem SPIEGEL: "Ich bin entsetzt, dass es keinen ostdeutschen Minister im Kabinett geben soll." Sie wisse, dass die Grundrente dem Osten helfen werde, doch es gebe immer noch offene Reparaturen, und es gehe auch um Wertschätzung.

Linken-Politiker Gregor Gysi verglich das mögliche Kabinett mit den höchsten Gerichten des Landes, auch dort gebe es keine Ostdeutschen. "Vielleicht wird irgendwann doch begriffen, dass der Osten zu Deutschland gehört", sagte er dem SPIEGEL.

"Unser bestes Pferd im Stall war Thomas de Maizière"

Die CDU-Politiker aus dem Osten äußerten sich zurückhaltender, auch, weil natürlich ihre Kanzlerin das Kabinett anführt. Allerdings wies etwa Sachsen-Anhalts Regierungschef Reiner Haseloff darauf hin, dass sich auch nach fast drei Jahrzehnten Deutscher Einheit die Interessen und Bedürfnisse in Ost und West weiterhin unterschieden. "Vor diesem Hintergrund ist es auffällig und bedauerlich, dass bis dato kein Politiker aus dem Osten im neuen Kabinett vertreten ist, zumal dort fast alle Regionen Deutschlands abgebildet sind", sagte Haseloff der dpa. Auch der Thüringer CDU-Landeschef Mike Mohring warnte vor einer "Unwucht" am Kabinettstisch.

Der CDU-Abgeordnete Marco Wanderwitz aus Chemnitz räumte gegenüber dem SPIEGEL ein: "Unser bestes Pferd im Stall war Thomas de Maizière, wir haben momentan nichts Gleichwertiges anzubieten." Wenn man die Ostdeutschen auf der Ebene der Parlamentarischen Staatssekretäre am Kabinettstisch wiederfinde, halte er es nicht für einen totalen Beinbruch, wenn kein Ministerposten an einen Ostdeutschen gehe.

Ähnlich äußerte sich Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer: "Kein Koalitionsvertrag, an den ich mich erinnern kann, ist mehr auf ostdeutsche Interessen eingegangen als der vorliegende. Auch in den Gesprächen, an denen wir teilgenommen haben, war überall der Wille und die Bereitschaft zu erkennen, etwas für die neuen Länder zu tun."

Ausgerechnet Thüringens Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow findet die Debatte um ostdeutsche Minister wenig zielführend. Viele Biografien mischten sich, seien im Westen aufgewachsen, lebten aber lang im Osten, oder umgekehrt. Ramelow selbst ist im Westen geboren, lebt und arbeitet aber schon seit Jahrzehnten in Thüringen. "Was wir brauchen, ist eine Kultur der Wertschätzung gegenüber den Lebenserfahrungen der Ostdeutschen", sagte er.

Es ist noch gar nicht lange her, da war Ostdeutschland gut repräsentiert am Kabinettstisch: Die Kanzlerin mit DDR-Biografie, die Bildungsministerin aus Sachsen, die Familienministerin aus Schwerin, die in Brandenburg aufgewachsen ist, und der Innenminister, geboren zwar in Bonn, der aber seit Jahren in Dresden lebt und Cousin des letzten DDR-Ministerpräsidenten ist. Und dann war da an der Spitze des Staates noch ein ehemaliger Bürgerrechtler, der aus Rostock stammt und Verbrechen der Stasi aufgearbeitet hat.


Joachim Gauck hat aufgehört, CDU-Bildungsministerin Johanna Wanka will nicht mehr, Manuela Schwesig (SPD) ist inzwischen Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, und auch Thomas de Maizière (CDU) wird dem nächsten Kabinett wohl nicht mehr angehören. Übrig bleibt nach jetzigem Stand nur Angela Merkel.

Ob die Kultur der Wertschätzung wirklich ausreicht, um diese mangelnde Repräsentation zu kompensieren? Im vergangenen Kabinett gab es immerhin noch eine Ostbeauftragte. Ob der Posten erneut besetzt wird, sollte es zur GroKo kommen, ist noch unklar.

Quelle : spiegel.de


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