Wenn Angela Merkel sich im Fernsehen befragen lässt, ist Sommerpause, Wahlkampf oder Krise. Nach den gescheiterten Jamaika-Sondierungen im November war der Erklärungsbedarf besonders groß: Merkel ging ins ZDF und in die ARD, wo sie erstens erklärte, im Fall von Neuwahlen noch einmal zu kandidieren, und zweitens der SPD Gespräche über eine Große Koalition anbot.
Jetzt ist Merkel wieder im ZDF. Zu erklären gibt es einiges. Ein paar Fragen betreffen die Sozialdemokraten und richten sich an die Kanzlerin: Was passiert, wenn die SPD-Mitglieder die Große Koalition ablehnen? Ist die taumelnde SPD überhaupt die richtige Partei, um die von Merkel gewünschte "stabile Regierung" zu bilden? Wer soll jetzt Außenminister werden, da Martin Schulz von seiner Partei zum Verzicht auf dieses Amt gedrängt wurde?
Die spannendsten Fragen richten sich jedoch an die CDU-Vorsitzende: Wie will sie die immer lautere Nachfolgedebatte in ihrer Partei einfangen? Wie erklärt sie ihren Parteifreunden, warum die CDU das Amt des Finanzministers der SPD überlassen hat? Wird die Union jetzt das Auswärtige Amt fordern? Hat die CDU überhaupt noch andere Ziele, als andere Parteien zu bremsen - die CSU in der Flüchtlingspolitik und die SPD in der Sozialpolitik? Und die Frage aller Fragen: Wie regelt man die eigene Nachfolge, ohne zur lahmen Ente zu werden?
Um es kurz zu machen: Die meisten dieser Fragen werden beantwortet, wenn auch nicht in der Offenheit, die Journalisten und vermutlich auch die meisten anderen Zuschauer sich wünschen. Doch Merkel gibt Hinweise. "Erstmal bin ich froh, dass wir eine Koalitionsvereinbarung haben, die in der Sache sehr zu rechtfertigen ist", sagt sie, als Bettina Schausten fragt, warum die CDU das Finanz- und das Innenressort abgegeben und Merkel "so schlecht verhandelt" habe. Zwölf Stunden lang sei über den Ressortzuschnitt gesprochen worden, sagt Merkel. Das Finanzministerium zu verlieren, sei "schmerzlich" gewesen, aber "akzeptabel, denn was wäre die Alternative gewesen?" Sie gibt die Antwort selbst: "Die Alternative wäre gewesen, dass wir einfach hätten sagen müssen den Menschen: In der Sache haben wir einen Koalitionsvertrag, aber wir können uns leider auf die Ressorts nicht einigen. Und das war für mich nicht verantwortbar."
"Ich fühle, dass das auch schmerzhaft ist"
Öffentliches Reden gehört nicht gerade zu den Spezialdisziplinen der Kanzlerin, das ist bekannt. Es kommt vor, dass sie sich in Sätzen verheddert. Rhetorik ist aber nicht der einzige Grund, warum Merkel Schwierigkeiten hat, ihre Politik zu erklären. Mehr hat es wohl damit zu tun, dass sie selbst so intensiv über ihre Pläne nachdenkt. "Ich brauche lange und Entscheidungen fallen spät. Dann stehe ich aber auch dazu", sagte Merkel Ende 2016, als sie ihre vierte Kanzlerkandidatur verkündete. Und dann fällt es ihr schwer, der Öffentlichkeit zu erklären, was ihr selbst völlig klar ist.
So ist es auch bei der Frage, warum die SPD das Finanzministerium erobert hat. War Merkel in der schwächeren Verhandlungsposition, weil sie um jeden Preis ihren Posten behalten wollte? Über diese Annahme kann die Kanzlerin nur lächeln. "Es war so, dass ganz klar war, dass die SPD das Finanzministerium für sich beansprucht hat, und dass wir das auch gerne gehabt hätten, das ist klar, dann wäre es vielleicht an die CSU gegangen, das ist auch klar." Mit anderen Worten: Die CDU hätte das Ressort ohnehin verloren.
Merkel räumt ein, dass die CDU "einen Preis bezahlt" habe für diese Regierung, "für eine stabile Regierung". Es sei "eine sehr bewusste Entscheidung" gewesen, "zu einem bestimmten Punkt zu sagen: Ja, so kann es gehen, obwohl ich wusste und selber fühle, dass das auch schmerzhaft ist."
Letztlich bestätigt Merkel, dass sie in einer schlechteren Verhandlungsposition war als SPD und CSU. Wer möchte, kann dies zu ihrem Vorteil auslegen: SPD und CSU war es offenkundig schlicht nicht so wichtig, ob Deutschland eine Regierung bekommt. Merkel deutet das nur an: Als Bundeskanzlerin müsse man Verantwortung für dieses Land übernehmen. "Dieses Land braucht eine Regierung, die Alternativen sind nicht besser." Der Markenkern der CDU, den viele Menschen innerhalb und außerhalb der Partei vermissen, ist für Merkel klar: Stabilität.
Merkel plant "Neuaufstellung insgesamt"
Mit der SPD will Merkel trotz der dort veränderten Sachlage nicht noch einmal über die Verteilung der Ministerposten reden. Die sei "für mich jetzt fix". Über den amtierenden Chef des Auswärtigen Amtes sagt Merkel, sie habe immer gut mit Sigmar Gabriel zusammengearbeitet, "aber die Entscheidung, wer das Außenministerium bekleidet, die fällt einzig und allein die SPD", das sei bei der CDU genauso. Dem scheidenden SPD-Chef Schulz wünscht sie alles Gute, "das sind ja wahnsinnige Zeiten für ihn".
Und die Zukunft der CDU? Die ist nicht wahnsinnig, sondern völlig entspannt, jedenfalls, wenn man Merkels Körpersprache glaubt. Schausten zitiert den CDU-Bundestagsabgeordneten Carsten Linnemann, Chef der Mittelstandsvereinigung der Union, der gesagt hatte, dies könne der Anfang vom Ende der CDU als Volkspartei sein. Sie verstehe die Enttäuschung, sagt Merkel und ist die Ruhe selbst, da spiele auch das Wahlergebnis eine Rolle, "es war ja ein nicht gutes Wahlergebnis". Bei der Besetzung der CDU-Ministerien werde "natürlich von meiner Seite auch darauf zu achten sein, dass wir nicht nur die über 60-Jährigen berücksichtigen, sondern auch jüngere Leute berücksichtigen, das ist ganz klar". Dann verspricht Merkel noch, dass "zum" CDU-Parteitag am 26. Februar bekannt sein werde, wer welches Ressort bekommt. Wer Generalsekretär werden soll und ob es überhaupt einen neuen gibt, verrät Merkel nicht, aber sie sagt, "wir machen eine "Neuaufstellung insgesamt". Jetzt gehe es darum, "Personen Chancen zu geben, die ihre politische Zukunft noch vor sich haben oder mitten da drin sind, und da werden wir alles tun, dass diese Personen Chancen bekommen."
Einen Autoritätsverlust sehe sie nicht. Es sei natürlich, dass eine Partei "sich Gedanken macht, wenn jemand wie ich zwölf Jahre Bundeskanzlerin ist". Schließlich sei klar, dass sie nicht weitere zwölf Jahre Bundeskanzlerin sein werde. "Auf der anderen Seite habe ich mit meiner Partei ja auch sehr ausführlich darüber gesprochen, vor der Bundestagswahl, ob es richtig ist und gewünscht wird, dass ich wieder antrete für vier Jahre. Das ist damals bejaht worden." Außerdem habe sie sich der Bevölkerung gegenüber auf vier Jahre verpflichtet. Bleibt es dabei? "Ja, natürlich."
Ob es sein könne, dass sie gerade den Zeitpunkt für einen guten Abgang verpasse, will Bettina Schausten dann noch wissen. "Ich glaube nicht." Und was, wenn das Mitgliedervotum der SPD nicht in ihrem Sinne ausgeht? Dieser Weg sei klar vorgezeichnet. "Dann gehe ich zum Bundespräsidenten und dann kommt wieder Artikel 63 unserer Verfassung ins Spiel und dann muss er jemanden vorschlagen und dafür stehe ich zur Verfügung ... stünde ich zur Verfügung", korrigiert Merkel sich.
Der Konjunktiv drückt aus, dass sie auf ein Ja der SPD-Basis hofft - nicht, dass sie darüber nachdenkt, ihre Ämter niederzulegen. Wer darauf setzt, Merkel könne den Übergang schon im kommenden Jahr einleiten, für den ist dieses Interview eine Enttäuschung. Kanzlerschaft und Parteivorsitz gehörten ihrer Ansicht nach in eine Hand, wiederholt sie eine Position, die sie schon mehrfach vertreten hat. "Dabei bleibt es."
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