Warum die Türkei-Berichterstattung unseriös ist

  19 Februar 2018    Gelesen: 1529
Warum die Türkei-Berichterstattung unseriös ist
Befindet sich die deutschsprachige Medienwelt gerade in einer Phase grotesker Ekstase? Leider scheint das so zu sein, meint Ruşen Timur Aksak in einem Kommentar.

Kommentar Ruşen Timur Aksak / - Ein Bekannter hat mich gebeten einen Bericht des deutschen Magazins „Der Spiegel“ durchzulesen. Ich hab ihm – wie die Male zuvor – gesagt, ich würde mir die deutschsprachige Berichterstattung zum Thema Türkei mittlerweile sparen. Selbst in meiner journalistisch aktiven Phase habe ich dabei nur selten Ausnahmen machen müssen. Denn aus tendenziösen, schlecht recherchierten oder ganz und gar dem Clickbait-dienenden Beiträgen lässt sich ohnehin nichts Brauchbares lernen.

Doch der Bekannte gab keine Ruhe und ich habe mir daraufhin die Mühe gemacht, den im Grunde kurzen Bericht auf „Auffälligkeiten“ durchzusehen. Es wurden viele. Unten sieht man das Ergebnis meiner „Fehlerkorrektur“:

Gehen wir von oben nach unten, Absatz für Absatz. Im Bericht geht es um ein Gerücht, wonach die Türkei Giftgas eingesetzt hätte. Das wäre ein schweres Kriegsverbrechen. Daher muss man journalistisch natürlich besonders sauber und umsichtig vorgehen. Würde man denken. Also:

1) Der US-amerikanische Außenminister Tillerson war am späten Donnerstag-Abend in der Türkei. Also nur einen Tag vor dem angeblichen Giftgas-Angriff. Es ging bei den Gesprächen just um jene Gruppe (PKK/PYD/YPG), die die Anschuldigungen erhoben hat. Bei einem umsichtigen Journalisten bzw. in einer ordentlichen Redaktion müssten da sofort die Alarmglocken schrillen. Das geschah nicht.

2) „ihrer Verbündeten“ – warum man an dieser Stelle die Freie Syrische Armee (FSA) unerwähnt lässt, ist nicht nachvollziehbar. Trug und trägt sie doch seit Beginn des Bürgerkrieges die Hauptlast der Kämpfe gegen Assad UND den IS.

3) „Sechs Verletzte“ – waren es Kämpfer oder Zivilisten? Da sich der Spiegel bzw. die Agenturen Reuters und DPA auf Quellen vor Ort berufen, wäre diese Information mehr als wichtig.

4) „Atembeschwerden und erweiterte Pupillen“ – doch das meldet nur die so genannte „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“, die in London sitzt. Gerade der Aspekt „erweiterte Pupillen“ wäre ein Hinweis auf Giftgas. Aber.

5) „Leiter eines Krankenhauses“ – wie heißt er? Welches Krankenhaus? Wie kommen mögliche Giftgas-Opfer viele Kilometer von der Front bis in die Bezirksstadt Afrin? Waren es Kämpfer oder Zivilisten? Die Agentur DPA zitiert lediglich, einen namenlosen Krankenhaus-Leiter, der von „Atembeschwerden“ berichtet.

6) „Türkei reagiert bislang nicht“ – Abgesehen von der kurzen Zeit (Freitag kommt das Gerücht auf, Samstag Früh wird berichtet – siehe rote Pfeile) müsste klar angeführt werden, ob und wie man zuständige türkische Stellen erreichen hat wollen. Wie oft? Wer wurde kontaktiert? Telefonisch? Per Mail? Gab es gar keine oder abweisende Reaktionen? Das alles müsste genau aufgeführt werden, um seriöse Arbeit zu protokollieren.

7) „Syrische Nachrichtenagentur SANA“ – verschieden Quellen, abweichende Schilderungen. Doch gerade das offizielle Portal des syrischen Regimes, das ja schon nachweislich Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat, als Quelle herzunehmen, ist ein Armutszeugnis.

8) „mutmaßlichen Giftgasangriffen in Afrin“ – hier wird von Anschuldigungen berichtet, die die FSA gegen die PKK/PYD/YPG erhoben hatte, Giftgas eingesetzt zu haben. Nur lässt der Bericht dabei genau diesen Kontext, diese Details einfach weg, wodurch ein völlig falscher Eindruck entsteht. Im Übrigen haben sich die Berichte der FSA als „gewöhnliche“ Rauchvergiftungen herausgestellt, was infolge massiven Beschusses auch nicht ungewöhnlich ist. Doch all das wird einfach ausgespart, über die Motive müsste ich spekulieren, aber dem Bericht tut es nicht gut.

9) letzter Absatz – hier vermischt sich Kommentar mit Bericht. Während die Türkei offiziell angibt gegen den syrischen PKK-Ableger PYD/YPG vorzugehen, wird im Bericht kommentierend der Aspekt „kurdische Autonomiebewegung“ hinzugefügt. Dass die Türkei aus ihrer Sicht eine Anti-Terroroperation führt, wird nicht einmal der Form halber erwähnt. Unsauber.

Conclusio: 


Bei der Schwere der Anschuldigungen so einen Bericht rauszubringen, grenzt an Missbrauch des Journalismus. Aber da sich die deutschsprachige Medienwelt gerade in einer Phase grotesker Ekstase befindet, wird man leider weiterhin solche unsauberen bis tendenziösen Berichte lesen müssen. Oder man hört auf mich, lässt die Medien links liegen, fällt nicht auf das Clickbait-Spiel rein und liest stattdessen gute Bücher.


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