Jens Spahn lauert. Der CDU-Spitzenpolitiker wartet auf einen Anruf der Kanzlerin und ein Angebot für einen Ministerposten in der neuen Großen Koalition. Mit ihm warten manche Konservative und Wirtschaftsliberale der CDU. Denn Spahn ist zur Symbolfigur der Merkel-Kritik in der Union geworden. Er hat die Fehler von Merkels Migrationspolitik offen gebrandmarkt, ja sogar ein ganzes Buch gegen das "Staatsversagen" veröffentlicht. Er hat die Macht der Kanzlerin mehrfach infrage gestellt und auf zwei Parteitagen (2014 mit der Kampfkandidatur gegen Merkels Wunschmann Hermann Gröhe und 2016 mit dem Doppelpass-Aufstand) Angela Merkel sogar in einer offenen Feldschlacht besiegt.
Genau darum wird der Anruf aus dem Kanzleramt wohl ausbleiben. Angela Merkel handelt eher wie weiland Helmut Kohl - Abtrünnige werden nicht eingebunden, sondern abgestraft. Die Kanzlerin würde mit der Nominierung Spahns den konservativen, verärgerten Parteiflügel zwar schlagartig befrieden und der Kritik an ihrer Person die Spitze nehmen. Doch Merkel sieht Kritiker vor allem als Wegelagerer auf dem Weg zu eigenem Ruhm und agiert lieber über Loyalitäten.
Die überraschende Personalie, Annegret Kramp-Karrenbauer zur neuen CDU-Generalsekretärin zu machen, ist diesbezüglich ein Coup. Sie zeigt damit, dass sie auf die Kritik durchaus reagiert, zur Erneuerung der CDU und zum Aufbau einer Nachfolgerin endlich bereit ist. Erstmals macht sie den Blick frei auf das Ende ihrer eigenen Regentschaft. Zugleich befördert sie eine persönliche Vertraute und politische Geistesverwandte - damit soll die linksgeneigte Strategie der Merkel-Ära verlängert werden. Kramp-Karrenbauer ist integer, über alle Lager in der Union hinweg respektiert und beliebt. Keiner wagt es, diese Personalien zu kritisieren, zumal die Saarländerin tapfer ihr Ministerpräsidentenamt opfert. Ihre Berufung ist ein Knotenlöser in den innerparteilichen Verkrampfungen.
Ministerfrieden oder Männermeuterei
Doch ein Befreiungsschlag ist es nicht. Denn gerade weil Kramp-Karrenbauer Merkel politisch so nahe steht, handelt es sich zugleich um eine Absage an die unruhiger werdenden wirtschaftsliberalen, wertkonservativen, patriotischen Milieus der Union. Dort erwartet man nun umso mehr bei der Kabinettsbildung ein personalpolitisches Signal.
Behutsame Verfechter fordern Carsten Linnemann, Vorsitzender der Wirtschafts- und Mittelstandsvereinigung, als neuen Wirtschaftsminister. Forsch-fantasievolle Gemüter wünschen sich gar Friedrich Merz in dieses Amt und damit in die Politik zurück. Die meisten aber blicken eben auf Jens Spahn, obwohl manche ihn als einen etwas zu ausgeprägten Freund seiner selbst wahrnehmen.
Beruft Merkel ihn nicht, dann hat sie von diesem Moment an einen enthemmten Feind im eigenen Haus. Spahn würde dann mit offenem Visier die innerparteiliche Opposition gegen Merkel sammeln. Er hat eine erstaunlich große Gefolgschaft in der Fraktion, und er könnte bei passender Gelegenheit den nicht so fest im Sattel sitzenden Fraktionschef Volker Kauder attackieren.
Spahn könnte aber auch schon auf dem Parteitag kommende Woche ungemütlich werden. Er sei ein Freund lebhafter Parteitage, erklärt er süffisant - im Kanzleramt kann man das als Drohung hören, oder aber ihn in Umarmung beschwichtigen. An Spahn entscheidet sich in dieser Woche Ministerfrieden oder Männermeuterei in der Union.
Quelle: n-tv.de
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