Das Brexit-Gift entfaltet seine Wirkung

  31 März 2018    Gelesen: 1008
Das Brexit-Gift entfaltet seine Wirkung

Vor 20 Jahren entscheidet sich die tief gespaltene nordirische Gesellschaft gegen den Hass und für Frieden. Doch nun wackelt das Karfreitagsabkommen. Schuld daran ist die Diskussion um den Brexit, bei der Nordirland längst als Verlierer feststeht.

 

Die Narben des nordirischen Bürgerkrieges sind weithin sichtbar. Zumindest in Belfast. Wer in der Hauptstadt der Region am Rande Europas unterwegs ist, kommt an den Murals, den Mauergemälden, nicht vorbei. Hier ein heroisch posierender IRA-Kämpfer, dort ein maskierter Paramilitär der UVF - viele Motive zeugen von der Zeit, in der mehr als 3600 Menschen ihr Leben verloren. Am 10. April 1998, damals ein Karfreitag, schlossen katholische Nationalisten und protestantische Loyalisten offiziell Frieden. Doch am Vorabend des Brexit zeigt dieser Risse.

Seit die Mehrheit der Briten für den Austritt aus der Europäischen Union votierte, droht Nordirland in alte Zeiten zurückzufallen. Obwohl das Gros der Nordiren gegen den Brexit stimmte, wirkt das Gift, das EU-Feinde wie Nigel Farage vor dem Votum versprühten. Wegen seiner Landesgrenze zum EU-Mitglied Irland ist Nordirland nun Zankapfel von britischer Regierung und EU - und scheint derweil rhetorisch wie strukturell ins Damals zu taumeln.

Damals, das ist die Zeit, in der die unionistische Partei DUP unter ihrem radikalen Anführer Ian Paisley sowie loyalistische Paramilitärs vehement gegen ein politisches Mitspracherecht von Katholiken in Nordirland kämpften. Mantraartig propagierten sie "No surrender" - keine Kapitulation. Im Februar erregte Paisleys gleichnamiger Sohn im Londoner Unterhaus Aufsehen, als er die Regierung aufforderte, die Brexit-Gespräche mit einer "No surrender"-Haltung zu führen.

Auch der Republikaner Gerry Adams bewies jüngst, dass er die alte Rhetorik noch beherrscht: "Ich glaube, die britische Regierung hat kein Recht, in Irland zu sein, hatte nie das Recht, in Irland zu sein, und wird nie das Recht haben, in Irland zu sein", sagte der inzwischen abgetretene Langzeit-Vorsitzende der katholisch-republikanischen Partei Sinn Féin bei einem Festakt zum 20. Jubiläum des Karfreitagsabkommens in Washington. Der Spruch stammt übrigens nicht von Adams, sondern von James Connolly. Dieser führte 1916 den Osteraufstand in Dublin an und gilt seitdem als Ikone der irischen Unabhängigkeitsbewegung.

Querschützen in Mays Reihen


Mit solchen Aussagen punktet Sinn Féin, die aus dem Fernziel einer irischen Wiedervereinigung nie einen Hehl gemacht hat, bei ihren Wählern. Auch die pro-britische DUP kann sich derlei Verbalattacken leisten, denn sie hat Premierministerin Theresa May in der Hand. Seit 2017 ist diese in Westminster auf die zehn Stimmen der nordirischen Regionalpartei angewiesen und muss ihre Brexit-Schritte stets von den Paisley-Erben absegnen lassen. Anfang Dezember musste May eine mit der EU ausgehandelte Kompromissformel nachbessern, weil DUP-Chefin Arlene Foster ihr Veto eingelegt hatte.

Die Brexit-Verhandlungen wirken sich auch unmittelbar auf Nordirland selbst aus. Die Beispiele Paisley und Adams zeigen, dass dort das politische Klima längst nicht mehr nur rau ist. Es ist vergiftet. Bereits im Januar 2017 zerbrach in Belfast die mühsam ausgehandelte Koalition aus DUP und Sinn Féin - das Karfreitagsabkommen verpflichtet beide gesellschaftlichen Strömungen zur Bildung einer Gemeinschaftsregierung. Die DUP weigerte sich, Irisch als Amtssprache anzuerkennen sowie die Einführung der Homo-Ehe zu befürworten. Zudem entfachte ein Streit über ein millionenschweres Förderprogramm für erneuerbare Energien. Doch das sind Nichtigkeiten im Vergleich zu den tiefen ideologischen Gräben zwischen beiden Parteien. Ihr Land jedenfalls hat seit mehr als einem Jahr keine Regierung mehr.

Schier auswegloses Dilemma


"Die Situation ist schwierig, weil der Brexit das entscheidende Thema zwischen Unionisten und Nationalisten ist", sagt die Politikwissenschaftlerin Katy Hayward im Gespräch mit n-tv.de. So sei es schwer, die Machtteilung wiederherzustellen, "wenn auch auf höchster Ebene keine Fortschritte erzielt werden". Hayward forscht und lehrt an der Queen's University in Belfast zum Brexit und zur inneririschen Grenze - dem größten Streitkomplex im Brexit-Diskurs.

Dieser Streit ist, wie so ziemlich alles in Nordirland, kompliziert. Und absurd. Im Grunde sind sich alle einig: Weder die EU noch May noch die nordirischen Parteien wollen eine "harte Grenze" auf der irischen Insel, also die Wiedereinführung von Grenz- und Zollkontrollen zwischen dem Norden und der Republik, die 2005 abgeschafft wurden. Anfang Dezember haben sich May und die EU bereits darauf verständigt. Doch das letzte Wort ist dabei nicht gesprochen.

Denn hier offenbart sich Mays Dilemma: Wenn sie an ihren "roten Linien" festhält und gemeinsam mit Nordirland aus der EU-Zollunion und dem Binnenmarkt aussteigt, führt um Personen- und Güterkontrollen an der 499 Kilometer langen inneririschen Grenze kein Weg herum - wie sonst sollte sich die EU beispielsweise vor Schmugglern schützen? Damit würde May allerdings das Karfreitagsabkommen untergraben, das die Grenze bislang unsichtbar gemacht hat.

Alternativ könnte May einer "harten Grenze" zwischen Nordirland und Großbritannien zustimmen, wobei das nordirische Stiefkind nach der Scheidung weiter im europäischen Binnenmarkt bliebe. Dies würde ein Erdbeben auslösen: Zum einen liefe die DUP Sturm, weil ein der EU angepasstes und vom Rest des Vereinigten Königreichs getrenntes Nordirland einen Schritt in Richtung irischer Einheit täte. Zum anderen würde May so wohl den Zerfall Großbritanniens einleiten. Es ist bezeichnend, dass es die DUP war, die sie darauf hinweisen musste. Kurz darauf betonte May: "Kein britischer Premierminister könnte dem je zustimmen." Einen konkreten Brexit-Plan ist sie immer noch schuldig.

"Es wird desaströs"

So oder so: Bereits jetzt steht Nordirland als Verlierer fest. "Der Blick auf sämtliche Wirtschaftsprognosen verdeutlicht, dass jegliche Art des Brexit Nordirland hart treffen wird", sagt Hayward. "Innerhalb des Vereinigten Königreichs wird Nordirland definitiv am meisten leiden." Fast ein Drittel des nordirischen Handels findet aktuell mit der Republik statt. Dies ist nun in Gefahr - ebenso wie die Errungenschaften des Karfreitagsabkommens.

Zwei Jahrzehnte ist es her, dass die tief gespaltene Gesellschaft dem Hass Einhalt gebot. Mit der wahrscheinlichen Wiederkehr der einstigen Grenzkontrollen wird einer der Grundpfeiler des Friedensschlusses umgetreten. Noch im Jahr 2013 würdigte der damalige US-Präsident Barack Obama den nordirischen Friedensprozess als "Blaupause für die Beendigung anderer Konflikte in der Welt". Jetzt könnte Nordirland demonstrieren, wie ein mühsam erreichter Frieden zerstört wird. "Das Karfreitagsabkommen ist wertvoll. Es ist alles, was wir haben", mahnt Hayward. "Wenn wir das wegnehmen, wird es desaströs." Doch das Brexit-Gift hat längst seine Wirkung entfaltet und erinnert die nordirischen Konfliktparteien mehr an ihre Unterschiede als an die Gemeinsamkeiten.

Quelle: n-tv.de

 


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