Kantinengespräch, gestern Mittag mitgehört. "Das können die doch nicht machen." - "Aber ich hab's doch gelesen!" - "Da hat bestimmt Budweiser Druck gemacht, die freuen sich jetzt!" Es ging um einen bösen Begriff, der hier gerade die Runde macht und nicht nur in dieser einen Kantine für Diskussionen sorgt: Alkoholverbot bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Was? Geht ja gar nicht!
Stimmt. Kommt auch nicht, jedenfalls nicht so pauschal, wie das in einigen Berichten klingt. Also, dröseln wir doch mal auf, was man wissen muss, wenn man zur WM in Russland ist und gerne mal ein Bier trinkt.
Blöde Russland-Witzchen mal beiseite: Alkoholismus ist hier seit Langem ein ernstes, extrem weit verbreitetes Problem. Schon zu Sowjetzeiten gab es immer wieder Versuche der Regierung, den Konsum einzuschränken. Michail Gorbatschow (nach dem, oh Ironie, später eine Wodkamarke benannt wurde) ging Mitte der Achtziger besonders streng vor - er erhöhte die Preise für Wodka, Bier und andere alkoholische Getränke deutlich und schränkte ein, zu welchen Uhrzeiten sie verkauft werden durften. Die Russen reagierten mit beißendem Spott und schimpften ihn den "Mineralsekretär."
Klingt doch gut, die Idee, Mindestpreise für alkoholische Getränke einfach so hoch zu setzen, dass sich die Bevölkerung weniger davon leisten kann? Nur bedingt, weil es eben nicht um eine Kaufentscheidung wie "lieber Reis oder lieber Nudeln?" geht, sondern um eine Sucht. Sind die legalen Drogen zu teuer, wird ausgewichen - auf Samogon zum Beispiel, ein Wort aus "sam", selbst, und "ogon", Feuer. Selbstgebrannter Schnaps also, in der Hoffnung, dass der Brenner weiß, was er tut und man nach dem Trinken nicht erblindet. Oder - da, wo Armut, Verzweiflung und Sucht besonders groß sind - auf alles, was irgendwie Alkohol enthält, und sei es Parfum. 2016 starben in der sibirischen Stadt Irkutsk mehr als 60 Menschen, die einen Badezusatz getrunken hatten, wegen seines Alkoholgehaltes.
Bier gilt in Russland erst seit ein paar Jahren als alkoholisches Getränk. Also, natürlich war immer allen klar, dass es Alkohol enthält. Aber erst seit 2012 ist es auch rechtlich so eingestuft und darf deshalb an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten nicht mehr verkauft werden. Auch Bierwerbung ist seitdem verboten - vor ein paar Tagen lief plötzlich eine im Fernsehen und ich war ein bisschen perplex, bis ich gemerkt habe, dass es um Alkoholfreies ging.
Russlandweit gilt ein Gesetz, wonach zwischen elf Uhr abends und acht Uhr morgens kein Alkohol verkauft werden darf. Manche Städte haben den Zeitraum sogar noch weiter eingeschränkt und beginnen das Verkaufsverbot schon abends um zehn. Wohlgemerkt: "Verkauf" heißt wirklich im Laden, an der Kasse. In der Kneipe ausgeschenkt wird Alkohol auch später. Neuerdings darf Bier außerdem nicht mehr in Flaschen verkauft werden, die mehr als anderthalb Liter fassen.
Bei Sportveranstaltungen darf in Russland kein Alkohol verkauft werden - das ist die grundsätzliche Regel. Wer zu einem Fußballspiel der Premjer-Liga geht, bekommt nur alkoholfreies Bier (beim Eishockey wurschteln sich ein paar Vereine um das Verbot herum, auf welcher Grundlage ist nicht ganz klar). Für die WM wird allerdings eine große Ausnahme gemacht - schließlich ist Budweiser einer der Sponsoren, darf also zwei seiner Biersorten in den Stadien von Kaliningrad bis Jekaterinburg verkaufen. Auch für Bierwerbung gibt es rund um die WM eine Ausnahmegenehmigung.
Und nun zu der Neuregelung. Ist da wirklich gerade an den Spieltagen komplett verboten worden, in Moskau Alkohol zu verkaufen? Nein, natürlich nicht - nur in einem Zwei-Kilometer-Radius rund um die beiden WM-Stadien und um die offizielle Fanzone oben in den Sperlingsbergen. Das Verbot gilt sogar schon ab dem Vortag der Spiele, und diesmal sind - Achtung! - nicht nur Supermärkte und Kioske betroffen, sondern tatsächlich auch Kneipen, Bars und Restaurants. Ein heftiger Rückschlag für die Wirte, die mit diesen Einnahmen geplant hatten und nun sechs Wochen vor Turnierbeginn erfahren, was ihnen da an Einnahmen wegbricht.
Fazit also: Bei der WM ist die Sache mit dem Alkoholverkauf in Russland genau andersrum als im normalen Leben: Sonst kann man in Moskau so gut wie überall sein Bier bekommen, außer im Fußballstadion. Diesen Sommer wird für die Menschen innerhalb dieser Sperrgebiete das Stadion der eine Ort sein, wo sie noch ein Bier bekommen können. Eines kann man also mit Sicherheit sagen, Gerüchte hin, Faktenlage her: Irgendjemand in der Budweiser-Führungsriege ist gerade ziemlich gut gelaunt.
Quelle: n-tv.de
Tags: