Die Denkpause ist bitter nötig

  04 Mai 2018    Gelesen: 2508
Die Denkpause ist bitter nötig

2018 ohne Literaturnobelpreis: Die Schwedische Akademie zieht die Konsequenzen aus dem Missbrauchsskandal, und das ist gut so. Jetzt ist Zeit da für Reformen - gelingt die Ablösung der alten Garde?

Hand aufs Herz - wer hat sich in den vergangenen Jahren wirklich damit befasst, welches Gremium den Nobelpreis für Literatur vergibt? Vage hatte man ein Bild vor Augen von festlich gekleideten älteren Semestern aus Schweden. Über manche ihrer Urteile wurde gestritten (Bob Dylan!), manche wurden bestaunt (Herta Müller). Andere hinterließen Verwirrung (Jean-Marie Gustave Le Clézio). Doch die Entscheider selbst wurden nicht weiter infrage gestellt.

Wahrscheinlich hätte sich der Preisträger oder die Preisträgerin des Jahres 2018 in der Rückschau in diese etwas erratische, aber eben gleichzeitig hochwürdige Reihe einsortiert - und niemand hätte mehr nach den Umständen der Vergabe gefragt.

Aber die Bekanntgabe und Vergabe im Herbst 2018 mit all ihren Ritualen wären überschattet gewesen von dem, was um die Schwedische Akademie in den vergangenen Monaten geschehen ist. Die Preisträgerin oder der Preisträger hätte sich damit abfinden müssen, nur ein Thema unter mehreren zu sein. Angesichts der Reihe an Skandalen, die in den vergangenen Wochen ans Tageslicht gekommen sind, ist es richtig, dass die Schwedische Akademie entschieden hat, den Nobelpreis für Literatur 2018 nicht zu vergeben.

Zur Erinnerung: Die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs durch Jean-Claude Arnault, den Ehemann des Akademiemitglieds Katarina Frostenson, wurden schon in den Neunzigern an das Gremium herangetragen. Man fand das nicht so wichtig und vertiefte noch die Beziehungen zu der von Arnault betriebenen Kulturbühne Forum.


Als im Zuge der #MeToo-Debatte 18 Frauen im Herbst 2017 in der Zeitung "Dagens Nyheter" ihre Erfahrungen mit Arnault schilderten, tat die damalige Ständige Sekretärin der Schwedischen Akademie, Sara Danius, das einzig Richtige: Sie ließ die Verbindungen der Akademie zum Forum und ihrem Betreiber extern prüfen.

Ein beauftragtes Anwaltsbüro ermittelte, dass die Namen mehrerer Nobelpreisträger vorab durchgestochen worden sein sollen. Und befand offenbar, dass die Geldflüsse zwischen Akademie und Forum ein Fall für die Polizei seien, Abteilung für Wirtschaftskriminalität.

Daraus folgte für Horace Engdahl, Akademiemitglied seit 1997 und enger Freund Arnaults: Sara Danius sei "die schlechteste Ständige Sekretärin seit 1786", dem Gründungsjahr der Akademie. Jener Engdahl ist noch immer im Amt. Sechs andere Akademiemitglieder haben ihres niedergelegt im Zuge der Affäre.

Lange sprachen die noch Verbliebenen von einem "Weiter-so", als auf Stockholms Straßen schon zur Unterstützung des Aufklärungskurses demonstriert wurde und der König, der Schutzpatron der Akademie, bereits seine Besorgnis geäußert hatte. Inzwischen hat er eine Satzungsänderung auf den Weg gebracht, die eine Erneuerung wenigstens ermöglicht.

spiegel


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