Noch ein twitternder Präsident

  14 Mai 2018    Gelesen: 496
Noch ein twitternder Präsident

Kataloniens Parlament wählt endlich einen neuen Regierungschef. Quim Torra ist eiserner Verfechter der Unabhängigkeit. Viele moderate Katalanen sind indes nur noch frustriert.

 

Seit Monaten beobachtet Leandro Martinéz das politische Pokerspiel in seiner katalanischen Heimat mit wachsender Frustration. "Ich habe die Nase voll. Hier redet niemand mehr miteinander, sondern alle beschimpfen sich gegenseitig nur noch als Separatisten oder als Faschisten", sagt der Jurist. Katalonien ist im Populismus versunken, seit die Unabhängigkeitsbewegung vor mehr als sieben Monaten ihren Plan von einem Referendum in die Tat umgesetzt hatte. Der politische Dialog ist verroht, die Fronten verhärtet und beide Seiten jederzeit für neue Provokationen gut. Noch immer ist Paragraf 155 in Kraft, der die Region der direkten Administration Madrids unterstellt. "Ich komme mir hier vor wie in einer Netflix-Serie, und alle warten auf die nächste Episode", sagt Martinéz.

Das Warten hat zunächst einmal ein Ende. An diesem Montag wurde in Barcelona endlich ein neuer Regierungschef gewählt, der dem verhinderten Ex-Präsidenten Carles Puigdemont nachfolgt. Puigdemont selbst lebt zurzeit im Exil in Deutschland, zwei weitere Kandidaten sitzen in Spanien in Untersuchungshaft, weil sie der Rebellion angeklagt sind. Damit ist der Nationalist Quim Torra der vierte Anwärter auf den Posten, was seiner Kandidatur einen Hauch von Beliebigkeit verlieh. Doch Puigdemont persönlich empfahl den als Hardliner bekannten Anwalt und Autor. Und Torra macht kein Hehl daraus, dass er sich nur als Statthalter sieht. Eigentlich müsse Carles Puigdemont hier stehen, sagte er am Samstag vor den Abgeordneten im katalanischen Parlament. Dass der Separatistenführer auch aus dem Exil seinen Einfluss auf die Geschicke in Barcelona behält, scheint angesichts dieser Konstellation ausgemacht.

Es wurde höchste Eisenbahn für das Regierungsbündnis aus JuntsxCat (Zusammen für Katalonien) und der Republikanischen Linken ERC, endlich einen zu finden, der es machen will und kann. Auch wenn Torra vielen Anhängern der Idee eines eigenen Nationalstaats noch kein Begriff ist. Dabei war er 2016 kurzzeitig auch Vorsitzender der Unabhängigkeitsbewegung Òmnium Cultural. "Ich kenne ihn nicht, aber zumindest steckt er nicht in der Madrid-Falle", sagt ein Katalane, der leitender Angestellter eines deutschen Lebensmittelunternehmens ist und glühend für eine eigene Republik Katalonien einsteht. Mit großer Wut hatte er erlebte, wie Madrid systematisch die Führungsriege der Separatisten aus dem Spiel nahm.

"Die Spanier wissen nur, wie man plündert"


Viele Katalanen wollen eigentlich nur noch eines: Lösungen und Kompromisse für die vertrackte Situation, in die sie die Politik getrieben hat. Lösungen, die dafür sorgen, dass die Wirtschaft der Region nicht weiter leiden muss, weil Investoren sich zweimal überlegen, ob sie eine neue Fabrik bauen. Und Kompromisse, die verhindern, dass der Wohlstand Kataloniens geopfert wird für die Dickköpfigkeit von Politikern aus beiden Lagern. Doch stattdessen sind die Katalanen seit Herbst vergangenen Jahres Zuschauer von Ränkespielen um die Macht, wie sie Drehbuchautoren auch nicht besser erfinden könnten: eine ausgerufene Unabhängigkeit, ein Präsident im Exil, eine Festnahme auf der Autobahn, katalanische Politiker in Haft, Massendemonstrationen und ein Quasi-Ausnahmezustand durch Paragraf 155. Wäre all das Fiktion, es machte Lust auf mehr. In der Realität aber haben es viele Katalanen satt, im Zentrum dieser "unendlichen Geschichte" zu stehen, wie Jurist Martinéz sagt.

Torra reichte am Montag eine einfache Mehrheit im zweiten Wahlgang, nachdem er wegen der knappen Mehrheitsverhältnisse im ersten Anlauf am Samstag erwartungsgemäß gescheitert war. In wenigen Tagen wäre die Frist für die Wahl eines Präsidenten abgelaufen und die Wähler hätten erneut an die Urnen gemusst. Angesichts des engen Wahlausgangs im Dezember hätten die Separatisten um ihre Mehrheit fürchten müssen. So bekommen sie noch rechtzeitig die Kurve und legen die Basis für die nächsten Kapitel im Streit mit Madrid.

Denn Torra ist eine pikante Wahl. Er hat sich in der Vergangenheit einen Namen gemacht, als Scharfmacher für die katalanische Sache, der kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es darum geht, die Zentralregierung in Madrid anzugehen. Es ging schon am Samstag los, als er vor dem ersten Wahlgang vom Leder zog. Er spielte die gesamte Klaviatur der Separatisten mit allen schrillen Tönen, die dafür prädestiniert sind, dass in Madrid die Ohren auf Durchzug gestellt werden, wenn es um Zugeständnisse an die Katalanen geht.

Seine Rede war sozusagen die Fortsetzung jener Tiraden, die er einst über soziale Medien in die Welt blies. "Die Spanier wissen nur, wie man plündert", "Schande ist ein Wort, dass die Spanier vor langer Zeit aus ihrem Wortschatz gestrichen haben", oder "Augenscheinlich leben wir seit 1714 unter spanischer Besatzung", twitterte Torra einst. Die meisten seiner Kommentare sind jetzt gelöscht. Dennoch werden sie Torras Präsidentschaft begleiten. Ob er weiter frei Schnauze twittert, wenn er Regierungsverantwortung trägt, wird sich zeigen. Prominente Beispiele machen es ja vor.

"Ich habe die Nachricht von seiner Nominierung fast schon gleichgültig zur Kenntnis genommen. Was in den vergangen Monaten geschehen ist, war unglaublich ermüdend und extrem frustrierend", sagt die katalanische Journalistin und Publizistin Andrea Rodes. Sie war immer gegen eine Unabhängigkeit, ist aber entsetzt darüber, dass viele katalanische Regierungsmitglieder in Haft sitzen. Torras extremen Positionen hält sie für wenig förderlich, um eine Annäherung in dem Konflikt zu erreichen. "Aber immerhin haben wir jetzt endlich einen neuen Regionalpräsidenten."

Quelle: n-tv.de


Tags:


Newsticker