Auf Gefechtsstation: Warum Russland seinen Flottenverband im Mittelmeer verstärkt

  21 Mai 2018    Gelesen: 1112
Auf Gefechtsstation: Warum Russland seinen Flottenverband im Mittelmeer verstärkt

Die russische Marine entsendet Zerstörer, Fregatten und U-Boote mit neuesten Marschflugkörpern an Bord zur Dauerpatrouille ins Mittelmeer. Ihr offizieller Auftrag ist die Terrorbekämpfung, doch ihre Überschallwaffen ermöglichen auch die Lösung ganz anderer strategischer Aufgaben in der Region.

Dutzende IS-Stellungen*, Hunderte Kampffahrzeuge, Tausende Terroristen wurden in Syrien seit 2015 durch russische Lenkwaffen getroffen und zerstört. Abgefeuert wurden die Raketen auch von Kriegsschiffen und U-Booten. Nur: Zum Kernprofil dieser Marschflugkörper gehört die Terrorbekämpfung eigentlich nicht. „Der russische Marineverband, der seit 2013 im Mittelmeer patrouilliert, hat offenbar eine ähnliche Mission wie das 5. Operativgeschwader der Sowjetmarine zur Zeit des Kaltes Krieges“, erklärt der Rüstungsexperte Konstantin Siwkow. „Dass dem Verband jetzt auch Kampfschiffe angehören, die mit Kalibr-Raketen bestückt sind, erhöht dessen Schlagkraft.“

Damals, zu Sowjetzeiten, bestand die Gefahr, dass amerikanische Flugzeugträgerverbände vom östlichen Mittelmeer aus über den türkischen Luftraum die Südgebiete der Sowjetunion angreifen. Die Hauptaufgabe des Operativgeschwaders war es laut dem Experten, den Gegner daran zu hindern, die für den Luftangriff nötige Position im Mittelmeer einzunehmen – kurz: ihn auf Distanz zu halten.

Ein Gegenschlag mit den Kalibr-Raketen gegen einen amerikanischen Flugzeugträger wäre aber schon der zweite Schritt. Zunächst muss der Verband geortet und beobachtet werden – so wie Mitte dieses Monats, als die russische Fregatte „Jaroslaw Mudry“ die USS Harry S. Truman im Mittelmeer begleitete und dabei die Funktion eines Spürschiffs erfüllte.

„Selbst wenn die Amerikaner im Kriegsfall das Spürschiff als erstes zerstören sollten, wird es die Positionsdaten des Flugzeugträgerverbands rechtzeitig an das Oberkommando übermitteln können. Da kommen die Kalibr-Raketen ins Spiel“, sagt der Experte.

„Der Gegenschlag mit den Marschflugkörpern erfolgt von Kampfschiffen und U-Booten aus. Im Mittelmeer patrouillieren derzeit die atomgetriebenen Boote der Antej- und die dieselgetriebenen Boote der Warschwawjanka-Klasse. Die Luftwaffe wird die Flotte unterstützen. Von Hmeimim aus starten die Jagdbomber Su-24 und Su-34, die Fernfliegerkräfte schicken die Überschallbomber Tu-22M3. Um einen Flugzeugträger einsatzunfähig zu machen, reicht es aus, das Flugdeck zu zerstören und den Rumpf zu treffen. So bekommt das Schiff Schlagseite, sodass kein Flugzeug mehr starten kann. Dadurch verliert der Verband seine stärkste Waffe“, erklärt der Fachmann.

Aber auch in Friedenszeiten erfüllt der russische Marineverband im Mittelmeer einen Zweck, nämlich als Friedensstifter: Die mit Kalibr-Raketen bewaffneten Schiffe können die Aggressionsgelüste bestimmter Staaten in Schach halten, die Verbündeten Russlands unterstützen, die Handelsrouten sichern und nicht zuletzt das Leben russischer Bürger, die in der Region leben und arbeiten, sichern.

Ein anderer gewichtiger Grund, den russischen Marineverband zu verstärken, ist die Absicherung der Schwarzmeerflotte für den Fall einer Eskalation mit den Nato-Ländern. Sollte der Bosporus gesperrt werden, werden russische Kriegsschiffe das Schwarzmeer nicht verlassen können. Also wird der Mittelmeerverband, der durch Schiffe anderer Flotten auf Rotationsbasis gebildet wird, übernehmen müssen.

Außerdem: Vom Mittelmeer aus haben die Kalibr-Raketen einen größeren Wirkungsradius, als vom Schwarzen oder Kaspischen Meer. „Die Marschflugkörper decken teilweise den Persischen Golf, den Großteil aller Anwohnerstaaten und den Suez-Kanal. Bei Bedarf können die russischen Schiffe die Streitkräfte Indiens, eines BRICS-Partners, unterstützen. Diese Raketen ermöglichen es, strategische Aufgaben zu bewältigen und den Gegner fernzuhalten“, erklärt der Militärexperte Alexej Leonkow.

Wovon die Amerikaner übrigens ganz und gar nicht begeistert sind. Der US-Admiral James G. Foggo erklärte, die amerikanischen Schiffe seien bereit, einen russischen Angriff abzuwehren, wollten jedoch keinen Konflikt. Angst verbirgt sich hinter dieser Floskel sicherlich nicht, aber Beunruhigung schon, wie der Experte Leonkow erklärt: „Den Amerikanern missfällt es, dass noch jemand Marschflugkörper hat, die ihren Tomahawks nicht unterlegen sind. Die Kalibr-Raketen sind eine große Gefahr für ihre ‚Ticonderogas‘ und ‚Arleigh Burkes‘.“

Dass die russischen Kampfschiffe im Mittelmeer ein Hindernis für die Amerikaner sind, hat sich beim Syrien-Angriff der US-Navy Mitte April gezeigt. Um aus dem Einsatzradius der Kalibr-Raketen rauszugehen, mussten die amerikanischen Schiffe weit im Süden des Mittelmeeres in Stellung gehen. Die Anflugzeit ihrer Tomahawks erhöhte sich dadurch erheblich, sodass die syrische Flugabwehr den Angriff rechtzeitig erkennen und effektiv abwehren konnte.

Wie viele und welche Kampfschiffe konkret den russischen Verband verstärken werden, lässt sich noch nicht sagen. Davon aber, dass es mehrere Korvetten sein werden, ist auszugehen, weil dieser Schiffstyp als Träger für die Kalibr-Raketen bestimmt ist. Jedem einzelnen davon wird dann ein spezielles Aufgabenspektrum zugewiesen. Und natürlich ist die Dauerpatrouille russischer Schiffe fernab der Heimküste ein hervorragendes Einsatztraining für die Besatzungen. Schließlich ist die Zeit noch gar nicht so lange her, als die russische Flotte gar keine Dauereinsätze auf hoher See gefahren hat.

sputnik.de


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