Durch Trick und Tempo: Wie Russland den globalen Kräftestand ausgleicht

  23 Mai 2018    Gelesen: 1294
Durch Trick und Tempo: Wie Russland den globalen Kräftestand ausgleicht

Bevor eine Interkontinentalrakete ihre Flugbahn erreicht hat, ist sie für gegnerische Abfangraketen eine relativ leichte Beute. Russlands Atomstreitmacht stellt bald Raketen in Dienst, die den Gegner auch in dieser Hinsicht übervorteilen können – durch Schnellstart, Hyperschall und unabsehbare Manöver. Bestehende Rüstungsabkommen bleiben bestehen.

Der große Wirkungsradius und die teilbaren, deshalb schwer abzuwehrenden Sprengköpfe machen die „Satans“ immer noch zu einer furchterregenden Waffe. Die SS-18 „Satan“ ist der Nato-Code für die russische Interkontinentalrakete R-36M „Wojewoda“. Gegen diesen ballistischen Flugkörper haben die USA ihr Raketenschild entwickelt, die Abwehrsysteme AEGIS und THAAD.

Inzwischen sind die „Satans“ aber in die Jahre gekommen. Seit drei Jahrzehnten befinden sie sich in den Startsilos der russischen Atomstreitkräfte in Gefechtsbereitschaft. In zwei Jahren sollen sie abgelöst werden: RS-28 „Sarmat“ heißt der ebenfalls silogestützte Nachfolger mit interkontinentaler Reichweite.

Eine der Stärken der „Sarmat“ ist der Schnellstart. Das heißt, die schwere Interkontinentalrakete kann innerhalb kürzester Zeit ihre Flugbahn erreichen und Kurs auf den Zielpunkt nehmen (gerade während dieser aktiven Flugphase ist die Rakete sehr verwundbar). Auch ist die Anflugzeit der Gefechtsköpfe auf das Ziel drastisch verkürzt worden. Zudem können die Sprengköpfe im Zielanflug mit Hyperschallgeschwindigkeit manövrieren.

Wegen dieser Eigenschaften könne die Flug- und Raketenabwehr des Gegners die Gefechtsköpfe der „Sarmat“ weder erfassen noch abschießen, sagt der Militärexperte Alexej Leonkow. „Die Reichweite von Sarmat beträgt circa 18.000 Kilometer. Die Rakete kann also jeden Punkt auf der Welt sowohl über den Nord- als auch über den Südpol anfliegen. Sarmat vernichtet jedes Ziel, wo auch immer es ist. Keine Raketenabwehr wird sie aufhalten können.“ Es ist deshalb fraglich, ob der US-Raketenschild nach der Indienststellung von „Sarmat“ noch etwas taugen wird.

Die neue Interkontinentalrakete kann mit zweierlei Gefechtsköpfen bestückt werden: Entweder 15 Stück mit einer Sprengkraft von 450 Kilotonnen oder 10 Stück à 750 Kilotonnen, je nach Einsatzziel.

Künstlicher Meteorit

Ein Jahr vor „Sarmat“, also schon 2019, bekommen die russischen Streitkräfte den Raumgleiter „Avantgard“. Das Fluggerät wird mit einer ballistischen Rakete in den erdnahen Orbit gebracht und nimmt von dort aus Kurs auf das Ziel. Mit bis zu 20-facher Schallgeschwindigkeit rast der Raumgleiter auf den Zielort zu – auf einer für die Flug- und Raketenabwehr unberechenbaren Bahn.

„Wegen der gigantischen Reibung entsteht eine Plasma-Wolke um das Fluggerät herum“, erklärt der Experte Leonkow. „Die Entwickler haben Enormes geleistet, bei der Erstellung der Werkstoffe für den Rumpf, beim Schutz der Elektronik. Der Raumgleiter ist im Grunde ein Meteorit, den kein Abfangsystem auf der Welt abschießen kann.“

Der Raumgleiter ist so ausgelegt, dass er einen atomaren Gefechtskopf der Megatonnen-Klasse aufnehmen kann – zur Bekämpfung von Zielen im tiefen Hinterland des Gegners. Dabei ist das Gerät universell einsetzbar, kann ebenso aus einem Silo heraus gestartet werden wie von einer mobilen land- oder seegestützten Plattform.

Die Zeit drängt

Die kommende Modernisierung der strategischen Kräfte der russischen Streitmacht ist ein erforderlicher Schritt, um das globale Kräfteverhältnis wiederherzustellen. Denn die Vereinigten Staaten entwickeln ihre Atomstreitkräfte seit den 2000er Jahren gemäß der Strategie des Prompt Global Strike, eines globalen Blitzschlags. Zugleich bauen die USA ihr Raketenabfangsystem immer weiter aus. Die Amerikaner gehen sogar soweit, Maßnahmen zur Zerstörung des INF-Vertrags zu ergreifen. Dadurch werden die Atomächte in die 1950er Jahre zurückgeworfen, als es überhaupt keine Absprachen zu Rüstungsvorhaben gab.

Die Zeit drängt also: „Die neuen schweren Interkontinentalraketen werden bereits bei Anbruch der 2020er Jahre benötigt“, mahnt Peter Below, ein hochrangiger Veteran der russischen Atomstreitkräfte.

„Sollte die russische Rüstungsindustrie die gesetzten Fristen aus irgendeinem Grund nicht einhalten, fallen wir in ein Loch, in dem wir absolut schutzlos sein werden.“ Seiner Ansicht nach bleiben die silogestützten Interkontinentalraketen das beste Mittel der atomaren Abschreckung: „Sie sind größtenteils tief im Landesinneren stationiert. Entsprechend schwerer ist es, sie abzufangen – im Vergleich zu luft- oder seegestützten Raketen“, erklärt der Fachmann.

Was internationale Abkommen betrifft, so hält Russland alle ein: den Atomwaffensperrvertrag, das Atomteststoppabkommen und das New-START-Abkommen. Russland ersetzt einfach alte Interkontinentalraketen durch neue, die Zahl der Trägersysteme bleibt dabei gleich.

sputnik.de


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