Das hätte sich Jürgen Sparwasser zu aktiven Zeiten nicht zu träumen gewagt, irgendwann ein wichtiger Bestandteil eines Kunstprojekts zu sein. Der ehemalige Stürmer der DDR-Fußball-Nationalmannschaft steht im Mittelpunkt einer Performance für das "Public Art of Munich" (PAM), das ein Festival der etwas anderen Art ist. Der Schweizer Schauspieler Massimo Furlan hat um das deutsch-deutsche Duell bei der Weltmeisterschaft 1974 in der Bundesrepublik ein anderthalbstündiges Theaterstück inszeniert, in dem das Drama im Hamburger Volksparkstadion nachgespielt wird, das 1:0 für die DDR endete.
Es ist die 78. Minute: Torwart Jürgen Croy von Sachsenring Zwickau wirft den Ball auf die rechte Seite ab, Erich Hamann vom FC Vorwärts Frankfurt (Oder) überquert mit dem runden Leder die Mittellinie und schlägt einen Sahne-Diagonalpass über 40 Meter auf die linke Seite, der Magdeburger Sparwasser bringt dann den Ball im von Sepp Maier gehüteten Tor der Westdeutschen unter. Er erzielt ein Tor für die Ewigkeit. Dabei war das Spiel eigentlich bedeutungslos geworden, denn beide deutsche Mannschaften hatten bereits die Zwischenrunde erreicht. Aber für die DDR war es eine Sache des politischen Prestiges, die Gruppe 1, zu der auch Chile und Australien gehörten, zu gewinnen. Ein Sieg im Kampf der Systeme.
Beckenbauer verlangte WM-Medaille für Sparwasser
Allerdings erwischte die Mannschaft von Trainer Georg Buschner mit Brasilien, Argentinien und den Niederlanden die deutlich schwierigere Zwischenrundengruppe. Nur gegen Argentinien (1:1) holte die DDR einen Punkt, die Partien gegen Titelverteidiger Brasilien (0:1) und die sehr starken niederländischen Kicker um Johan Cruyff (0:2) gingen verloren. Dagegen meisterten Franz Beckenbauer und Co. die Zwischenrunde (2:0 gegen Jugoslawien, 4:2 gegen Schweden und 1:0 gegen Polen) relativ problemlos. Durch einen 2:1-Sieg im Finale gegen die Niederlande wurde die Mannschaft von Trainer Helmut Schön dann Weltmeister im eigenen Land.
Im Nachhinein war man beim DFB Sparwasser, der am 4. Juni seinen 70. Geburtstag feiert, sogar dankbar, dass er die Mannschaft mit seinem Tor aufgerüttelt und zu besseren Spielen angespornt hat. Beckenbauer forderte sogar eine 23. Goldmedaille - für Sparwasser. Der gebürtige Halberstädter, der 13 Jahre lang für den 1. FC Magdeburg stürmte, sieht seinen Hamburger Treffer sehr rational. Darüber sei doch längst alles gesagt und geschrieben worden, äußerte er immer, wenn er danach gefragt wurde.
Bereits früher berichtete Sparwasser, dass er in der DDR mit seinem Tor nicht nur Freunde gemacht habe. "Es wurden sogar Gerüchte gestreut, ich hätte als Prämie für das Tor ein Haus und ein Auto bekommen - was einfach nicht stimmte", sagte er dem "Tagesspiegel". Viele Ostdeutsche fieberten mit den Westkickern mit und erfreuten sich an ihren Erfolgen. Der DDR-Fußball bedeutete für sie nur Tristesse. Kein Wunder, denn außer 1974 nahm die DDR an keiner WM-Endrunde teil. Bei Europameisterschaften war sie dauerhafter Zaungast.
Europapokalsieg mit dem 1. FC Magdeburg
Sparwasser erfreute sich vielmehr an seinen Toren für den 1. FC Magdeburg. Der wichtigste Treffer in seiner Karriere war der zum 2:1 im Halbfinale des Europacups der Pokalsieger gegen Sporting Lissabon, der den Einzug der Elbestädter in das Finale ebnete. Heraus sprang unmittelbar vor der WM 1974 der einzige Europapokalsieg für eine DDR-Klubmannschaft. In Rotterdam besiegte die Mannschaft von Trainer Heinz Krügel den favorisierten AC Mailand mit 2:0.
Überhaupt identifizierte sich Sparwasser immer mehr mit seinem Klub als mit der DDR-Nationalmannschaft. 49 Länderspiele absolvierte er in acht Jahren für den deutschen Osten - das sind nicht übermäßig viele. 14 Tore sprangen dabei heraus. Für Magdeburg lief er öfter zur Hochform auf. In der zweiten Runde des Uefa-Cups schoss Sparwasser im heimischen Ernst-Grube-Stadion den FC Schalke 04 im Hinspiel fast alleine ab. Drei Tore steuerte er zum 4:2-Sieg bei. Auch das Rückspiel im Gelsenkirchener Parkstadion entschieden die Magdeburger mit 3:1 für sich - ohne ein Sparwasser-Tor.
1979 war für Sparwasser Schluss mit dem aktiven Fußball. Seine Bilanz kann sich für einen DDR-Fußballer sehen lassen. Neben den Europapokal hatte er mit dem 1. FC Magdeburg drei Mal die DDR-Meisterschaft gewonnen, vier Mal den FDGB-Pokal. 1972 holte Sparwasser mit der DDR-Olympiamannschaft in München die Bronzemedaille.
Flucht in den Westen, dann kurze Zeit Trainer
Er hatte bereits an die Zeit danach gedacht und ein Ingenieurstudium als Maschinenbauer absolviert. Zudem schloss er eine Ausbildung zum Sportlehrer ab. Cheftrainer des 1. FC Magdeburg wollte Sparwasser nicht werden, er wurde lieber Wissenschaftlicher Assistent an der Pädagogischen Hochschule Magdeburg. Obwohl seit 1973 SED-Mitglied, ging Sparwasser auf Distanz zum DDR-Regime. 1988 nutzte er ein Turnier mit der Magdeburger Altherrenmannschaft in Saarbrücken, um sich in den Westen abzusetzen. Seine Frau war zur gleichen Zeit auf Verwandtenbesuch in der Bundesrepublik.
Jürgen Sparwasser versuchte sich dann im Westen als Trainer. So war er von 1988 bis 1990 Co-Trainer bei Eintracht Frankfurt - unter Karl-Heinz Feldkamp. Danach war er Cheftrainer beim Zweitligisten Darmstadt 98. Nach seiner Entlassung bei den Südhessen 1991 war dann Schluss mit dem Profisport.
Dem Fußball ist Sparwasser aber noch immer eng verbunden. Unweit von Frankfurt/Main widmet er sich in einer Fußballschule den jungen Talenten. Sie können mit dem 22. Juni 1974, den Tag an dem Jürgen Sparwasser das Tor gegen die DFB-Auswahl erzielte, wahrscheinlich nicht mehr viel anfangen.
Quelle: n-tv.de
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