Dissens mit Merkel? Bloß nicht!

  09 Juli 2018    Gelesen: 1186
Dissens mit Merkel? Bloß nicht!

Der Streit mit der Kanzlerin ist gerade beigelegt, da gibt es neuen Ärger um Horst Seehofer. Hat der Innenminister in einem Brief gegen die Linie der Bundesregierung versucht, Einfluss auf die Brexit-Unterhändler zu nehmen?

 

 

Aus Martina Fietz, Harald Neymanns und Rainer Breul ist nichts, wirklich gar nichts mehr herauszubekommen. "Ich kann Ihnen nicht mehr dazu sagen, als wir schon mitgeteilt haben", sagt die stellvertretende Regierungssprecherin Fietz. Er würde jetzt zum dritten oder vierten Mal vortragen, was er schon gesagt habe, erklärt Neymann vom Bundesinnenministerium. Und Außenamts-Sprecher Breul spricht - im Hinblick auf den Gleichklang der drei - sogar von einem "dreistimmigen Chor". Die drei versuchen an diesem Tag jeden Eindruck zu zerstreuen, wonach Innenminister Horst Seehofer - ohne Abstimmung innerhalb der Bundesregierung - ein Schreiben mit sensiblem Inhalt verschickt hat. Das war aber offensichtlich der Fall.

In dem Brief vom 27. Juni schrieb Seehofer an die Brexit-Unterhändler der EU-Kommission: "Es ist nicht meine Intention, die Verhandlungen der Kommission mit dem Vereinigten Königreich und deren strategische Ausrichtung zu kommentieren. Ich erlaube mir jedoch als Innenminister eines europäischen Mitgliedstaates, darauf hinzuweisen, dass die Sicherheit der Bürger höchste Priorität auch in der Europäischen Union genießen muss." Seehofer drängte in dem Brief auf eine "uneingeschränkte Sicherheitszusammenarbeit" mit Großbritannien auch nach einem Austritt aus der Europäischen Union.

Die deutsche EU-Vertretung sah sich daraufhin sogar zu einer Reaktion gezwungen. "Ich möchte klarstellen, dass es sich hierbei um ein in der Bundesregierung nicht abgestimmtes Schreiben handelt", schrieb Thomas Eckert, Leiter der politischen Abteilung, laut der "Süddeutschen Zeitung" an den EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos. Teile von Seehofers Brief befänden sich in Widerspruch zu Beschlüssen des Europäischen Rates und der "in dieser Folge abgestimmten Position der Bundesregierung". Eckert erklärte außerdem, dass die Bundesregierung "selbstverständlich am Inhalt dieser Leitlinien und ihrer bisherigen Positionierung festhält".

"Der Brief drückt Besorgnis aus"

In der Regierungspressekonferenz zu Wochenbeginn ist der Brief das Thema, das die Journalisten am meisten interessiert. Entspricht Seehofers Schreiben der Linie der Bundesregierung? Und wenn nicht, warum war er offensichtlich nicht abgestimmt? Die Regierungssprecher sind bemüht, dem Thema die Wucht zu nehmen. Die Kanzlerin habe mehrfach betont, dass eine enge Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und EU auch nach dem Brexit sehr wichtig sei. "Der Brief drückt die Besorgnis aus, dass sich die Sicherheitslage nach dem Brexit nicht verschlechtern dürfe", sagt Sprecherin Fietz, die heute Steffen Seibert vertritt. Die Sicherheit der Bürger habe höchste Priorität für die Bundesregierung.

Innenministeriumssprecher Neymanns versichert, Seehofer habe "in keiner Weise die Leitlinien der Kommission infrage stellen wollen". Fietz sagt: "Es gibt keinen Dissens zwischen der Kanzlerin beispielsweise und dem Innenminister." Fietz und ihre Kollegen werden diese Sätze in den darauf folgenden 30 Minuten noch etliche Male wiederholen. Die Neugier der Fragesteller können sie damit aber nicht zufriedenstellen. Warum bedurfte es dieses Briefes? Und ist es gängige Praxis, dass die deutsche EU-Vertretung einem Bundesminister widerspricht?

Es sei nicht die Absicht gewesen, Irritationen zu verursachen, sagt Neymanns. Als Innenminister sei Seehofer für Sicherheitsfragen zuständig. Er habe lediglich auf diese Sorge hinweisen wollen. Würde die Bundesregierung mit Großbritannien keine neuen Absprachen für die Zeit nach dem Brexit treffen, könnte dies ein Risiko für die Sicherheitslage bedeuten, deutet er an. Rainer Breul vom SPD-geführten Auswärtigen Amt räumt immerhin eines ein: Briefe wie der von Seehofer, denen von der deutschen EU-Vertretung anschließend widersprochen wird, seien eher nicht die Regel.

"Methode Trump"

Seehofers Alleingang bringt die Bundesregierung in eine unangenehme Situation. Die Brexit-Verhandlungen sind schwierig und zäh. Die britische Regierung strebt ein Freihandelsabkommen mit der EU an. Viele Staaten fürchten, dass Großbritannien die EU am Ende verlassen könnte, ohne auf die Vorteile einer privilegierten Partnerschaft - wie dem Zugriff auf das Schengener Informationssystem - verzichten zu müssen. Dies könnte andere Mitgliedsstaaten künftig dazu verleiten, dem britischen Beispiel zu folgen. "Die britische Regierung ist falsch gewickelt, wenn sie meint, sich dafür die günstigsten Bedingungen aussuchen zu können", sagt SPD-Fraktionsvize Achim Post. Einseitiges Rosinenpicken könne es nicht geben.

Seehofers Schreiben ist auch in anderer Hinsicht heikel. Über Wochen lieferte der Innenminister sich zuletzt einen erbitterten Machtkampf mit der Kanzlerin und stellte sogar ihre Richtlinienkompetenz infrage. Nun geht der Konflikt, in dem Seehofer und seine Partei auf einen nationaleren Kurs und weniger europäische Abstimmung drängen, gewissermaßen auf anderer Bühne weiter. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sieht Seehofers Brief als Beleg für einen rechtspopulistischen Kurs der Spaltung. "Das ist exakt die Methode, die man von den Herren Trump, Orban, Kurz kennt."

Trotz der Kritik schließen die Regierungssprecher jedoch die Reihen. Die Journalisten in der Bundespressekonferenz formulieren zwar immer neue Fragen, aber vergeblich. "Ich glaube, wir haben die Meinung der Bundesregierung hier wiederholt dargestellt", sagt Fietz. Etwas später verrät sie zumindest noch, dass Kanzlerin und Innenminister heute schon telefonisch über das Thema gesprochen hätten. "Dabei ist zum Ausdruck gekommen, dass sie in der Intention einig sind." Die Sicherheitslage dürfte sich - jeder Zuhörer kann diesen Satz inzwischen mitsprechen - nach dem Brexit nicht verschlechtern.

Quelle: n-tv.de


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