Im Niemandsland der Ukraine

  26 Dezember 2015    Gelesen: 1798
Im Niemandsland der Ukraine
Separatisten und Armee in der Ukraine trennt eine Pufferzone. Auch dort leben Menschen – und ihr Leben ist nach der jüngsten Übernahme prorussischer Kämpfer in Gefahr.
Sieben Tage lag der tote Körper von Iwan daheim, seine Frau konnte ihn nicht bestatten: Es gibt keine Leichenhalle in dem ukrainischen Dorf, in dem er gelebt hat. Iwan war auf eine Wurfmine getreten. Am Ende starb er, auch weil kein Arzt in der Nähe war. Es gibt hier keinen mehr, auch keinen Rettungswagen und keine Polizei. Niemand stellte einen Totenschein aus, weil niemand mehr da ist, der das könnte. Sie haben ihn schließlich in ein Auto des Nachbarn gelegt und nach Mariupol gefahren. Dort liegt Iwan nun begraben. Oder die Frau, der es auf einmal sehr schlecht ging – sie riefen eine Ambulanz, aber sie kam nicht. Die Frau musste liegen. Die Nachbarn warteten stundenlang, bis sie die Frau selbst in ein Krankenhaus in Mariupol fuhren. Dort starb sie – vermutlich am Herzinfarkt. Sie hinterlässt fünf Kinder.

Wenn ein frozen conflict, ein gefrorener Konflikt, als bestes aller schlechten Szenarien für die Ukraine gilt, dann bedeutet das für manche Menschen ein Leben wie in dem Dorf Kominternowe, das in einer grauen Zone liegt. So heißen Gebiete, die unter keiner besonderen Kontrolle stehen. Sie sind eingekeilt zwischen den Fronten. Zweimal, im September 2014 und Februar 2015, wurde in Minsk über eine Waffenruhe für die Ostukraine verhandelt. Und zweimal wurden dabei auch Frontverläufe festgelegt – zwischen all den Dörfern, die damit auf einmal zu einer inoffiziellen Pufferzone wurden. Für die Einwohner von Kominternowe etwa heißt das: Nowoasowsk bleibt unter dem Einfluss der Separatisten, Mariupol unter dem der Ukrainer und dazwischen liegt, neutral, ihr Dorf. Ein Überbleibsel machtpolitischer Auseinandersetzungen.

Ein Leben in der grauen Zone ist ein Leben in permanenter Unsicherheit. Man kann beispielsweise nur dann den ukrainischen Checkpoint passieren und das Dorf verlassen, wenn man vorher bei der ukrainischen Armee einen Antrag gestellt hat. Solch ein Leben bedeutet auch, an einem Tag von der einen, am Tag darauf von der anderen Seite "besucht" zu werden. Bis man eines Tages nicht mehr in einer neutralen Zone aufwacht, sondern auf einer Seite der Front.


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